Mit eigenen Läden in den USA und der Biokette Whole Foods legt Amazon seine Blaupause für stationäre Geschäfte in Deutschland vor. Entweder erstart man vor Ehrfurcht, oder man nimmt die Botschaft mit: das stationäre Geschäft lebt! Es kostet allerdings Geld, dies auch am Leben zu halten.

 
Es ist nun ein Jahr her, dass sich Amazon in den USA die Bio-Handelskette Whole Foods mit ihren 470 Filialen für fast 14 Milliarden Dollar einverleibte. Ein Jahr, in dem sich beobachten ließ, wie der amerikanische Onlineriese sein stationäres Geschäft angeht, zumindest wenn es zugekauft ist: Nämlich vor allem über den Preis. Wie die Lebensmittel Zeitung unter Berufung auf Marktforscher und Analysten berichtet, wurden die meist deutlich über dem Wettbewerb angesiedelten Preise von Whole Foods teils drastisch gesenkt. So kostet das Pfund Bio-Bananen heute statt 99 US-Cent nur noch 69 Cent.

Damit scheint es der Amazon-Tochter gelungen zu sein, die zuletzt eher schwache Kundenfrequenz wieder zu verbessern. Denn trotz der Preissenkungen kletterte der Umsatz des Bio-Spezialisten  binnen Jahresfrist um  15 bis 17 Prozent.

Enge Verzahnung mit dem Kerngeschäft

Zudem verzahnt der US-Konzern seine Bioläden Schritt für Schritt mit dem Kerngeschäft im Netz. Immer mehr Produkte von Whole Foods finden sich im Angebot des Lebensmittel-Lieferservices Amazon Fresh wieder. Umgekehrt wurden in etlichen Whole Foods-Filialen Paket-Abholstationen installiert, womit sich zusätzlich Onlinekunden in die Läden locken lassen. Und für diejenigen, die noch nicht über die neuesten technischen Geräte aus dem Amazon-Universum verfügen, bieten die Bio-Läden nun auch elektronische Geräte wie Echo an.

So wird in den USA immer deutlicher erkennbar, was sich  in Deutschland zunächst noch wie Zukunftsmusik anhört: Ein geschlossenes, Kanal übergreifendes System, das die Kunden quasi in jeder Lebenslage abholt. Neben Musterstores wie dem Amazon-Buchladen und dem kassenlosen Supermarkt Amazon Go lässt die Strategie bei Whole Foods erahnen, was uns in Europa erwartet. Doch zunächst ist Amazon in Deutschland noch auf der Suche nach geeigneten Flächen für stationäre Geschäfte. Passiert ist bisher allerdings wenig.

Andreas Chwallek, Chefredakteur von Der Handel und etailment.de
© Aki Röll
Andreas Chwallek, Chefredakteur von Der Handel und etailment.de

Der Laden lebt - und wenn nur als Resterampe

Allein Amazons Streben  in die stationäre Welt zeigt, dass die Zeit der echten, nicht virtuellen Läden noch lange nicht abgelaufen ist,  anders als der viel-zitierte Rocket Internet-Gründer Oliver Samwer immer wieder betont hat. Zumal dessen früher Ableger Zalando inzwischen ja selbst mit mehreren  eigenen Läden unterwegs ist. Doch hier schon von stationären Ambitionen zu reden, wäre übertrieben. Spötter sprechen bei den Zalando-Stores eher von „Resterampen“, über die möglichst viel der im Netz unverkauften Ware abfließen soll.

Keineswegs den Eindruck von Resterampen erwecken dagegen die Markenshops des spanischen Textil-Imperiums Inditex mit dem Flaggschiff Zara. Mindestens ein Jahrzehnt lang galt der 1975 gegründete Konzern quasi als Benchmark der Textilbranche, bestens aufgestellt als Produzent,  als vertikalisierter Hersteller mit eigenen Läden und vielversprechenden Omnichannel- und Online-Aktivitäten. Im britischen Stratford und im Herzen Bilbaos hatten die Spanier erst im Mai die  neuesten Flaggship-Stores von Zara eröffnet, in denen die Online- und Offline-Welten verknüpft werden -  vollgestopft mit Technik, vom  automatisierten Pick-up-Punkt für Bestellungen bis zum Self-Checkout.

Die Achillesferse von Zara

Inditex wächst noch, im ersten Quartal um 2 Prozent auf 5,7 Milliarden Euro. Und auch die Nettomarge krabbelte um einen Zehntel Prozentpunkt auf 11,8 Prozent. Doch solche hübschen Zahlen nützen gar nichts, wenn der Aktienkurs auf andere Botschaften reagiert, nämlich auf die Anfälligkeit des Unternehmens gegenüber Wechselkursschwankungen und auf die schwer einzuschätzenden Einflussfaktoren durch die Digitalisierung.

Tatsächlich wäre der Quartalsumsatz auf der Basis von Landeswährungen in den ersten drei Monaten um 7 Prozent gestiegen. Und trotz der digitalen Konkurrenz, hierzulande durch Player wie Amazon und Zalando, steht der Konzern vergleichsweise gut da.

Dennoch stürzte der Aktienkurs innerhalb eines Tages in nie gekannten Dimensionen ab, wie die TextilWirtschaft berichtet. Allein das Aktienpaket des Zara-Gründers Amacio Ortega, das bei knapp 60 Prozent der Anteile liegt,  erlebte damit innerhalb eines Tages einen Wertverlust von  4,4 Milliarden Euro.

Nun könnte man sagen, das war ein Ausrutscher. Und der Unternehmer Ortega fällt deshalb sicher nicht in bittere Armut, zumal er sein Paket ja nicht verkauft. Dennoch erhielt  der Branchenriese des Modegeschäfts einen kräftigen Schuss vor den Bug. Selbst wenn das operative Geschäft an sich zukunftsfähig aufgestellt sein sollte, wurde dies zumindest nicht überzeugend genug gegenüber Investoren und Analysten kommuniziert, um einen derartigen Absturz zu verhindern.

Mittelstand hat längeren Atem

In dieser Hinsicht haben mittelständische  Unternehmen einen klaren Vorteil: Sie sind unabhängig von Quartalsergebnissen. Sie  können langfristig planen, ja  sogar kurzfristige Verluste in Kauf nehmen, wenn das operative Geschäft Investitionen in neue Modelle und Märkte erfordert.

Mittelstand hat hier den längeren Atem. Doch mehr Zeit hat der Mittelstand nicht. Immer noch geistern horrende Zahlen von bis zu 50.000 Geschäften herum, welche die kommenden Jahre nicht überleben werden.  Darunter können auch Filialen sein, die an besseren Standorten neu eröffnet werden. Doch auch manches Familienunternehmen wird die Segel streichen, sei es, weil bis zum Ruhestand keine Nachfolger gefunden wurden, oder sei es, weil man die Herausforderung der Digitalisierung scheut.

Klar, wer heute gerade erst beginnt, eine eigene Homepage aufzubauen, hat die Zeit verschlafen. Doch es liegen Welten zwischen dem perfekten Omnichannel-System mit stark frequentiertem Onlineshop und einem ausschließlich analogen Geschäft.

Nicht immer muss gleich jede Technik her, um zu überleben. Es kommt auf das eigene Geschäftsmodell an, auf den Standort, das Sortiment, die Branche und die Kundenstruktur. Erfolgreich sind diejenigen, die sich in allem maßgeschneidert auf die Bedürfnisse ihrer Kundschaft einstellen. Wer das schafft, erfüllt wichtige Voraussetzungen der heutigen Zeit.

Ein iPad macht noch keinen digitalen Meister

Die Technik ist dabei kein Selbstzweck. Allein das iPad in den Händen des Verkäufers macht noch kein funktionierendes Warenwirtschaftssystem aus. Und um seine Kunden zu kennen, müssen  Daten über deren Bedürfnisse erhoben werden. Wenn dies jedoch nicht mit der Warenwirtschaft verknüpft wird, helfen die Daten nicht weiter.  Und selbst zig Millionen Kundendaten helfen nicht weiter, wenn diese nicht sinnvoll ausgewertet werden. Wer dazu in der Lage ist, hat die Nase vorn.   

Auf jeden Fall kostet eine zukunftsfähige Strategie Geld. Egal ob groß oder klein, jeder muss investieren – und damit ins Risiko gehen. Vielleicht wird mit manchem Experiment auf neuen Feldern sogar Geld verbrannt. Doch Investitionen und Abschreibungen sind in der Regel kalkulierbar, ebenso wie die Risiken.

Denn anders als Zara-Gründer Ortega macht der klassische Mittelständler seine Gewinne und Verluste mit sich selbst oder höchstens noch mit seiner Bank aus. Und wohl niemand im deutschen Mittelstand ist in der komfortablen Situation, an einem einzigen Tag Wertverluste von mehr als vier Milliarden Euro riskieren zu können. Gemessen daran herrscht bei den meisten Händlern dann doch eher die Armut.  

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