Es ist vielleicht die größte Herausforderung für den stationären Handel: Der Versuch, Markenerlebnis und Customer Experience zwischen der Off- und Onlinewelt zu vernetzen und dabei mit jenen Anbietern aus dem E-Commerce Schritt zu halten, die bereits digitale Touchpoints in die analoge Shopping-Umgebung verlagern. Amazon treibt das technologisch voran. Doch je mehr sich traditionelle Händler dem digitalen Wandel öffnen, desto mehr können sie mithalten – technisch, aber vor allem auch mit Blick auf die emotionale Verbindung zum Kunden.
Klar, wirklich neu ist dieser Ansatz nicht: Bereits im Jahr 1985 zeigte ein Apple-Video (leider nicht mehr online) eine erstaunliche Küchenszene der Zukunft. Als eine Art Alltagshelfer hing damals ein klobiger, kleiner Mac unter dem Küchenschrank. Deutlich kleiner ist heute der Amazon Dash-Button. Ein Einkaufshelfer, kaum größer als eine Streichholzschachtel. Leicht angebracht in Küche, Bad & Co. können Kunden mit diesem Plastikteil auf Knopfdruck ihr Waschmittel, den Kasten Wasser oder das Toilettenpapier bei Amazon nachbestellen – je nachdem, mit welcher Marke der Dash-Button gebrandet ist. Ein Touchpoint für die ganz bequemen Kunden und eine Art Pril-Blume 2.0.
In den 70er Jahren pappte man schließlich die bunten Aufkleber der Spülmittel-Marke Pril dekorativ auf Fliesen. Der geniale Marketing-Kniff war ein Kundenklebstoff par Excellence. Die Marke brannte sich ins Hirn, war Teil des Alltags. Der Amazon Dash-Button ist im Grunde die Smart-Home-Variante der Pril-Blume und ungleich potenter.
Anders als die Pril-Blume, deren Mehrwert vor allem darin bestand, beizeiten zum Experten für Klebstoffentfernung zu avancieren, bietet der Dash-Button einen deutlichen Mehrwert für den Kunden. Nichts notieren müssen, nicht mehr den Rechner aufklappen, durch Apps klicken. Überhaupt nicht mehr an die Bestellung des nächsten Waschmittels und Toilettenpapiers denken müssen. Schlicht, weil es einem der Dash-Button immer wieder ins Bewusstsein hämmert. Das erzeugt noch dazu eine gewaltige Markenbindung. Wer würde noch die Marke eines Low Involvement-Produktes wechseln, wenn der Einkauf so leicht ist?
Glückliche Kunden? Mehr Customer Experience geht kaum!
Der Amazon Dash-Button ist aber auch Ausdruck einer umfassend verstandenen Customer Experience mittels Technologie. Technische Gadgets wie dieses machen das Leben leichter, stellen so eine dauerhafte emotionale Verbindung her, erzeugen eine zumindest gefühlte Personalisierung und übermitteln ein Serviceversprechen – nämlich die umstandslose prompte Bestellung und Lieferung. Neben einer datengetriebenen Personalisierung im Webshop zählen Bequemlichkeit und Sofortigkeit vor allem im Service und im Marketing zu den zentralen Elementen der Customer Experience bei den Pure Playern. Bislang galt es als ausgemacht, dass sich gerade der stationäre Handel, gebremst von „Brick & Mortar“, hier noch lange sehr schwer tun wird oder nur sehr zögerlich folgt.
Doch während andere Händler den Dash-Button noch als PR-Gimmick belächelten, war der britische Händler Waitrose, eine Supermarktkette mit rund 300 Filialen und Online-Shop, bereits auf Einkaufstour. Das Ergebnis: Ein Deal mit dem US-Startup Hiku und ein kleiner, weißer Magnet als Einkaufshelfer für die ganze Familie.

Nützliche Technologie als emotionaler Hebel im Laden
Doch was geht in den Filialen, die mehr und mehr zur teuren Achillesferse des Handels werden? Im neuen Flagshipstore des Fußballfachhändlers 11Teamsports in Berlin können Kunden an einer interaktiven Display-Installation namens „Replica Kiosk“ per Touch-Steuerung durch die gesamte Nike Team-Palette navigieren. Zugleich erfahren sie über das angebundene Warenwirtschaftssystem, ob das Wunschtrikot in der passenden Größe im Shop oder Online-Store verfügbar ist.

Neue Wege beschreitet auch ein Multitouch Footwear Table, den zeitgleich mehrere User verwenden können. Legt der Kunde einen Nike-Schuh auf den Tisch, erkennt ihn das System über RFID-Technologie automatisch und zeigt in Echtzeit an, in welchen Größen und zu welchen Preisen der Schuh online oder im Shop verfügbar ist und liefert zusätzliche Produktinformationen. Da ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zu einem digitalen Spiegel, der während der Anprobe alle Informationen digital anzeigt und den Schuh in weiteren Farbkombinationen vorführt. Eine Spielerei? Vielleicht. Aber hier werden digitalen Features für drei wesentliche Aspekte der Customer Experience genutzt: emotionale Inhalte, Unterhaltung und ein individuelles Produkterlebnis.
Der vernetzte Mitarbeiter für eine bessere Einkaufserfahrung
Auch bei der Buchhandelskette Mayersche Buchhandlung unternimmt man so einiges, um den Onlinekunden an der Handelsmarke zu halten. Deren Anstrengungen zeigen, dass sich ein Händler auf vielen Feldern gleichzeitig bewegen muss, um die Customer Experience rundum zu verbessern. Dazu gehören dann auch Details wie ergänzender attraktiver Content im Shop (Video-Trailer), eine Online-Community, Multitouch-Kiosksysteme, Shopping-App mit Scan-Funktion, Click & Collect und vor allem die Mitarbeiter als Omnichannel-Schnittstelle der Customer Experience.
So können Kunden künftig im Laden Fotos der Mitarbeiter scannen und sich so deren persönlichen Empfehlungen auf dem Smartphone anzeigen lassen. „So schaffen wir es, unsere Kunden sofort zu beraten, selbst wenn gerade sämtliche Mitarbeiter beschäftigt sind“, sagt Stephan Erlenkämper, IT-Chef der Mayerschen Buchhandlung. Die Fotos der Mitarbeiter hängen künftig auch im Schaufenster – für die Beratung nach Ladenschluss und den Einkauf per App.
Die mobile Verzahnung

Zentrales Element ist dabei ein Newsfeed-ähnlicher Dienst namens „Target Run“, mit dem Nutzer Informationen, Karten, Listen, aber auch Angebote und Produktempfehlungen passend zu ihrem Standort finden und der zugleich als eine Art Homepage der Target-App fungiert. Das spart dem Kunden Zeit, erleichtert ihm den Einkauf und hilft ihm dabei, neue relevante Produkte zu entdecken. Auffälligerweise hat Target sich bei seinem Beacon-Projekt für die Nutzung der eigenen App entschieden und nicht für eine Kooperation mit einem der derzeit zahlreichen Anbieter rund um Beacon- und Loyalty-Lösungen. Für eine Kette in der Größenordnung von Target macht das auch durchaus Sinn. Wird doch so die Markenerfahrung und die Kundenbindung mehr gestärkt als beim Einsatz der App eines Drittanbieters. Auch Target denkt dabei übrigens an die Vernetzung der Mitarbeiter. Künftig sollen Kunden über die Beacon-taugliche App auch die Hilfe eines Verkäufers anfordern können.

Vorläufig.