Nur im Lebensmitteleinzelhandel und in Drogerien ist noch Bewegung. Nahezu im kompletten übrigen stationären Einzelhandel stapelt sich die Ware. Gerade für kleine Unternehmen, die bislang noch keinen erfolgreichen Onlineshop haben, wird das Dilemma deutlich – die Ware kann weder vor noch zurück.
„Warum habt ihr nicht vorher auf Online gesetzt?“ Diesen Satz hört man gerade häufig, ist jedoch nicht zielführend.
Man sollte den vielen kleineren Händlern und Filialisten nicht vorwerfen, dass sie bisher keinen eCommerce betrieben haben. Denn die meisten wären aufgrund der Komplexität und der Kosten schon vorher insolvent gegangen. Wie man sieht, ist es sogar für größere Marken und Händler existenzbedrohend.
Das Dilemma liegt in der Struktur
Die aktuelle Situation legt dennoch den Blick frei auf grundlegende Schwierigkeiten, die der stationäre Einzelhandel im Non-Food-Bereich hat und die jetzt verheerend wirken können.
Da ist zum einen die Friktion in der Warenbereitstellung für Konsumenten zu nennen. Ladengeschäfte sind aus Warensicht nichts weiter als Lager, die zugegebenermaßen hübsch ausstaffiert sind.
Über den Autor
20 Jahre Erfahrung in digitalen Geschäftsmodellen haben Marcel Brindöpke bis heute geprägt. Bei Otto half er schon früh mit, die kuratierte Plattform Otto.de aufzubauen. 2011 folgte der Schritt zur Selbstständigkeit als E-Commerce-Berater. In dieser Rolle entwickelte Brindöpke das Online-Geschäft für Kunden wie Otto, Breuninger, Peter Hahn, ebay, den Drogeristen Müller sowie Quelle weiter.
© heyconnect
Mit der Idee eines neuen Online-Handel-Modells, das die Anbindung von Modemarken an große Marktplätze ermöglicht, gründete Brindöpke gemeinsam mit Florian Curdt im Januar 2012 schließlich heyconnect. Heute betreut
heyconnect mehr als 150 Marken aus den Bereichen Fashion, Living oder Cosmetics: von der Erstellung des Contents, der technischen Anbindung und der monatlichen Abrechnung bis hin zum Fulfillment der Bestellungen. Und ermöglicht ihnen einen unkomplizierten Einstieg in über 30 Marktplätze in zehn Ländern.
Aber die Produkte stranden dort, wenn dieses Lager nicht mehr benutzbar ist. Gerade im Textilhandel sind Geschäfte oft reine Einkäufer, das heißt der Weg zurück in Verteilzentren (sprich die Obhut der Produzenten) ist nicht einfach machbar.
Und auch nach vorne, zum Kunden, gibt es keine echte Alternative. Zwar fußt die Allokation des Bestandes auf Annahmen zum Absatz, aber eben nur für das Biotop Ladengeschäft.
Treten diese Annahmen nicht (mehr) ein, so kommt der Warenstrom zum Erliegen, da es keinen zweiten Weg zum Kunden gibt. Aktuell heißt das: Selbst wenn die Kunden die gleiche Nachfrage hätten wie vor Corona, diese aber nur online befriedigen können, so steht nun ein Großteil dieser Menge nicht zu Verfügung. Für die Ware bedeutet dies: Es gibt kein Zurück. Aber auch keinen Verkauf.
etailement Expertenrat
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Ein weiteres Problem ist die Angebotsfähigkeit von stationär verfügbarem Bestand. Unzertrennliche Geschwister im Online-Handel sind nun einmal Bestand und Content, sprich Bilder und Texte. Content bedeutet jedoch Fixkosten, deren Rentabilität sich an der Menge der verkauften Produkte misst. Hat ein Mode-Händler nur vier Teile pro Größe, so ist die Produktion von Content für 80-100 Euro nicht rentabel.
Business Guide
28 Seiten Ratgeber Recht: Welche Gesetze durch die Krise helfen
Für viele Unternehmen spitzt sich die Lage in der Corona-Krise zu. Die Management-Herausforderungen sind gewaltig. Flexibilität ist gefragt. Gesetze und Recht bieten da Orientierung und schaffen selbst neue Flexibilität. Der Business Guide „Recht: Welche Gesetze durch die Krise helfen“ liefert auf 28 Seiten Antworten auf die drängendsten Fragen. Mehr lesen
Entsprechend nötig sind digitale Produktkataloge, die aber derzeit nicht von der Industrie gebaut werden, sondern entweder von Händlern (Amazon) oder Anbietern wie Fashion Cloud.
Entsprechend schlecht ist der allgemeine Zugang zu einem solchen Katalog (den man übrigens recht leicht auf sämtliche Plattformen und eCommerce-Anforderungen mappen könnte). In anderen Industrien (Spielzeug, Musikindustrie, Elektronik) sind derartige Kataloge schon bekannter.
Zentraler Produktkatalog – Voraussetzung für höhere Zirkulation
Gut für sie, denn nur ein zentraler Katalog würde es Händler ermöglichen, einen Weg aus der Sackgasse der Warenbereitstellung zu finden.
Denn dann ist „nur“ noch die Herausforderung des Versandes zu lösen, wo es Lösungen wie gaxsys gibt, die als Verteilplattform für Aufträge (zum Beispiel von Plattformen) agieren.
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Die Woche im Handel
Mexiko verbietet Corona, und warum die Krise auch gut ist für den deutschen Einzelhandel
Mexikanische Männer stehen seit dieser Woche vor einem kaum lösbaren Problem, gegen das der Mangel an Toilettenpapier harmlos ist. Deutsche Innenstädte könnten bald ein anderes Problem haben, wenn die Karstadt-Kaufhof-Krise die allerschlimmsten Folgen hätte. Aber es gibt für die Einkaufsquartiere Hoffnung, dass sich nach der Corona-Krise auch vieles zum Guten ändern kann. Mehr lesen
Hier müssen sich die Händler vor allem prozessual so aufstellen, dass sie die hohen Anforderungen an den Versand der Ware (keine Stornos, schnelle Auslieferung, schnelle Rückerstattung) erfüllen. Dies ist aus den aktuellen Infrastrukturen sicher nicht leicht lösbar, aber Grundvoraussetzung.
Sind diese Wege „nach vorne“, also zum Kunden hin gelöst, so werden sich auch die Bewirtschaftungsmodelle ändern müssen, damit Ware freier im B2B-Markt zirkulieren kann, also der Weg „nach hinten“, zum Lieferanten offener ist.
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Spezial-Dossier
Die Corona-Krise 4 – Jetzt herunterladen
Wie stemmen sich Händler gegen die Krise? Die Top-Titel der dfv Mediengruppe, zu auch etailment.de gehört, bündeln fortan die wichtigsten Berichte aus verschiedenen Branchen in einem „CORONA-Dossier“. Mehr lesen
Dieser Prozess wird von großen Plattformen bereits geführt, die das Bestandsrisiko auf die Hersteller abwälzen. Kleineren Händlern steht dieser Weg – verständlicherweise – nur selten offen.
So sind in der derzeitigen Krise gleich beide Seiten betroffen: Händler, die georderte Ware abnehmen müssten, aber kein Business mehr haben. Und Hersteller, die ihre gelieferte Ware nur noch mit Glück bezahlt bekommen vom Händler und auf den Produktionskosten sitzen bleiben.
Innovationen in der Wertschöpfungskette sind Mangelware
Dieser Trend ist seit Jahren ein Problem, insbesondere in der Modebranche, getrieben durch die Plattformökonomie. Diese Wertschöpfungskette mit den jeweiligen Geschäftsmodellen ist bisher kaum verändert worden, weil sie auch für Hersteller oft genug noch funktioniert hat. Doch die fehlende Innovation in diesem Markt ist insbesondere bei solch heftigen äußeren Schocks, wie es das Sars-CoV-2-Virus darstellt, besonders schmerzhaft.
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Platz da: Wie die Corona-Krise die Nachfrage nach Lagerflächen treibt
Tonnenweise Ware drückt derzeit in den Handel, die Unternehmen wissen kaum noch, wohin damit. Sie brauchen Flächen zum Zwischenlagern. Und die Lebensmittler brauchen zusätzliche Flächen, weil ihre eigenen Lager nicht mehr ausreichen. Der Logistikimmobilien-Markt brummt wie nie, doch Hamsterkäufe sind nicht der Grund. Mehr lesen
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Im aktuellen Heft
• Krisen im Buchhandel: Erst kamen Bücher von Amazon, dann Kindle und nun Corona. Und: Wie Weltbild nach der Insolvenz die Transformation zum Multichannel-Händler geschafft hat.
Mehr dazu in der Aprilausgabe des Wirtschaftsmagazins
Der Handel Fazit: Die Corona-Krise hat Defizite im stationären Handel, am Beispiel des Textilhandels, aufgezeigt. Da der eigene Laden der Kanal ist, auf den sich die gesamte Wertschöpfungskette ausgerichtet hat, ist das Konstrukt sehr anfällig für Störungen.Zentrale Content-Kataloge, flexible Prozesse zur Warenbewirtschaftung, damit die Ware immer dort ist, wo Nachfrage herrscht, und grundlegende Prozesse für den Online-Versand (über Plattformen im Wesentlichen) sind unerlässlich, um krisenfest zu sein. Doch wer kann hier Prozessführer sein? Industrie oder Zalando & Co. kommen hier infrage.
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