Die Baumärkte basteln an Onlinestrategien und hoffen auf die Strahlkraft ihrer großen Märkte. Doch das Heimwerker-Sortiment bei Amazon ist mittlerweile so gigantisch groß, dass die Kunden immer weniger in die Läden fahren müssen. Da es von denen eh zu viele gibt, kommen die traditionellen Unternehmen in Schwierigkeiten.
Nach wenigen Sekunden steht es 717 : 109. Neuer Versuch, aber es wird noch schlimmer: 5000 : 14. Das Spiel ist gelaufen - und der Sieger heißt: Amazon. Wieder einmal. Egal, ob der Kunde eine Schlagbohrmaschine sucht oder eine unspektakuläre Kneifzange - nicht einmal der deutsche Baumarktführer Obi kann online gegen Amazon mithalten. Dessen Angebot allein bei diesen beiden Produkten ist dermaßen erschlagend, dass man sich fragen muss: Lohnt sich der Kampf gegen diesen Giganten noch?
"Amazon ist bei mehr als jedem zweiten Onlinekauf Bestandteil und kann eine Conversion Rate von 76 Prozent verbuchen", heißt es in einer Studie des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH).
Und weiter: "Ein riesiges Sortiment, marktgerechte Preise und hervorragende Convenience überzeugen viele Kunden. Dagegen sind die Top-5-Baumärkte online im Durchschnitt deutlich seltener Teil der Customer Journey und haben mit 30 Prozent auch eine geringere Conversion Rate. Mit der stetigen Zunahme an potenziellen Kundenkontaktpunkten verschiebt sich das 'Machtverhältnis' zwischen Kunden und Anbietern zunehmend zugunsten der Kunden. Diese können immer wieder neu entscheiden, welchen Kanal und Anbieter sie für ihr Vorhaben wählen."
Der Vorteil der physischen Märkte
Mit anderen Worten: Ein Kunde, der online nach Handwerkszeug sucht, hat die Baumarktveteranen schon gar nicht mehr auf dem Zettel. Und Amazon bietet mit seiner Angebotsvielfalt jeden Grund dafür.Albrecht Hornbach, Chef der gleichnamigen Baumarktkette aus Bornheim in der Pfalz, sagte zwar zuletzt bei Etailment: "Heute denkt doch jeder, Amazon macht alles platt. Aber davon kann überhaupt nicht die Rede sein - bei aller Wichtigkeit dieses Unternehmens." Damit meinte er den stationären Handel im Allgemeinen, seine Baumärkte im Besonderen, und warum alles seine guten Gründe habe. "Unser Vorteil sind die physischen Märkte, wir können unsere Kunden dank Interconnected Retail die gesamte Customer Journey entlang begleiten – das kann Amazon nicht."
Das stimmt.
Aber vielleicht ist das vielen Kunden auch egal? Wer braucht schon für den Kauf einer Kneifzange ein schönes Einkaufserlebnis im Laden? Vielleicht ist ja so ein Kauf in einem der gewaltigen Hornbach-Baumärkte eher ein erlebnisarmes Projekt, wenn man kilometerlang durch Gänge wandern muss, dann wieder zurück, um sich noch eine Weile an der Kasse anzustellen.

Immer mehr, immer größer
Also wurde das Land überzogen mit Baumärkten, den Therapiezentren der deutschen Männer. Kontinuierlich wuchs die Anzahl der Märkte von Obi, Hornbach, Toom und dem Rest. Am 1. Januar dieses Jahres gab es in Deutschland laut EHI Retail Institute 2.232 Baumärkte mit einer Gesamtfläche von 13.358.100 Quadratmetern.Und kontinuierlich wuchsen deren Flächen: Betrug im Jahr 2011 die Gesamtfläche eines deutschen Baumarktes noch 6.850 Quadratmeter sind es heute 7.440 Quadratmeter, wie Statista ermittelt hat.
Schon im Jahr 2013, als erst Praktiker, danach Max Bahr Insolvenz anmelden mussten, sagte Thomas Harms, Handelsexperte im Beratungsunternehmen Ernst & Young, in der "Welt": "Wir haben in Deutschland etwa 25 Prozent zu viel Baumarktfläche, was zur Folge hat, dass es bei fast allen Anbietern ein Problem mit der Produktivität gibt."
Amazon wird immer mehr Marktanteile abgreifen
Fünf Jahre später hat sich seine Meinung nicht geändert, im Gegenteil - angesichts der Wucht des Vordringens von Amazon ist sie richtiger denn je. Harms erinnert im Gespräch mit Etailment daran, wie Amazon 1994 angefangen hat - mit dem Verkauf von Büchern. "Damals dachte alle Welt, dass die ewig nur Bücher verkaufen werden." Aber Bücher war eben das einfachste Produkt für den Start im Internet. Schritt für Schritt wurde das Sortiment facettenreicher, ohne dass die klassische Konkurrenz diese Strategie lange ernst nahm.Jetzt ist Amazon eben ins Baumarktsegment vorgedrungen, und Thomas Harms sagt vorher, dass die Traditionalisten noch mehr Marktanteile an Amazon abgeben müssen. "Die gewaltigen Flächen rächen sich jetzt. Die Produktivität geht noch weiter zurück."
Also bleibt nur die Möglichkeit, die eigenen Onlineabteilungen zu stärken. Aber ein stationäres Unternehmen auf multichannel zu drehen, ist eine Herausforderung, an der jede Menge Händler sich abarbeiten. Neue Prozesse und altes Personal passen oft nicht zusammen, Albrecht Hornbach spricht deswegen von der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens.
Hagebau und Otto wollen es jetzt getrennt versuchen
Doch es gibt keine Zeit mehr für jemanden, wenn Amazon einen Markt betritt. Bei Hornbach liegen die "onlineberührten Umsätze", wie es der Chef formuliert, konzernweit mit Ach und Weh bei 10 Prozent. Bei einem Konzernumsatz von rund 4,1 Milliarden Euro (3,9 Milliarden Euro gehören davon der Baumarktsparte) im Jahr 2017 ist das nicht die Welt.
Doch Anfang Oktober dieses Jahres kündigten Hagebau und Otto an, die Liaison zum 30. Juni 2019 zu beenden. "Gründe dafür sind unterschiedliche Geschäftsmodelle der Hagebau-Kooperation mit einem Cross-Channel-Ansatz und des Onlinehändlers Otto.de, der eine Plattform-Strategie verfolgt", teilte Otto mit. Die Otto Group werde mit der Übernahme von Mitarbeitern von Baumarkt direkt das Do-it-yourself-Sortiment auf otto.de weiter ausbauen, hieß es weiter.
Hagebau wiederum will ab 1. Juli kommenden Jahres mit einem neuen, eigenen Onlineshop um das Geschäft im Internet kämpfen, den Betrieb organisiert hier die neu gegründete Tochterfirma Hagebau Connect. Jan Buck-Emden, Hagebau-Chef setzt bei seiner künftigen Onlinestrategie auf Click&Collect. "Unser Netzwerk ist eine große Chance, das hat in dieser Form kein E-Commerce-Händler. Wir sind stationär stark aufgestellt. Wenn wir jetzt online dazulernen, haben wir einen echten Wettbewerbsvorteil."

Die Zeit der Produktversorgung ist vorbei
Klassische Baumarkt-Konzepte, die sich auf die reine Produktversorgung fokussieren, können im Plattformzeitalter nicht bestehen, prognostiziert das IFH. "Somit sind neue Geschäftsmodelle abseits des reinen Verkaufs und des klassischen Baumarkt-Konzepts gefragt. Dabei können Baumärkte davon profitieren, dass Kunden über den Kauf hinaus Angebote wie 'Do it for me'-Services verstärkt erwarten."Es geht also auch hier wieder um den berühmten Begriff "Erlebnis", dem fast zu Tode geprügelten Buzzword des modernen Einzelhandels. Doch Abdeckplanen, Fischer-Dübel und Fugenkitt sind nur schwer mit Erlebnis in Zusammenhang zu bringen.
Also raus damit. Stattdessen die Flächen etwa für das große Thema "Projekt" herrichten. Parkett legen, einen Teich im Garten anlegen, ein Bad verfliesen - die hohe Heimwerkerschule eben. Zeigen, wie es geht, und was man dafür braucht. Erstklassiger, projektorientierter Service gepaart mit den passenden Produkten - das dürfte die Zukunft der Baumärkte sein. Was beim IFH "Do it for me" heißt, nennt Konsumexperte Harms "Lösungen verkaufen".
Schnell mal ein paar Blümchen einpflanzen
Dazu gehört auch sogenanntes "schnelles Sortiment", etwa aus der Gartenabteilung. Denn wer sich etwa neue Blümchen in den Garten pflanzen will, der entscheidet sich maximal spontan - und gerne nach Wetterlage. Da kann Amazon nicht mithalten.Wobei: Ein Blumenzwiebelset mit sechs verschiedenen Blumen gibts jetzt schon - und wer Prime-Kunde ist, hat die bunte Mischung innerhalb von zwei Tagen. Und vielleicht bald noch schneller.
Denn selbst Amazon lernt ja immer noch dazu.