Der Onlinehändler dringt weiter in den Alltag seiner Kunden ein - und mischt sich in hohem Tempo in immer mehr Branchen ein, die bislang noch verschont blieben. Ein Leben ohne Amazon könnte irgendwann kaum noch möglich sein.
Und die Vermarktungsmaschine Amazon wird immer effizienter. Schon heute ist in den USA jede dritte online verkaufte Batterie von der Eigenmarke „Amazon Basics“.
Schon lange gibt sich Amazon nicht mehr damit zufrieden, der bedeutendste Onlinehändler der Welt zu sein. Dass viele Kunden die Startseite von Amazon - statt wie früher Google - inzwischen als Produktsuchmaschine nutzen, spricht Bände: Auch online ist Amazon weit mehr als ein Händler, für Prime-Kunden häufig Rundumversorger und erste Anlaufstelle im Netz.
Mitglieder statt Kunden
Mit dem Prime-Universum hat Amazon ein nahezu perfektes Kundenbindungsinstrument geschaffen und ist damit der Vision eines eigenen Mikrokosmos ein großes Stück näher gekommen: einer Konsumwelt, die der Kunde gar nicht mehr verlassen muss, weil er sich bequem von einem Amazon-Angebot zum nächsten bewegt.Die Kunden zu Mitgliedern zu machen, die sich nach Zahlung der Jahresgebühr umso mehr im Vorteil fühlen, je mehr sie bestellen - ein genialer Zug. Nicht verwunderlich, dass Amazon den Prime-Kosmos in hohem Tempo ausbaut, zum Beispiel mit immer mehr Abo-Diensten für Serien, Musik, Bedarfsartikel und jetzt auch Spielzeug.

Daten, Daten, Daten
Als Plattform für alle Lebensbereiche sammelt Amazon weiter Daten, Daten, Daten. War früher Google als Datenkrake gefürchtet, hat Amazon der Suchmaschine in dieser Hinsicht längst den Rang abgelaufen: Google weiß, was Kunden suchen. Amazon weiß auch, was Kunden suchen – und außerdem, was sie wann kaufen.Je mehr Amazon-Dienste ein Kunde nutzt, umso besser lernt der Onlinehändler ihn kennen und kann seine Angebote immer weiter individualisieren. Ziel: das richtige Produkt zum richtigen Zeitpunkt anbieten.
Allerdings ist das Prime-Universum inzwischen auch so komplex, die Versandkostenmodelle so vielfältig, dass Kunden bisweilen den Überblick verlieren können. Ein gutes Beispiel dafür, wie Amazon-Dienste sich gegenseitig kannibalisieren, bieten die Bestellvarianten Spar-Abo und Pantry.
Aus Sicht eines Prime-Kunden ist schwer verständlich, warum er für den Versand einer Pantry-Vorratsbox 4,99 Euro bezahlen soll, wo er doch die entsprechenden Produkte auch versandkostenfrei bestellen kann – beim Spar-Abo sogar mit zusätzlichem Rabatt. Hier muss Amazon aufpassen, sich nicht zu verzetteln. Denn wer erst einmal eine Viertelstunde lang Vor-und Nachteile von Spar-Abo und Pantry vergleichen muss, kann sich auch gleich zum nächsten Supermarkt aufmachen.
Versandkostenmodelle werden immer komplizierter
Für die Lieferung von Frischware erhebt Amazon in Berlin, Brandenburg und Hamburg unter „Fresh“ für Prime-Mitglieder eine Monatsgebühr von 9,99 Euro, Lieferungen über 40 Euro Bestellwert sind dann versandkostenfrei. In München liefert Amazon frische Lebensmittel unter „Prime Now“ ohne zusätzlichen Grundbetrag. Nur bei Lieferung innerhalb einer Stunde fallen hier 6,99 Euro Versandgebühr an.Diese Doppelstrategie ist denn auch selbst Fachleuten nicht ganz klar. Zu vermuten ist, dass Amazon gerade im schwierigen Frischebereich hier beide Modelle eine Zeitlang testet und nicht auf Dauer zweigleisig fahren wird. Die Verwirrung für den modernen, mobilen Kunden, der sich heute in Hamburg und morgen vielleicht in München aufhält, wäre auch zu groß.
Amazon dringt ins Wohnzimmer vor
Treue Prime-Mitglieder verzeihen ihrem Lieblingsonlinehändler aber so einiges – und lassen ihn immer öfter sogar in ihre Wohnräume hinein.Bereits jetzt können Kunden Produkte per Sprachbefehl auf eine Wunschliste stellen. Direkt per Sprachbefehl die Lieferkette in Gang zu setzen, ist nur der nächste Schritt. Bequemlichkeit als Kundenbindungsinstrument – die Bestellung per Knopfdruck auf den Dash Button gibt es ja bereits.
Fast so schnell wie der Getränkeautomat
Näher an den Kunden rückt Amazon auch durch die immer schnellere Lieferung. Was heute in Ballungsräumen unter „Prime Now“ schon möglich ist, nämlich Zustellung innerhalb einer Stunde nach Bestellung, ist Amazon-Gründer Jeff Bezos immer noch nicht genug. An amerikanischen Unis werden derzeit „Instant Pickups“ für die Abholung per App bestellter Ware nach nur zwei Minuten getestet.Allerdings ist das Sortiment recht begrenzt - auf einige hundert Artikel von Snacks über Getränke und technisches Zubehör. Fraglich ist, ob Amazon wirklich flächendeckend in Konkurrenz zu Getränkeautomaten gehen will. Vielmehr scheinen die Instant Pickups, die ja auch Personal benötigen, ein Imageinstrument zu sein, ebenso wie der Treasure Truck, der seit 2016 durch amerikanische Großstädte tingelt.

Viel testen, manches umsetzen
Vieles wird bei Amazon getestet, nicht alles dann auch umgesetzt. „Wenn man keine Kritik ertragen kann, sollte man um Himmels Willen nichts Neues tun“, hat Jeff Bezos einmal gesagt. Und so wurden viele Geschäftsideen auch wieder begraben. Der Shoppingclub BuyVIP, der Hotelbuchungsdienst Destinations und die Daily Deals auf der Amazon-Local-Plattform sind nur drei Beispiele.Allerdings hat Jezz Bezos, inzwischen zweitreichster Mensch der Welt, auch folgendes gesagt: „Deine Marge ist meine Chance“. Getreu diesem Motto stößt der Onlinegigant in immer mehr Branchen vor, die bislang vor seinen „Allmachtsfantasien“ verschont blieben.
Dass Bezos auch Ambitionen als Raketenbauer hegt - schon imJahr 2000 gründete der heute 53-Jährige das private Raumfahrtunternehmen Blue Origin - ist vielen nicht bekannt. In anderen Bereichen hat sich Amazon in nur wenigen Jahren erfolgreich breitgemacht.
- Beispiel 1 Logistik: Während die Feinverteilung der Ware per Flugdrohne noch Zukunftsmusik ist, ist Amazon mit eigener Lkw- und Flugzeugflotte längst selbst auf dem Weg zum Logistikunternehmen. Freie Kapazitäten in den Frachtflugzeugen könnte der Onlinehändler künftig an Dritte verkaufen.
- Beispiel 2 Amazon Web Services (AWS): Amazon ist heute schon der größte Cloud- und Web-Services-Anbieter weltweit. Mit seiner Cloud-Computing-Sparte verdient der Konzern inzwischen das meiste Geld. Unter den Kunden sind neben dem Streamingdienst Netflix auch Nasa und CIA. Hierzulande ist Rivale Zalando Cloud-Mieter.
- Beispiel 3 Lebensmittelhandel: Hier macht Amazon seit einiger Zeit mächtig Tempo. Bestellmodelle wie Spar-Abo und Pantry für Trockenwaren waren der erste Schritt. Seit diesem Jahr traut sich Amazon hierzulande auch an Frischware heran, wenn auch zunächst nur in einigen Ballungsräumen. Und: Derzeit arbeitet der Konzern bei Lebensmitteln und Drogeriewaren, wie zuvor in vielen anderen Sortimentsbereichen, mit Hochdruck am Aufbau von Eigenmarken.
Langer Atem
Auch wenn diese Marken sich hierzulande das Vertrauen, das Rewe oder dm genießen, erst erarbeiten müssen - die Bestrebungen des Onlinehändlers sind immer ernst zu nehmen. Schließlich hat Amazon aufgrund seiner Kapitalstärke einen langen Atem, um auch längere Verlustphasen zu überstehen.
Nicht nur, wo Amazon draufsteht, ist Amazon drin
Wie groß das Amazon-Universum inzwischen schon ist und in welche Lebens- und Wirtschaftsbereiche der Onlinehändler bereits heute vorgedrungen ist, zeigt folgende Auflistung von Amazon-Diensten.Und nicht nur da, wo Amazon draufsteht, ist Amazon drin: Auch mit der Übernahme von Unternehmen wie dem Onlineschuhhändler Zappos und der Streamingplattform Twitch baut der Onlinegigant sein Imperium immer weiter aus. Den ersten Schritt in den „Stein-und Mörtel-Handel“ machte Amazon erst vor wenigen Wochen mit der Übernahme der Bio-Supermarktkette Whole Foods in den USA.