Effizientere Abläufe, geringere Kosten: Immer mehr Prozesse in der Intralogistik von Handelsunternehmen werden automatisiert durchgeführt.
Seit 1962, als die Verlagsgruppe Bertelsmann das erste automatische Hochregallager in Gütersloh vorstellte, hat sich einiges getan.
Ob Bestandsgenauigkeit bei der Warenannahme, flexible und skalierbare Lösungen für die Lagerung, Nachschub für Stückgut-, Behälter-, Lagen- und Palettenkommissionierung oder Versand an Filialen und Konsumenten: Automatisierungs- und Robotiklösungen werden für den Handel immer wichtiger.
Händler haben in den vergangenen zehn Jahren vor allem in die Automatisierung wiederkehrender, gleichbleibender Prozesse wie die Ein- und Umlagerung, den innerbetrieblichen Transport und auch die Kommissionierung investiert, wie die aktuelle Studie "Robotics4Retail" des EHI Retail Institutes zeigt. Aus Gründen der Effizienz - aber auch zur Entlastung ihrer Mitarbeiter.
Mit künstlicher Intelligenz zu mehr Flexibilität
Aktuell mehren sich jedoch Investitionen in Robotikanwendungen mit künstlicher Intelligenz (KI), mit denen komplexere, sich verändernde Abläufe bewältigt werden: "Durch den Einsatz der anpassungsfähigen Roboter löst sich der bisherige Konflikt auf, dass Automatisierung zulasten von Flexibilität geht", heißt es in der Studie.
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Effizienz und Kostenersparnis sind die Hauptgründe für den Einsatz von automatisierten und Robotiksystemen.
Etwa ein Zehntel der befragten Händler gibt an, in der Intralogistik Robotikkommissioniersysteme zu nutzen, etwa in Form von Robotern, die die Ware zum Mitarbeiter bringen, der sie dann kommissioniert. Zusätzlich setzen einige Händler sogenannte Depalettier- und Palettierroboter ein, also Systeme, die automatisch Packstücke auf den verschiedenen Ladungsträgern zusammenfassen. Die meisten Befragten ordnen diese Art der Prozessautomatisierung allerdings nicht unbedingt dem Bereich der Robotik zu, da diese Systeme aus ihrer Sicht nicht intelligent genug sind.
Für einen erfolgreichen Einsatz von Automatisierung und Robotik müssen die Voraussetzungen stimmen. Das wichtigste Kriterium ist für ein knappes Drittel der befragten Händler die entsprechende Qualifikation der Mitarbeiter, die damit zu tun haben. Zudem werden die Zuverlässigkeit der Technik und die Wirtschaftlichkeit der Systeme als Grundvoraussetzungen genannt.
Roboter gegen den Fachkräftemangel
Die gesteigerte Effizienz und damit Kostenersparnis nannten mit 55 Prozent mehr als die Hälfte der Befragten als Hauptgrund für den Einsatz von Automatisierungs- und Robotiklösungen. Ebenfalls entscheidend ist für vier von zehn Handelsunternehmen die Unterstützung der Mitarbeiter, beispielsweise durch körperliche Entlastung.
Tory, Paul und Pepper
Auch am POS gibt es erste Robotikprojekte. Rund jeder siebte vom EHI befragte Händler setzt bereits Kundenserviceroboter ein. So rollt seit einem Jahr Paul durch die Gänge der Ingolstädter
Saturn-Filiale. Über ein abgeschrägtes Display in Augenhöhe, das an ein Gesicht erinnern soll, fragt er Kunden nach ihren Wünschen und begleitet sie zum gesuchten Produkt. Das Verkaufsgespräch zu führen, überfordert Paul dann doch, hierzu ruft er über Voice-over-IP einen menschlichen Kollegen hinzu.
Bei
Edeka Stengel in Fürth bietet ein humanoider Roboter Kostproben an und begleitet Kunden durch den Markt. Wie bei Saturns Paul steht auch bei "Pepper" der Unterhaltungsfaktor im Vordergrund, eine echte Entlastung für die Mitarbeiter auf der Fläche ist er indes noch nicht.
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Ganz im Gegensatz zu Robotern für Inventur und Reinigung, die bei den ersten deutschen Händlern ebenfalls schon im Einsatz sind. Vor rund zwei Jahren nahm
Adler im Modemarkt in Erfurt den ersten Tory-Roboter für automatisierte Inventuren in Betrieb und hat inzwischen weitere Märkte mit den Robotern ausgestattet. Tory erfasst Waren via RFID oder NFC zehnmal schneller als dies manuell möglich ist. Positives Fazit von Adler: Die Verfügbarkeit der Ware auf der Fläche konnte verbessert werden - und die Verkäufer, entbunden von der eher lästigen Inventur, haben mehr Zeit für die Kunden.
Angesichts des Fachkräftemangels in der Logistik sind viele Unternehmen außerdem schlicht auf Automatisierung und Roboter angewiesen, ein knappes Drittel nennt dies als wichtigen Grund für den Einsatz. Speziell im Bereich Robotik sind zudem die variable Einsetzbarkeit von Robotern, die Bewältigung auch großer Auftragsvolumina in Spitzenzeiten und die hohe Ausfallsicherheit die wichtigsten Beweggründe für die Nutzung.
Die Befragung der Händler zeigt auch, dass eine genaue Abgrenzung der Begriffe Automatisierung und Robotik nicht ganz einfach ist, weil die Technik und die möglichen Anwendungen sich ständig weiterentwickeln und beide Bereiche zunehmend verschmelzen.
Amazon ist wieder Vorreiter
Fast ein Drittel der Händler definiert aktuell Automatisierung als gleichbleibende, wiederkehrende Prozesse, während es sich ihrer Meinung nach bei Robotik um komplexe, sich verändernde Abläufe handelt. Als Hauptmerkmal für Robotik nannte fast die Hälfte die künstliche Intelligenz der eingesetzten Systeme.
Amazon Kiva Transportroboter
Amazon geht auch hier voran. 2012 hat der Onlinehändler den Robotikhersteller Kiva übernommen. Im neuen Logistikzentrum in Winsen an der Luhe kommt erstmals in Deutschland die Transportrobotertechnik zum Einsatz, bei der ganze Warenregale zum Kommissionierer hin bewegt werden. Mehr als 45.000 dieser AGVs ("Automated Guided Vehicles") sind bei Amazon weltweit schon im Einsatz. Außerdem plant Amazon zusammen mit der Max-Planck-Gesellschaft in Tübingen die Forschung zur künstlichen Intelligenz voranzutreiben.
Roboter halten also Einzug in den Handel. Erfolgreich wird ihr Einsatz aber erst, wenn die Technologie akzeptiert wird. "Mitarbeiter müssen erkennen können, welche Arbeitserleichterung die maschinellen Kollegen bringen und Kunden müssen deren Vorteile ebenfalls verstehen", schreiben die EHI-Experten. Bei allen technischen Möglichkeiten menschelt es bei Robotern eben doch noch sehr.
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