Das Bundeskartellamt hat ein Missbrauchsverfahren gegen Amazon eröffnet. Angeblich sei es zu zahlreichen Beschwerden von Marktplatzpartnern gekommen, dass Amazon seine mächtige Marktposition dort ausnutze. Voraussetzung für die kartellrechtlichen Ermittlungen sind allerdings eine marktbeherrschende Position des Internet-Konzerns und die Tatsache, dass die Marktplatz-Händler von Amazon abhängig seien. Gastautor und Handelsexperte Gerrit Heinemann glaubt, der Schuss könnte nach hinten losgehen. Denn ein Internet-Player ist noch dominanter als Amazon.
Amazon sei der größte Online-Händler in Deutschland und betreibe den mit Abstand größten Online-Marktplatz in Deutschland. In dieser Kombination liege ein potenzielles Risiko für Behinderungen von anderen Anbietern auf der Plattform, zumal viele Händler und Hersteller beim Online-Vertrieb auf die Reichweite von Amazon angewiesen seien.
Nur ein zahnloser Papiertiger
Ungewöhnlich an diesem Verfahren ist: An keiner einzigen Stelle der offiziellen Mitteilung über das Verfahren argumentiert das Bundeskartellamt, wie sonst üblich, mit dem Schutz des Verbrauchers vor einem Monopol. Dabei ist genau dieser Schutz die Grundidee hinter dem deutschen Kartellrecht, das aus dem 19. Jahrhundert stammt und in den fünfziger Jahren aus den USA übernommen wurde. Es sollte eigentlich den Endkunden davor schützen, dass ein Monopolist in einem Sektor nach Belieben Sortiment und Preise bestimmen kann. Das Problem ist nur, dass aus dem durchaus diskutablen Verhalten Amazons gegenüber seinen Marktplatz-Händlern dem Endkunden eigentlich keine Nachteile erwachsen. Die Preise sinken eher und der Service-Level von Amazon ist in den letzten Jahren immer höher geworden.Aber ohne Verankerung im aktuell geltenden Kartellrecht kann sich das Kartellamt mit der aktuellen Untersuchung vielleicht als harter Sheriff aufspielen, ist aber letztlich nur ein Papiertiger.

Und an der Definition relevanter Märkte schieden sich schon die Geister bei der Übernahme von Kaufhof durch Metro Anfang der 80iger Jahre. Diese wäre beinahe daran gescheitert, dass nicht zwischen Groß- und Einzelhandel differenziert wurde.
Mit Entstehen der Internet-Giganten ist allerdings die Marktabgrenzung noch einmal erheblich schwieriger geworden. Nehmen wir Google mit deutlich mehr als 90 Prozent Marktanteil im Suchmaschinenmarkt. Ähnlich wie Amazon dehnte auch Google in den letzten Jahren seinen Einflussbereich immer weiter aus, sprengt alte Grenzen und erschloss sich mit viel Aufwand neue Geschäftsfelder bis hin zur Marktdominanz.
Wenn Google sich klein redet
Allerdings sei Google nicht allmächtig, sagte noch vor wenigen Jahren Eric Schmidt, der langjährige CEO und Chairman des Unternehmens, und bekam dabei auch noch indirekt Unterstützung von der Monopolkommission. Er redete nicht nur die Macht des Internet-Konzerns klein, sondern stellte sogar den Online-Händler Amazon als seinen größten Konkurrenten dar.Tatsächlich prallen beide Unternehmen immer häufiger aufeinander. Beiden Online-Anbietern werden Monopolstellungen nachgesagt, genauso wie das Potenzial, ganze Branchen zu zerstören oder zumindest völlig zu verändern. Allerdings sind zunehmend Ähnlichkeiten festzustellen, die eine Abgrenzung der relevanten Märkte zwischen Google und Amazon nahezu unmöglich machen.
Amazon bei der Produktsuche schon vor Google
So betreibt Google bereits mit dem Google Shopping einen Marktplatz, der derzeit mit Hochdruck ausgerollt wird. Denn wenn Google schon die mit Abstand meist genutzte Informationsquelle und damit "Gatekeeper" für alle Online-Händler ist, liegt es nahe, suchende Kaufinteressierte gleich zu kaufenden Kunden zu machen, statt sie Amazon zu überlassen.Demgegenüber wird die Amazon-Plattform immer häufiger als Erstanlaufstelle für Produktsuchen genutzt und liegt dafür schon in manchen Produktkategorien nachweislich vor Google. Für den bisherigen Online-Händler liegt es deswegen nahe, sich als Produktsuchmaschine und Werbeplattform zu monetarisieren. Oder im Cloud-Geschäft, wo AWS (Amazon Web Services) Marktführer ist, zeigt jetzt die Google Cloud Platform Marketplace, dass Kunden auch bei Google Applikationen kaufen und darüber ausrollen können.
Anderes Beispiel ist der Google-Assistant als bessere Antwort auf Echo/Alexa und innovative Lösung für Voice-Commerce. Insofern entstehen mit Google und Amazon in der Tat zunehmend zwei neue direkte Konkurrenten, die sich damit ihre relevanten Märkte teilen.
Abhängig von Amazon oder Google?
Noch vor wenigen Jahren bezeichnete die Monopolkommission Google nicht zuletzt deswegen als "Monopölchen", obwohl damals der Internet-Gigant schon auf über 90 Prozent Marktanteil im Suchmaschinenmarkt kam. Dabei kommt das Wort "Monopölchen" in den Wirtschaftswissenschaften eigentlich nicht vor.Ein Quasi-Monopol, das es aber auch in sich hat
Gemeint sind damit wohl Quasi-Monopole, die aufgrund eines sehr starken natürlichen Wettbewerbsvorteils eine marktbeherrschende Stellung haben. Es handelt sich insofern um kein echtes Monopol, kommt diesem aber in seinen Auswirkungen recht nahe.Insbesondere dann, wenn die Marktstellung zum Beispiel durch Vorgabe "nichtverhandelbarer Konditionen" gegenüber Kunden oder Lieferanten missbraucht wird. So sind schrittweise und regelmäßige – durch Änderung von Algorithmen und Angebotsformen verdeckte und willkürlich vorgenommene – Preiserhöhungen bei Google durchaus an der Tagesordnung.
Die 1-A-Lage im Onlinehandel
Diese werden deswegen akzeptiert, weil kein Online-Händler oder E-Commerce-Anbieter ohne Google-Adwords auch nur ansatzweise eine Erfolgschance hätte. Nicht ohne Grund wird bei der Google-Pole-Position – also den besten Plätzen auf der "Google-Ranking-Seite" von der "modernen 1-A-Lage des Handels gesprochen! Ohne diese hat aus Kundensicht eigentlich kein Anbieter Relevanz und somit eine echte Erfolgschance.Allerdings ist nunmehr Amazon für Online-Anbieter eine Alternative zu Google: Zwar bietet Amazon keine "Search Engine Marketing" an, das werbetreibende Unternehmen dort kaufen können, noch wäre es ihnen möglich, mit einer Präsenz auf dem Amazon-Marktplatz auf Google-Adwords verzichten zu können.
Der größere Gatekeeper als Amazon
Außerdem hat Google bisher nachweislich eine größere Gatekeeper-Funktion zu den Endkunden als Amazon. Im Zweifel könnten dieselben Unternehmen eher auf Amazon als auf Google verzichten. Insofern sind Online-Händler faktisch in der Abhängigkeitsfalle von Google. Ohne Google hat kein Online-Händler eine nennenswerte Chance und wer mit der Google-Abhängigkeit nicht klar kommt, darf eigentlich keinen Online-Store betreiben. Zumindest keinen mit größeren Umsatzzielen.Keine Markteintrittsbarrieren für Marktplätze
Demnach scheint es praktisch keine Markteintrittsbarrieren für Marktplätze zu geben, während Gründungen von Suchmaschinen aufgrund der enormen Aufbauinvestitionen mittlerweile undenkbar sind. Dabei kommt Amazon nicht auf über 90 Prozent Marktanteil wie Google in Deutschland, sondern erreicht im Online-Handel 47 Prozent – so eine Erhebung vom Institut für Handelsforschung in Köln.

Kartellamt stellt sich ein Bein
Die dominierende Marktstellung von Amazon ist allerdings seit November 2018 hinfällig. Denn bei der Prüfung der Kaufhof-Karstadt-Fusion hat sich das Bundeskartellamt bei dieser Argumentation offensichtlich selbst ein Bein für die anschließende Amazon-Prüfung gestellt, da es bei der Abgrenzung des relevanten Marktes für die beiden stationären Warenhäuser erstmals auch den Online-Handel mit einbezogen hat.Damit wurde faktisch als relevanter Markt der gesamte Einzelhandel definiert. Danach kommt Amazon jetzt nicht mehr auf 47 Prozent, sondern allenfalls rund 5 Prozent Marktanteil beziehungsweise 10 Prozent, wenn nur Non-Food gerechnet wird. Das dürfte nicht nach marktbeherrschender Stellung aussehen nach Kartellamtsberechnung.
Retail: Die Laden-Konzepte von Amazon
Eher ein Verwaltungs- als ein Ordnungswidrigkeitsverfahren...
Das Bundeskartellamt zwang den Hersteller, die Beschränkungen aufzugeben. Das steht im Widerspruch zur aktuellen Argumentation des Kartellamts, in Kombination aus Online-Handel und Marktplatz liege ein potenzielles Risiko für Behinderungen von anderen Anbietern auf der Amazon-Plattform....mit Folgen für die Sanktion
Amazon wird sein Verhalten gegenüber den Händlern nur leicht abändern und ansonsten ändert sich an der marktdominierenden Stellung des Unternehmens gar nichts. Der Weg zu 90 Prozent Marktanteil im Online-Handel ist damit durch das Kartellamt freigemacht – so wie bei Google damals im Suchmaschinenmarkt.
Der Beitrag erschien zuerst in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Wir veröffentlichen ihn mit freundlicher Genehmigung des Autors.