Am Tag der Filialschließungen zieht Verdi-Bundesvorstand Stefanie Nutzenberger im Interview mit derhandel.de eine erste Bilanz der Schlecker-Pleite - und stellt Forderungen an die Politik.

Heute schließen die Schlecker-Filialen für immer. Welche Gefühle löst das bei Ihnen aus?
Wie die Beschäftigten sind auch wir bei Verdi enttäuscht, zornig und fassungslos. Das Ende von Schlecker und der Verlust tausender Arbeitsplätze ist eine Folge des Missmanagements der Unternehmensleitung, aber auch des Fehlverhaltens der Politik. Die Verantwortungslosigkeit des Eigentümers in der Vergangenheit bis heute hat dramatische Folgen. Ich finde dieses Verhalten geradezu unsozial.

Verdi wurde von Lars und Meike Schlecker kritisiert. Sie sagten, die Gewerkschaft sei "in der Rolle des Verteidigers des Flächentarifvertrags" gefangen gewesen. Wie reagieren Sie darauf?
Wir haben eine Umfrage unter unseren Mitgliedern bei Schlecker gemacht, und sie erklärten sich zum Verzicht auf 10 Prozent ihrer Löhne bereit. Ich finde, das ist schon ziemlich flexibel, zumal das Personal jahrelang um seine Rechte kämpfen musste. Die Äußerung der Gründer-Kinder finde ich daher unangemessen und respektlos gegenüber der Belegschaft - zumal sie 2010 als Eigentümer der Niedriglohn-Leiharbeitsfirma Meniar zum Niedergang des Unternehmens maßgeblich beigetragen haben.

Wie beurteilen Sie im Nachhinein die Rolle des Insolvenzverwalters?
Die Zeit, die der Insolvenzverwalter zur Verfügung hatte, war sehr knapp. Vielleicht hätte er sie besser nutzen können. Mir hat ein eindeutigerer Einsatz zugunsten der Menschen, die bei Schlecker beschäftigt waren, gefehlt - und zwar bis zum Schluss. Es bleiben einige Fragen offen, zum Beispiel: Hätte man den Ausverkauf nicht anders gestalten können? Die hohen Rabatte haben die Margen vollkommen aufgezehrt. Der Erlös wurde zwar den Lieferanten gutgeschrieben, die Frage ist: Wieviel bleibt für die Beschäftigten übrig?

Das sieht doch das Insolvenzrecht so vor.
Das geltende Insolvenzrecht ist nicht auf Menschen, sondern auf Geld ausgerichtet, auch die Wirklichkeit des filialisierten Einzelhandels wird nicht abgebildet, deshalb muss es  geändert werden. Es ist etwas anderes, wenn an einem Ort eine Fabrik schließt, oder ob Jobs an Tausenden von Standorten verloren gehen. Und die Möglichkeit, eine Transfergesellschaft zu bilden, wurde uns dann auch noch von der Politik weggenommen - ein Trauerspiel.

Gibt es weitere Lehren aus dem Schlecker-Desaster?
Gewiss: Zum Beispiel muss sich der Gesetzgeber fragen, ob eine Firma mit einer solchen Dimension von einem „eingetragenen Kaufmann" (e.K.) geführt werden darf - der wegen Insolvenzverschleppung nicht belangt werden kann und keiner Bilanzierungspflicht unterliegt, von dem aber 24.000 Angestellten abhängen. Hier trägt die gesetzliche Grundlage einfach nicht mehr.

Interview: Marcelo Crescenti