Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – so ähnlich könnte man mit ein wenig Bemühen Sepp Herbergers Weisheit verbiegen, um die Lage nach dem Sieg von Amazon im Preisabspracheprozess gegen Apple zu beschreiben. Denn einerseits hat Amazon mit Hilfe der US-Justiz fürs erste das „Agency Model“ ausgehebelt, mit dem seit 2010 Apple eine Art Preisbindung für die E-Books von fünf der größten US-Verlage durchsetzte. Und andererseits ist auch der Glorienschein nicht zu verachten, mit dem sich Amazon als größter US-Buchhändler umgeben kann, der jetzt so standhaft die Interessen der von Apple ach so geschröpften Kunden vertreten hat.

Aber, kaum ist die Schlacht geschlagen, droht den strahlenden Rittern aus Seattle schon wieder Ungemach. Und dieses ist diesmal hausgemacht: Autoren und Kleinverlage in den USA beschweren sich immer lautstärker über die Rabattpolitik des Online-Händlers, der sich ausgerechnet bei schwer verkäuflichen Titeln besonders zugeknöpft zeigt.

Rabatte verschwinden

Wie die New York Times berichtet, verschwinden die kundenfreundlichen Rabatte ohne Ankündigung, wenn sich Bücher als schwergängig erweisen. Beispiele dafür werden zuhauf angeführt, quer durch die verschiedenen Genres. So beschwert sich ein Krimiautor darüber, dass Amazon den Preis für sein Buch um ein Drittel angehoben hat; ein Verlag berichtet, dass die Kundenrabatte von 35 Prozent auf nur noch 16 Prozent geschrumpft sind; ein Wirtschaftsprofessor beklagt, dass der Preis für sein Buch um gut 10 Prozent heraufgesetzt wurde.

Für Buchkäufer in Deutschland mag das irrelevant erscheinen: Dank der Preisbindung gibt es bei uns keine Spielereien mit Rabatten und keine Preiskämpfe – sicherlich ein wichtiger Grund, warum sich bis heute eine lebendige Buchhandelslandschaft erhalten hat, im Gegensatz zu Großbritannien, wo, bedingt durch den von Onlinehändlern, Großfilialisten und Supermärkten geführten Preiskampf, seit 2005 rund die Hälfte aller Buchhandlungen verschwunden sind.

Marktanteile teuer erkauft

Für US-amerikanische Verlage führt allerdings heute kein Weg an Amazon vorbei: Der Marktanteil des Online-Riesen bei gedruckten Büchern liegt bei mehr als 25 Prozent. Diesen Marktanteil hat sich Amazon in den vergangenen Jahren teuer erkauft – trotz ständig steigender Umsätze verzeichnete das Unternehmen jahrelang heftige Verluste, und auch gegenwärtig fallen die Gewinne marginal aus; stets hieß es, man investiere in neue Produkte und Infrastruktur. Tatsächlich erkaufte man sich Marktanteile, indem man Kunden durch Preise anlockte, die häufig keinen wirtschaftlichen Sinn ergaben. Im E-Book-Markt agiert Amazon nach eben diesem Muster und drückt seine „Kindle“-Lesegeräte zu Tiefstpreisen in den Markt.

Anders als in Europa gibt es in den USA heute keine annähernd als flächendeckend zu bezeichnende Buchhandelslandschaft – besonders in den „Flyover States“ zwischen Ost- und Westküste ist Amazon oft die einzig praktikable Möglichkeit, um an Bücher zu kommen. Unabhängige Buchhändler sind aus vielen Ortschaften und sogar aus einigen Großstädten verschwunden.

Der zweitgrößte US-Buchhändler Borders legte 2011 eine krachende Pleite hin, seine rund 600 Filialen sind vom Markt verschwunden. Der bisherige Branchenführer Barnes & Noble schwächelt ebenfalls bedenklich: Die E-Book-Sparte „Nook“ beschert heftige Verluste und soll abgestoßen werden. Von derzeit rund 1300 Filialen, darunter gut 700 an Colleges und Universitäten, sollen in fünf Jahren nur noch etwa 500 übrig sein. Barnes & Noble-Chef William Lynch nahm übrigens gerade seinen Hut.

Die Zeit des Geldverdienens beginnt

Jetzt ist tatsächlich ein Zustand erreicht, den Ökonomen in ihren Proseminaren gerne als Modell anführen: Ein übermächtiger Marktteilnehmer hat die Konkurrenz an die Wand gedrückt und kann beinahe nach Belieben agieren. Widerstandsnester, wie sie etwa der Zusammenschluss von Apple mit den fünf Großverlagen darstellte, werden elegant und mit Hilfe einer willfährigen Justiz aus dem Weg geräumt.

Die Kunden zahlen mehr für die bisherigen Produkte und Dienstleistungen.

Die Zeit des Geldverdienens beginnt. Was wenigstens die Aktionäre von Amazon erfreuen dürfte.