Die Verdi-Vizechefin Margret Mönig-Raane über Zeitarbeit bei Schlecker, Mindestlohn im Handel, die Zukunft von Karstadt sowie die PR-Strategie von Arbeitsministerin von der Leyen.

Als das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) im Jahr 2004 reformiert wurde, waren wir optimistisch, dass wir die Zeitarbeit aus der Schmuddelecke heraus holen können. Es war damals nicht absehbar, was sich durch Gefälligkeitstarifverträge der sogenannten christlichen Gewerkschaften für Missbrauchsmöglichkeiten ergeben würden. Nun sind diese Fälle aktenkundig. Ich halte es für selbstverständlich, dass wir mit den politisch Verantwortlichen die Korrekturmöglichkeiten ausloten. Das werden wir im Gespräch mit Frau von der Leyen tun. Ich bin froh darüber, dass sie die Missstände erkannt und Handlungsbereitschaft signalisiert hat.
Für Verdi dürfte es ein Segen sein, dass ausgerechnet ein Mitglied einer konservativen Bundesregierung PR für Gewerkschaftsthemen betreibt.
Die Ministerin hat - wie wir auch - festgestellt, dass es Arbeitgeber gibt, die das AÜG dazu benutzen, Stammbelegschaften dauerhaft als Leiharbeitnehmer zu beschäftigen, um dadurch Löhne zu drücken und sich Wettbewerbsvorteile zu erschleichen.
Das Zeitarbeitsystem und die Mitarbeiterentlohnung bei Schlecker kritisiert Verdi nicht erst seit gestern. Die ersten XL-Märkte wurden ja schon im Sommer 2009 geöffnet. Doch erst jetzt hat auch die Politik das Thema entdeckt. Was erhoffen Sie sich von dieser neuen öffentlichen Diskussion?
Ich erwarte, dass diesem dramatischen Missbrauch von Leiharbeit ein Riegel vorgeschoben wird. Wie groß dieser Riegel sein wird, weiß ich nicht. Denn bei sozialpolitischen Themen habe ich der neuen schwarz-gelben Regierung bisher nicht viel zugetraut - lasse mich aber gerne enttäuschen. Zudem erwarte ich, dass Schlecker diesem Missbrauch ein Ende macht.
Ist Schlecker im Einzelhandel die schlechte Ausnahme beim Thema Leiharbeit ?
Angesichts der Brutalität, mit der das Unternehmen dieses System durchgezogen hat, ragt Schlecker schon heraus. Ich hoffe aber, dass auch andere Handelsbetriebe ihre Leiharbeitsmethoden überprüfen. Dabei denke ich zum Beispiel an die Regal-Auffülltrupps in Supermärkten, die nicht tarifgebunden sind und für sehr kleines Geld arbeiten.
Dank Schlecker hat auch die Diskussion um einen Mindestlohn im Einzelhandel neue Nahrung bekommen...
...und das ist ausgezeichnet. Ich hoffe, dass der Skandal genügend Schwung erzeugt, dass wir im Prozess um mehr branchenbezogene Mindestlöhne und auch um den branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn eine neue Dynamik bekommen. Hoffentlich gerät die Diskussion um Schlecker nicht in zwei Wochen wieder in Vergessenheit.
Also müssen Sie dieses Feuer am Brennen halten. Wie wollen Sie das schaffen?
Wir machen Missstände öffentlich und thematisieren die Anliegen unserer Mitglieder zu allen Gelegenheiten: In der Öffentlichkeit und bei den politisch Verantwortlichen, zu denen wir ja durchaus unsere Kontakte haben.
Auch beim Mindestlohn? HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth hat ja hier bereits Stellung dagegen bezogen und betont, dass im Einzelhandel überwiegend nach Tarif bezahlt wird.
So einfach ist es aber nicht. Auch der Einzelhandel lagert Tätigkeiten, die originär zur Branche gehören, immer mehr an Dienstleister aus. Wie eben die erwähnten Auffülltrupps, die von schlecht bezahlten Leiharbeitern gestellt werden. Wir müssen versuchen, dass möglichst viele Unternehmen in die Tarifbindung kommen.
Und Sie müssen versuchen, dass diese Tarifbindung nicht mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen zustandekommt. Besteht bei Verdi Hoffnung, dass das Bundesarbeitsgericht entscheidet, dass diese Vereinigung nicht tariffähig ist und vom Markt verschwindet?
Ja, diese Institution hat das Etikett Gewerkschaft nicht verdient. Doch es gibt leider noch genug ähnliche Mitstreiter - wie zum Beispiel der Deutsche Arbeitnehmer-Verband.
Hat der Fall Schlecker Folgen für die gesamte Einzelhandelsbranche?
Ich glaube, dass es den anderen Unternehmen, die ordentlich arbeiten, immer weniger gefällt, mit Betrieben wie Schlecker in einen Topf geworfen zu werden. Ich habe den Eindruck, Schlecker hat den Bogen überspannt.
Besteht diese Angriffslust auch beim Kampf um die Rettung des insolventen Warenhauses Karstadt?
Ich hoffe sehr, dass Karstadt noch in der ersten Hälfte des neuen Jahres, einen neuen Eigentümer haben wird. Und dann geht es mit kräftigen Schritten mit dem Unternehmen vorwärts und raus aus der Insolvenz.
Bleiben dabei noch weitere Filialen auf der Strecke als die sechs bereits bekannten Häuser, die geschlossen werden sollen?
Verdi und der Karstadt-Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg haben einen Vertrag geschlossen. Darin wurde vereinbart, dass alle anderen Filialen für die nächsten drei Jahre eine Bestandsgarantie besitzen.
Interview: Steffen Gerth