Zalando und Rocket Internet stellen mit den Einnahmen aus ihren Börsengängen die Weichen für die weitere Entwicklung des Online-Modehandels auf fünf Kontinenten. Davon profitieren auch Markenhersteller und Mitbewerber.

 

Die Summe ist gewaltig: Schätzungsweise 2,28 Mrd. Euro haben der Online-Modehändler Zalando und sein einstiger Hauptinvestor Rocket Internet vorige Woche bei ihren IPOs an der Frankfurter Börse eingenommen. 2,28 Mrd. Euro, die den Online-Modehandel nachhaltig verändern werden. Nicht nur in Europa, wo Zalando noch lange nicht die Grenzen seines Wachstums erreicht, sondern auch in Südamerika, Russland, Afrika, Nahost, Indien, Südostasien und Australien.

Dort hat Rocket Internet in den vergangenen drei Jahren zahlreiche Zalando-Klone etabliert, welche die meist unterentwickelten E-Commerce-Märkte nach dem gleichen Muster erobern wie Zalando: mit viel Geld und extrem hohem Marketingdruck, gepaart mit den modernsten Tracking- und Personalisierungs-Tools, die die Online-Welt zurzeit zu bieten hat. Die besagten 2,28 Mrd. Euro dürften den Expansionsdrang von Zalando und seinen Schwestern beschleunigen und somit die Weichen für die Entwicklung des Online-Handels auf fünf Kontinenten stellen.

Schließlich haben Rocket Internet und Zalando bereits angekündigt, die Emissionserlöse fast ausschließlich in den weiteren Ausbau des Geschäfts zu investieren. Dass Zalando jetzt einen Mitbewerber nach dem anderen schluckt, ist allerdings unwahrscheinlich. Die Geschäftsführung hat mehrfach betont, dass für sie nur kleinere Technologie- und Marketingdienstleister in Betracht kommen.

Technische Innovationen einkaufen 

Damit wird es für die Mitbewerber deutlich schwieriger, technische Innovationen einzukaufen. Aufstrebende Start-ups werden höchstwahrscheinlich künftig eher bei Zalando anklopfen als bei Otto & Co. Allein, weil für Nachwuchskräfte ein junger Shooting-Star wie Zalando deutlich attraktiver ist als ein über Jahrzehnte gewachsener Konzernverbund. Auch wenn die Otto Group ihren Start-ups weitestgehend freie Hand lässt. Das Misstrauen vor bürokratischen Strukturen bleibt.

Arbeiten bei Zalando | Ein Tag bei Zalando ist niemals alltäglich



Und natürlich wird Zalando das frische Kapital nutzen, um – wie bereits ankündigt – das Modesortiment um Kategorien wie Women’s Sportswear, Große Größen und Bademoden zu erweitern, das Herrenmode- und Eigenmarken-Geschäft auszubauen sowie die bereits äußerst effizienten Bereiche Logistik und Marketing zu optimieren. Trotzdem muss man keine Vormachtstellung von Zalando befürchten.

Auch wenn die Internetwelt allgemein zu Monopolen neigt: Der Online-Modehandel ist und bleibt äußerst heterogen. Unter anderem, weil sich immer mehr stationäre Einzelhändler zu Multichannel-Anbietern wandeln, und die großen Vertikalen dank ihrer hohen Eigenmarken-Anteile weitestgehend immun gegen die Angriffe von Multilabel-Online-Händlern sind.

Der Online-Modehandel bleibt heterogen

Überhaupt besteht die Chance, dass Modehandel und -industrie vom börsenfinanzierten Wachstum der Berliner Klon-Krieger am Ende mehr profitieren als darunter zu leiden. So ist es etwa denkbar, dass Zalando und Rocket mit ihren Börsenmilliarden ein wahres Innovationsfeuerwerk entfachen. Zum einen, weil die beiden Konzerne jetzt mehr Geld für Eigenentwicklungen haben. Zum anderen, weil bei jungen Talenten und Start-ups die Motivation steigen dürfte, neue Online-Tools zu entwickeln, um sie dann gewinnbringend an die finanzkräftigen Player Zalando und Rocket zu verkaufen. Und was dort gut funktioniert, werden die Mitbewerber früher oder später nachbauen.


Gute Nachrichten gibt es auch für Modehersteller: Sie haben für viele Jahre zuverlässige Handelspartner an der Hand, die dank der hohen Marktkapitalisierungen sowie dem bislang sehr großen Vertrauen der Investoren nicht so schnell zahlungsunfähig werden dürften. Die Zalando-Klone in aller Welt bieten den Modemarken zudem die Möglichkeit, ohne großes Risiko neue Märkte in weit entfernten Regionen zu testen. Die Tmall in China hat es vorgemacht.

Abgesehen davon kann man jetzt schon sagen, dass Zalando bereits viel Pionierarbeit im E-Fashion-Geschäft geleistet hat. Die zweistelligen Zuwachsraten der Branche sind großteils darauf zurückzuführen, dass der Online-Händler den Internetkauf von Mode mithilfe seiner aufmerksamkeitsstarken Werbekampagnen salonfähig gemacht hat. Standards setzten die Berliner auch in puncto Performance-Marketing, das gnadenlos den Erfolg jeder Maßnahme misst. Darüber hinaus sind die Hauptstädter in der Logistik auf dem besten Weg, zur Benchmark der Modebranche zu werden.  

Rocket Internet - Our Platform from RocketInternet on Vimeo.

In der Folge wurden die Konkurrenten ermutigt oder quasi gezwungen, ihr Geschäft effizienter aufzustellen. Ein heilsamer Schock quasi, der vermutlich nirgends besser zu beobachten war als bei der Otto Group, die zunächst den Universalversand komplett neu strukturierte und dann rund 300 Mio Euro in die Hand nahm, um innovative Geschäftsmodelle wie die Open Commerce-Plattform About you und das Mobile-Payment-System Yapital zu entwickeln. Damit machten sich die Hamburger auch wetterfest gegen mögliche Angriffe von amerikanischen und chinesischen Playern.

Die größte Eintrittsbarriere für Alibaba & Co stellt aber Zalandos starke Position hierzulande dar. Das Positive daran: Der E-Commerce-Gigant hält sich an deutsche Arbeitnehmergesetze und versteuert – anders als etwa Amazon – seine voraussichtlich stark steigenden Gewinne in Deutschland statt in dubiosen Steueroasen. Somit profitiert auch die Gemeinschaft von den beiden Börsengängen.

<em>Bert Rösch berichtet für die Fachzeitschrift <a target="_blank" href="http://www.textilwirtschaft.de/">TextilWirtschaft </a>über E-Commerce, Logistik und IT in der Modebranche. Sie erscheint, ebenso wie etailment, in der <a target="_blank" href="http://www.dfv.de/">dfv Mediengruppe</a></em>
Bert Rösch berichtet für die Fachzeitschrift TextilWirtschaft über E-Commerce, Logistik und IT in der Modebranche. Sie erscheint, ebenso wie etailment, in der dfv Mediengruppe
Ähnliches gilt auch für den stationären Modehandel: Die neue Online-Konkurrenz war vielerorts ein guter, im Nachhinein oft sogar segensreicher Anlass, das eigene Geschäftsmodell zu überdenken, das vermutlich auch ohne Zalando & Co gefährdet gewesen wäre. Kleine Boutiquen, die – wie in der ZDF-Reportage über Rocket Internet-Chef-Oliver Samwer geschehen – Zalando für ihre Pleite verantwortlich machen, sollten die Schuld lieber bei sich selbst suchen.

Es ist schließlich kein großes Geheimnis, dass kleine Modehändler nur dann überleben können, wenn sie ein spitzes und exklusives Sortiment führen.

Auch Multilabel-Händler müssen sich nicht vor der Pure Player-Konkurrenz verstecken. Allein wegen ihrer hohen Beratungskompetenz. Es sei denn, sie sparen ausgerechnet beim Personal.


Zudem haben sie die Möglichkeit, die digitale Revolution auch im Laden zu nutzen: Wenn sich ein eigener Online-Shop nicht lohnt, sollten sie zumindest Lösungen wie die Online-Regalverlängerung myVeo Order des Einkaufsvebunds Katag nutzen oder einen Teil ihres Sortiments auf kleineren Marktplätzen wie Fashionhub oder Kleidoo anbieten.

Das Mindeste ist ein gut gemachter Online-Auftritt und intelligentes Online-Marketing, das den Onliner in den Laden lenkt.

Die Arme von Zalando können noch so lang werden, bis in den letzten Laden werden sie nie reichen.