Der Bundesbeauftragte für Datenschutz Peter Schaar verteidigt im Interview mit Der Handel die Pläne der Bundesregierung, das Bundesdatenschutzgesetz zu verschärfen.

Ist der Regierungsentwurf zum Datenschutzgesetz aus Ihrer Sicht eine angemessene Antwort auf die Datenschutzskandale des vergangenen Jahres?
Der Entwurf ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Er stärkt das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gerade im nichtöffentlichen Bereich, indem Daten zukünftig nur dann weitergegeben werden dürfen, wenn der Betroffene hierin ausdrücklich eingewilligt hat. Allerdings enthält der Entwurf auch Ausnahmen, die mir zu weit gehen. So kann ich zwar durchaus nachvollziehen, dass gemeinnützige Organisationen anders behandelt werden als kommerzielle Unternehmen. Das darf allerdings nicht soweit gehen, dass diese Organisationen die Daten von Spendern ohne Einschränkung weiterverkaufen dürfen. Außerdem kann der  Vollzug der Datenschutzgesetze  noch weiter gestärkt werden, insbesondere dadurch, dass die Aufsichtsbehörden für den Datenschutz effektivere Durchsetzungsmöglichkeiten erhalten, etwa die Befugnis, in gravierenden Fällen eine unzulässige Datenverarbeitung zu untersagen.

Die betroffenen Branchen kritisieren, dass die Verschärfung des Gesetzes kriminellen Datenhandel nicht verhindere, seriös arbeitenden Unternehmen aber das Geschäft erschwere. Was entgegnen Sie dieser Kritik?
Leider ist festzustellen, dass bei der überwiegenden Mehrzahl der direkt adressierten Werbezusendungen  der gesetzlich vorgeschriebene Hinweis auf das Widerspruchsrecht fehlt. Beim Listbroking, also der Werbung für ein fremdes Unternehmen, ist oft nicht einmal erkennbar, wer die verantwortliche Stelle ist. Nicht umsonst sind Beschwerden zu unerwünschter Werbung seit Jahren bei den Datenschutzaufsichtsbehörden unter den „Top Ten". 95 % der Deutschen wünschen sich daher, dass ihre Daten nur noch mit Zustimmung weitergeben werden dürfen. Insofern halten sich auch manche als seriös angesehene Unternehmen nicht an die gesetzlichen Vorgaben. Außerdem sind die Daten des Listenprivilegs eine wesentliche Quelle für umfassende Persönlichkeitsprofile. Das Listenprivileg ist eine kaum durchschaubare, mit einer Vielzahl von Interpretationsrisiken behaftete Norm, die weder für die Anwender noch die Betroffenen aus sich heraus verständlich ist. Vor diesem Hintergrund ist allein die konsequente Abschaffung des „Listenprivilegs" und die Einführung der Einwilligungslösung folgerichtig und letztlich auch im Interesse der seriösen Unternehmen.

Versand- und Adresshändler befürchten durch den Wegfall des Listenprivilegs deutliche Umsatzverluste und fordern Ausnahmen für Unternehmen, die sich einem Datenschutzaudit unterziehen. Wäre diese Lösung . eine Kopplung an ein Datenschutzsiegel - eine gangbare Alternative?
Ich halte das für eine schlechte Idee. Das Datenschutzaudit soll ja herausragende, besonders datenschutzfreundliche Verfahren und Konzepte kenntlich machen. Es wäre deshalb für die Verbraucherinnen und Verbraucher geradezu absurd, wenn sie bei auditierten, und damit besonders prämierten, Unternehmen einen schlechteren Datenschutz befürchten müssten, weil diese Unternehmen ihre Daten weiterhin ohne ihre Zustimmung weiterverkaufen dürfen, was ansonsten unzulässig wäre. Das Audit würde auf diese Weise eine Prämierung einer objektiv schlechteren Datenschutzpraxis. Sie werden deshalb verstehen, dass ich mich gegen entsprechende Forderungen wende.

Auch die geplante Offenlegung der Scoring-Verfahren stößt in der Wirtschaft auf Ablehnung, da sie Geschäftsgeheimnisse berühre und Betrügern Tür und Tor öffne. Ihre Antwort... 
Ich habe den Eindruck, dass bisweilen geradezu reflexartig jede Verbesserung des Datenschutzes im nicht-öffentlichen Bereich gleichgesetzt wird mit einer Beeinträchtigung wirtschaftlicher Belange. Wenn man genau hinsieht, sind diese Bedenken unbegründet. Wirtschaftliches Handeln lebt letztlich stets vom gegenseitigen Vertrauen, das nur entstehen kann, wenn die Beteiligten fair miteinander umgehen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, dem Kunden gegenüber transparent zu machen, warum eine Entscheidung so und nicht anders getroffen wurde. Es geht hier ja nicht um ein Scoring-Verbot und auch nicht um die Offenlegung der „sehr geheimen" Scoreformeln. Der Betroffene soll ein Recht erhalten zu erfahren, auf welcher Grundlage - und das bedeutet auf welcher Datengrundlage - eine für ihn nicht unerhebliche Entscheidung getroffen worden ist. Bisher erfährt er oftmals jedoch nicht einmal, dass überhaupt ein Scorewert errechnet worden ist. Selbst wenn er dies weiß, kann er heute nicht nachzuvollziehen, ob die Entscheidung etwa aufgrund diskriminierender Bewertungen erfolgt ist. Der abstrakte Scorewert ermöglicht gerade, dass etwa der Wohnort negativ bewertet werden kann, ohne dass man dies dem Kunden so offen sagen muss. Schließlich ist es doch im Sinne der Unternehmen, dass die Betroffenen die Möglichkeit haben, fehlerhafte oder falsch interpretierte Angaben zu korrigieren.

Interview: Hanno Bender

Das Interview mit Peter Schaar erschien im Rahmen der Titelgeschichte in der März-Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Der Handel.