Es kommt selten bis nie vor, dass E-Commerce-Experte Jochen Krisch seine Meinung binnen weniger Stunden um 180 Grad ändert. Gestern hat er es getan. Erst heißt es bei Exciting Commerce: „German Startups Group: Der dreisteste Börsengang seit Rocket Internet“.
Weniger Stunden später ist der Beitrag verschwunden und an gleicher Stelle heißt es mit weniger Text: „Die German Startups Group ist toll!“

Was ist da passiert?
Und was stand drin in dem verschwundenen Beitrag?

„Wir hinterfragen die Seifenblasen der Internetbranche kritisch und geben den betroffenen Mitarbeitern ein Ventil“. Das war einst der Anspruch der Website Dotcomtod. Damals in den Zeiten der New Economy füllten die Macher die Website mit Häme, Insider-Infos, brisanten Interna und so manch einem - häufig dann auch zutreffenden - Abgesang auf überbewertete Startups.
Es gab Klagedrohungen. Sogar der Staatsanwalt ermittelte in den Nuller-Jahren gegen die anonymen Macher des Pleite-Portals "für exitorientierte Unternehmensmeldungen“.

Das ist alles lange vorbei.
Es ist ein wenig so, als erinnere man sich an eine Zeit kurz nach dem Krieg. Heute, wo manch einer weitaus größere Blase kurz vor dem Platzen sieht, wünscht man sich solch ein Portal zuweilen zurück.

Ein bisschen erinnerte mich gestern morgen der Beitrag von Jochen Krisch auf Exciting Commerce an „die gute alte Zeit“.

In einem Beitrag, durch den sich eine Spur Zynismus zog, nahm er sich die die German Startups Group vor. Die will in dieser Woche im schwach regulierten Entry Standard der Frankfurter Börse aufs Parkett, hofft auf dabei auf rund 60 Millionen Euro für das Unternehmen. Die GSG ist eine Beteiligungsgesellschaft mit Fokus auf junge Wachstumsunternehmen in Deutschland. Im Portfolio (Slogan: "Wir lieben Startups") ist ein bisschen was von allem. Auch ein bisschen was von bekannten Namen aus dem Rocket-Internet-Kosmos. Allemal eine interessante Börsenstory, vielleicht ein gutes Investment.

Den Börsengang der GSG, gegründet von Christoph Geringer (cdv, Frogster Interactive) darf man mutig finden, in Zeiten der Griechenland-Krise womöglich sogar verwegen. Vielleicht darf man das auch als Zeichen für eine neue Blase sehen.

Collins-Gründer Tarek Müller hat das bei Twitter indirekt getan, ohne die GSG selbst beim Namen zu nennen: „Wenn selbst VCs an die Börse drängen, sollte wirklich jedem klar sein, dass der Markt total überhitzt ist.“



Krisch ist in seinem binnen weniger Stunden gelöschten Posting deutlicher geworden.

Im Netz findet man den Beitrag nicht mehr. Aber bei etailment haben wir ihn beinahe instinktiv aufgehoben.

Krisch, man kennt ihn als jemanden, der einen scharfen Blick für Bilanzen hat, legte dort einen Finger in eine Wunde der Börsenstory, nennt beispielsweise die Beteiligungen an Soundcloud, Delivery Hero oder Mister Spex “homöopathisch.“ Bei Delivery Hero sind ja es beispielsweise nur 0,06 Prozent. Das liest sich etwas kritischer als im FAZ-Beitrag.

Gerlinger dürfte die Wortwahl bei Excomm ebenso wenig gefallen haben, wie der Krisch-Hinweis im ursprünglichen Beitrag, dass „einige der PR-trächtigsten Beteiligungen aus zweiter und dritter Hand stammen“. Nett geht anders.

Und Krisch zählt weiter auf: „Im April 2012 formiert, hat die German Startups Group ihr Portfolio erst in jüngster Zeit etwas aufpeppen können. Trotzdem reicht das Spektrum der Beteiligungen noch von der “neuartigen Gewinnung seltener Erden” über ein “Angebot von Zahnersatzleistungen ohne Zuzahlung” bis zur “Karbonisierungsanlage zur Schlackeaufbereitung”. Und er rechnet nach: „Um eine Bewertung von über 80 Mio. Euro zu rechtfertigen, müsste jede dieser Mikro-Beteiligungen an die 2 Mio. Euro wert sein.“

Diese Rechnung, sie ist ein bisschen kurz und man muss sie nicht teilen. Gerlinger und die GSG, die Krisch als eine „halbe Online-Agentur mit rückläufigen Umsätzen (2013: 6,9 Mio. Euro, 2014: 6,5 Mio. Euro)“ charakterisiert, kalkulieren da ganz sicher anders.

Nun aber ist der Beitrag von Krisch verschwunden und er findet in einem Posting, das anstelle des gelöschten Beitrag erschein, die German Startups Group nur noch „toll“.

Prompt wird im Netz von einer EV, von Klage, von Zensur geraunt.

Das ist natürlich Blödsinn.

Man sollte nicht annehmen, dass ein intelligenter Unternehmer wie Gerlinger gleich mit Justitia droht.

Derlei, das sagt mir meine journalistische Erfahrung, geht ein wenig subtiler, folgt aber immer einem ähnlichen Prinzip. Jeder gute Öffentlichkeitsarbeiter beherrscht es.

Hier ein - natürlich freundlich gemeinter - Hinweis auf mögliche Schadensersatzansprüche, dort Hinweise auf Fehler bei der Beurteilung von Kleingedrucktem im Börsenprospekt, dort Klagen über ein schiefes Bild zu manch einem Konstrukt, garniert mit ganz eigenen Kalkulationen zu den Zahlen. Wer - wie in diesem Fall - rund 350 Seiten Börsenprospekt durchforstet, der macht sich schließlich immer an irgendeiner Stelle angreifbar, desto eher, je verdrechselter ein Unternehmen ist.

Derlei wird übel genommen. Derlei will man aus der Welt schaffen. Ein Autor wird sich sachlichen Korrekturen in der Regel nicht verweigern.

Gerade dann aber, wenn der ganze Ton des Beitrags nicht zum Selbstbild, zum eigenen Narrativ passen mag, wird mit Verve um das Kleinklein und die Interpretation von Zahlen gerungen, wird auf Änderung gedrängt, wird Druck gemacht, wird genervt - auch um en passant möglichst die im Nebensatz mitschwingende negative Wertung am besten gleich mit auszumerzen. Je geschickter, zuweilen ganz subtil Drohkulissen aufgebaut werden, manchmal auch nur je nerviger ein Unternehmen dabei vorgeht, desto schneller gibt man dann in diesem Kräftemessen eventuell klein bei.

Erst recht, wenn man als Blogger keine große Rechtsabteilung im Rücken hat. Also weg mit dem Beitrag, statt am Ende des Tages beim Copy & Paste der Pressemitteilung zu landen. Vielleicht, um dann in Ruhe umso tiefer einzusteigen.