Das Zukunftsinstitut beschreibt in vier möglichen Szenarien, wie die Corona-Krise die Welt fundamental verändern könnte. Alle haben Auswirkungen auf den Konsum.
Nun können auch Trendforscher nicht unbedingt die Zukunft vorhersagen, aber sie haben Methoden und Werkzeuge, mit denen sich die möglichen Folgen der Pandemie einschätzen lassen. Das Zukunftsinstitut hat daher vier solcher Szenarien entwickelt, die beschreiben, wie unsere Zukunft nach der Pandemie mittelfristig aussehen könnte und im Whitepaper "Der Corona-Effekt" veröffentlicht.
Spoiler-Alarm: Dank Schriftstellern wie George Orwell (1984), Marc-Uwe Kling (Quality Land) oder Filmemachern wie Ridley Scott (Blade Runner) kommen einem einige Szenarien erschreckend bekannt vor.

Szenario 1: Die totale Isolation – Alle gegen alle
Die Super-Safe-Society entsteht: "Am Anfang war der Shutdown – und der Shutdown ist zur Normalität geworden", prognostizieren die Forscher. Sicherheit steht an erster Stelle und kann nur gewährleistet werden, weil die Länder die Grenzen dieser Sicherheitszone klar abstecken. Für die Ausreise in ein anderes EU-Land braucht man eine Genehmigung, will man in ein Land außerhalb der EU reisen, muss man sogar ein langwieriges Visumverfahren durchlaufen.Germophobia, die Sehnsucht nach Keimfreiheit, lässt das Misstrauen gegenüber Produkten, deren Herkunft nicht klar nachverfolgbar ist, kontinuierlich anwachsen. Die Handelsabkommen der einzelnen Staaten untereinander gewährleisten diesem Szenario zufolge die Grundversorgung – aber eben mehr auch nicht. Großveranstaltungen gibt es nicht mehr, Versammlungen dürfen nicht mehr als zehn Personen umfassen. Das öffentliche kulturelle Leben ist zum Erliegen gekommen. Konzerte oder Sportevents finden noch statt, aber das Publikum sitzt zu Hause und beobachtet das Geschehen von der Couch – kostenlos, vom Staat gefördert. Einst beliebte "Third Places" wie Kneipen und Cafés werden gemieden, Restaurants sind zu Geisterküchen mit Lieferservice geworden.
Jeder ist sich selbst der Nächste, und der Staat setzt alle verfügbaren Mittel zum Schutz der Bürger ein. Und der Mensch lebt gerne in der totalen Isolation.
Szenario 2: System-Crash – Permanenter Krisenmodus
Die Welt bleibt im permanenten Krisenmodus. Da sich Länder auf die nationalen Interessen fokussieren, ist das Vertrauen in die globale Zusammenarbeit massiv erschüttert. Man hört nicht mehr nur vereinzelte Parolen wie "America first", sondern jede Nation ist sich selbst die Nächste. Die Sorge vor einer abermaligen Pandemie macht jede noch so kleine lokale Verbreitung eines Virus zum Auslöser drastischer Maßnahmen, von Ausgehsperren und Grenzschließungen bis zum Kampf um Produkte des täglichen Bedarfs und medizinischer Geräte.Nun schlägt auch die Stunde für Big Data: Je unsicherer die Zeiten, umso mehr Analyse wird verlangt, und dazu braucht man Daten, Daten, Daten. Künstliche Intelligenz simuliert Krisenszenarien und steuert Krisen. Cybercrime im staatlichen Auftrag nimmt zu, um internationale Konkurrenten zu schwächen.
Der Überwachungsstaat erwacht: Predictive Analytics, die datenbasierte Vorausberechnung menschlichen Verhaltens, wird in der permanent verunsicherten Gesellschaft immer wichtiger.
Datenschutz ist größtenteils abgeschafft, Gesundheitsdaten werden zur Staatsangelegenheit – und die Bevölkerung macht auch noch mit. Immer mehr Menschen setzen auf "Self Tracking" und überwachen ihre Vitalwerte durch Smart Devices, die persönliche Gesundheitsdaten in die staatlichen Datenbanken einspeisen.
Szenario 3: Neo-Tribes – Der Rückzug ins Private
Was schon vor dem Virus anfing, wird nun zum obersten Prinzip: Nach der Corona-Krise entwickelt sich die globalisierte Gesellschaft wieder zurück und besinnt sich auf ihre lokalen Strukturen.Menschen legen mehr Wert denn je auf regionale Erzeugnisse. "Die Kartoffel vom Bauern nebenan ist die neue Avocado, an Poke Bowls im Szene-Lokal denkt niemand mehr."
Die Menschen besinnen sich zurück auf Familie, Haus und Hof. Gemeinschaft wird im Kleinen gesucht, immer in vorsichtiger Abgrenzung zu "den Anderen". Nachhaltigkeit und Wir-Kultur sind wichtige Werte, die jedoch nur lokal gedacht werden, nicht global.Die Kartoffel vom Bauern nebenan ist die neue Avocado.
Es wird viel gestreamt, via Virtual Reality kann man an Mega-Events teilnehmen, ohne dabei das sichere Zuhause verlassen zu müssen. Nachbarschaftshilfe wird großgeschrieben, es existieren feste Strukturen, wie man sich im Krisenfall untereinander helfen kann.
Vorräte werden geteilt oder getauscht, auf die Alten und Schwachen wird besondere Rücksicht genommen. Auch ziehen Menschen vermehrt aufs Land oder in kleinere Städte – die Progressive Provinz erreicht ihren Höhepunkt.
Dadurch, dass Flexibilität am Arbeitsplatz aus der Not heraus flächendeckend ermöglicht wurde, haben sich Arbeitskulturen dauerhaft verändert.
Home Office ist nun essenzieller Bestandteil jeder Unternehmenskultur, internationale Unternehmen vereinbaren Meetings in virtuellen Konferenzen, Verträge werden via Blockchain geschlossen.
Digital-Health-Anwendungen errechnen schon im Vorhinein das mögliche Risiko persönlicher Geschäftsmeetings – von denen aber ohnehin meist abgeraten wird.
Szenario 4: Adaption – Die resiliente Gesellschaft
Die Welt lernt und geht gestärkt aus der Krise hervor. Die Menschen sind flexibler im Umgang mit Veränderung. Die Weltwirtschaft wächst weiter, aber deutlich langsamer. Unternehmen brauchen neue Geschäftsmodelle und müssen unabhängiger vom Wachstum werden."Damit stellt sich automatisch die Sinnfrage nach dem Zweck des Wirtschaftens: Immer mehr Profit? Oder vielleicht doch bessere, sozial und ökologisch vorteilhaftere Problemlösungen für Kunden und andere Stakeholder?", schreiben die Zukunftsforscher.
Die Menschen reflektieren, wo die Güter herkommen, neue Konsummuster entstehen. Weil globaler Produktions- und Handlungsketten ausfallen, werden heimische Alternativen wiederentdeckt.
Der stationäre Handel, regionale Produkte und Lieferketten erleben einen Aufschwung, es entsteht eine sinnvolle Balance zwischen online und offline, ein Gleichgewicht von lokalem und globalem Handel und eine Blüte der Direktvermarktung: Wochenmärkte, regionale Erzeuger und lokale Onlineshops. Die Monopolstellung von Onlinehändlern wie Amazon und Alibaba hat sich zugunsten mehrerer kleinerer Unternehmen aufgelöst, die weniger abhängig von globalen Produktionsketten und schneller lokal verfügbar sind. Die Gesellschaft bewegt sich weg von Massenkonsum und Wegwerf-Mentalität, hin zu einem gesünderen Wirtschaftssystem.
Gesundheit betrifft nicht mehr nur den individuellen Körper und das eigene Verhalten, sondern wird ganzheitlicher betrachtet: Umwelt, Stadt, Politik, Weltgemeinschaft – all das sind wichtige Faktoren für die menschliche Gesundheit. Die lokale Ebene (Städte, Gemeinden, Bürgermeister etc.) verknüpfen sich direkt mit globalen Organisationen.Die Gesellschaft bewegt sich weg von Massenkonsum und Wegwerf-Mentalität.
So dass lokale Probleme schnell und kreativ gelöst und auch globale Risiken schneller erkannt und kooperativ angegangen werden können.
Das gemeinsame Überstehen der Krise verhilft zu einem neuen, achtsamen Umgang miteinander und einem fundamentalen Wertewandel: Solidarisierung und Wir-Kultur nicht nur mit den Nächsten, sondern auch auf internationaler und globaler Ebene.
Das kontinuierliche Voneinander-Lernen in einer Vielzahl funktionierender Netzwerke schafft eine globale Resilienz.
Die Band R.E.M. schaffte es übrigens mit ihrem 1987er Song „It’s The End Of The World“ dieser Tage erneut in die Charts. Darin heißt es: "Es ist das Ende der Welt, wie wir sie kennen und ich fühle mich gut." In diesem Sinne: Bleiben Sie gelassen – und gesund.
Das Whitepaper finden Sie hier.
Der Artikel erschien zuerst auf dem Onlineportal der allgemeinen fleischer zeitung Fleischwirtschaft.de