Mit Maschinen, die den menschlichen Verstand nachahmen, können Händler klügere Entscheidungen treffen.
„Die Wissenschaft legt das Augenmerk auf Teilaspekte des menschlichen Verstandes und untersucht, wie man diese Leistungen simulieren und nutzbar machen kann", erläutert Professor Joachim Hertel, Mitbegründer und Geschäftsführer der Dacos Software GmbH. „Das Besondere an den Programmen ist, dass sie nicht einfach nur Daten bearbeiten, sondern vorliegende Informationen interpretieren und daraus Schlüsse ziehen. Auf gewisse Weise ‚verstehen‘ sie also die Daten."
Intelligente Lösungen sind gefragt
Was sich nach Science-Fiction anhört, beschreibt lediglich einen interdisziplinären Zweig der Computerwissenschaften: Bei der Forschung rund um die Künstliche Intelligenz kommen Wissenschaftler aus den verschiedensten Disziplinen zusammen. „Sie arbeiten gemeinsam daran, Aspekte menschlicher Erkenntnis- und Denkprozesse mit Hilfe des Computers nachzubilden", sagt Joachim Hertel. „Und entwickeln dann Rechner, die intelligente Problemlösungen finden."Als Beispiel nennt er die Preisfindung: Grundannahme ist dabei, dass der „richtige" Preis über Rabatt- und Sonderpreisaktionen hinausgeht. „Ein kontinuierliches Anpassen und Austarieren von Preisen bringen Unternehmen und Kunden auf lange Sicht einen viel höheren Nutzen", ist Joachim Hertel überzeugt. „So können Kundenvorlieben berücksichtigt, ein eigenes Preis-image aufgebaut sowie höhere Roherträge erzielt werden."
Messbare Kriterien fürs Pricing
Preise sollten weder intuitiv noch ausschließlich auf Grundlage unternehmensinterner Daten und Prozesse festgelegt werden. „Das Pricing sollte sich vielmehr nach äußeren, messbaren Kriterien richten und auch die Kundensicht berücksichtigen. Der Schlüssel liegt in der Erhebung, Auswertung und Verarbeitung sowohl von internen Daten als auch von Wettbewerbs- und Kundendaten."Und da fängt das Dilemma an: „Auch wenn man nur wenige Parameter hat, gibt es unzählige Möglichkeiten, die Preise in Warensegmenten festzulegen. Selbst der schnellste Rechner würde dazu ewig brauchen", beschreibt Joachim Hertel das grundsätzliche Problem. „Deshalb behaupten wir auch nicht, den besten Preis zu finden - dafür aber einen ziemlich guten."
Dazu brauchen die Zahlenkünstler natürlich so viele Informationen wie möglich. Soll zum Beispiel der Kunde als „Objekt der realen Welt" simuliert oder analysiert werden, übernehmen das Software-Agenten in der sogenannten Retail Simulation Engine: „Diese Agenten können aus vorhandenen Daten wie Kassenbon- oder Kundenkarten-Informationen automatisch Verhaltensmuster erkennen und sie in Verhaltensnetze umsetzen", erläutert Hertel.
„Dabei berücksichtigen sie, wie wahrscheinlich ihr Eintreten ist. Auf diese Weise können die Agenten in den Simulationen auf gewisse Umwelteinflüsse wie zum Beispiel Preiserhöhungen, Werbeaktionen oder Veränderungen im Sortiment entsprechend reagieren."
Dazu verwendet das Team um Joachim Hertel einen sogenannten Genetischen Algorithmus: „Das beruht auf der Idee, die auch die Natur in der Evolution benutzt", so der Wissenschaftler. „Wir kodieren Preisvorschläge als DNS künstlicher Lebewesen, deren Evolution wir im Rechner simulieren. Durch Mutation, Neukombination und Selektion der besten Preisvorschläge werden in vielen tausend Durchläufen immer bessere Ergebnisse erzielt, bis sich schließlich eine optimale Kombination von Preisen ergibt."
Zielgesteuerte Werbemaßnahmen
Zum Beispiel bei der Promotion an der Kasse: Blitzschnell errechnet der Computer einen individuellen Rabattcoupon, der den Kunden zum nächsten Kauf animieren soll. „Mit den heutigen technischen Möglichkeiten rund um die Werbebroschüre ist es auch kein Problem, jedem Kunden ein individuelles Angebotsblatt zu schicken", sagt der Dacos-Chef.Um den Datenschutz müsse sich im Übrigen niemand sorgen: „Wir nutzen anonymisierte Daten, die dem Unternehmen vorliegen", erläutert er. „Es handelt sich dabei nicht um kritische oder persönliche Daten. Der Datenschutz der Verbraucher bleibt gewahrt."
Auch bei der „grundsätzlichen" Werbung kann man sich von den klugen Maschinen helfen lassen: „Wir benötigen nur die Vorgaben, was der Händler erreichen will, ob er mit einer Promotion viele Kunden in den Laden holen will, viel Umsatz oder aber viel Ertrag anstrebt", so Joachim Hertel. „Wir erstellen dann eine Analyse, welche Artikel das höchste Kaufinteresse wecken."
Die letzte Entscheidung und die grundsätzliche Strategie bleibt natürlich immer in der Hand des Händlers, der Rechner liefert „nur" Anregungen. Aber das offenbar mit Erfolg: „Dass man die Künstliche Intelligenz erfolgreich einsetzen kann, beweisen schon Kunden wie Globus, tegut oder dm."
Artikelnachfrage genau prognostizieren
Auch die Otto Group ist ein Fan der klugen Maschinen: Die Hanseaten haben vor Kurzem gemeinsam mit Professor Michael Feindt von der Universität Karlsruhe das Unternehmen Phi-T products & services gegründet, um die Artikelnachfrage möglichst genau zu prognostizieren.„In den Testreihen ließen sich die Absatzprognosen der Kataloge um 20 bis 30 Prozent verbessern, bei den Onlineartikeln sogar um 50 Prozent", schwärmt Hans-Otto Schrader, Vorstandsvorsitzender der Otto Group. „Das lernfähige künstliche System hat uns überzeugt, deshalb nutzen wir es seit April dieses Jahres für die Absatzprognose in allen Textilbereichen bei Otto."
Joachim Hertel ist davon überzeugt, dass die intelligente Technologie in Zukunft zum Zünglein an der Waage wird: „Themen wie Sortiments-, Preis- und Promotionspolitik werden in dem Maße wichtiger, wie der Kunde in den Mittelpunkt rückt", prophezeit er. „Ob der Händler diese Customer Intelligence Technologie einsetzt oder nicht, kann in diesem von sehr kleinen Gewinnmargen geprägten Markt schnell eine Frage des Überlebens sein."