Der umstrittene Textilhändler Primark wächst und wächst. Neue Standorte sind in mindestens fünf deutschen Städten geplant. Das System ist straff und ausgeklügelt. Der Handel warf einen Blick hinter die Kulissen.

Es ist 11 Uhr vormittags, mitten in der Woche auf der Frankfurter Zeil: Die Menschenströme kommen erst später, lediglich vereinzelte Gestalten hier und da. Von Einkaufsfieber ist um diese Zeit fast nichts zu sehen. Fast nichts, denn schon jetzt zeigen uns die Teenager mit den vielen braunen Papiertüten in der Hand, wo etwas los ist. Sie kommen von Primark, dem umstrittenen Händler mit dem rasenden Erfolg.

Auch uns zieht es dorthin, wir haben einen Termin mit Deutschlandchef Wolfgang Krogmann und Paul Lister vom britischen Mutterkonzern Associated British Foods. Wir wollen hören, wie das Management mit den ständigen Vorwürfen umgeht, die Billigstrategie gehe auf Kosten der Menschenrechte in den asiatischen Fabriken. Und wir wollen nachfragen, wie es das Unternehmen schafft, in solchen Toplagen mit so extrem niedrigen Preisen zu arbeiten. Schließlich ist Primark der billigste Textilhändler überhaupt. Dort gibt es Jeans für 12 Euro, Sneaker für 10 Euro oder Strickjacken für 11 Euro, und das an Standorten in Bestlagen.

Modebewusste Teenies mit schmalem Geldbeutel

Schon beim Betreten des Hauses lässt sich ahnen, wie das Unternehmen kalkuliert. Die schiere Masse macht’s. Das Haus ist voll, überall sieht man junge Mädchen und Frauen im Einkaufsrausch, auch ein paar junge Männer, gerade der Pubertät entwachsen. Modebewusste Teenies mit schmalem Geldbeutel sind die Hauptkundschaft.

Kleiderprobe, schnell ein Selfie, Fotos für Freundinnen, die nicht dabei sind. Für sie alle ist Primark Kult. Und dieser Kult breitet sich aus wie ein Lauffeuer. Dazu muss Primark selbst fast gar nichts beisteuern, nur ein paar Einkaufsgutscheine für die richtigen Leute.

Statt Werbung geschickte Nutzung der sozialen Netzwerke

Der Textilhändler lebt wie kaum ein anderes Handelsunternehmen von sozialen Netzwerken. In einer Sendung über Primark stellte der Sender Phoenix eine junge Frau vor, die fast nichts anderes tut als vor laufender Kamera Klamotten des Unternehmens anzuprobieren und zu empfehlen. Mehr als hunderttausend Zuschauer finden solche Videos auf You Tube. Reine Werbung, effizient und billig wie noch nie.

Primark selbst wirbt nicht. Das erledigen die Fans, die offenbar einen guten Job machen. Denn Primark wächst und wächst. Allein in Deutschland soll die Zahl der Häuser von derzeit 19 schon bald Richtung 25 gehen, so ein Unternehmenskenner. Geplant seien Standorte in Bonn, Hamburg, Ingolstadt, Leipzig und Mannheim. Primark selbst kommentiert das nicht.

Proteste allerorten

Dass der 1996 in Dublin gegründete Händler längst nicht überall willkommen ist, zeigen Proteste und Initiativen gegen Neueröffnungen wie 2014 in Krefeld oder zuletzt in Wuppertal, wo es sogar eine Bürgerinitiative gegen den Billiganbieter gibt. Immer wieder werden Vorwürfe laut, die Billigpreise seien mit dem Blut der Textilarbeiterinnen in Bangladesch erkauft.

Schließlich ließ Primark dort in dem eingestürzten Gebäude Rana Plaza produzieren, wo am 24. April 2013 mehr als 1100 Menschen ums Leben kamen. Das Primark-Management kontert, dass man für die Baustatik nicht verantwortlich sei und dort mindestens 28 weitere namhafte Textilkonzerne produzieren ließen, was freilich an den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in dem Land nichts ändert.

Auch andere sind Sünder – Verantwortung trägt jeder

Die Zahlen und Herstellerangaben zum Rana-Plaza-Unglück variieren, doch immer wieder tauchen in Berichten die Namen Benetton, El Corte Inglés, Inditex (Zara), Kik, Mango und NKD auf. Ein Jahr nach der Katastrophe hatte lediglich Primark eine nennenswerte Entschädigung an die Opfer überwiesen, wie Die Zeit berichtete. Inzwischen hat Primark nach eigenem Bekunden 14 Millionen Dollar direkte Entschädigungen gezahlt, auch langfristige Zahlungen an die Angehörigen seien bereits aufgenommen worden.

Damit liegt das britisch-irische Unternehmen um Welten vor anderen. Dennoch klebt das schlechte Image wie Pech an Primark. Und nicht nur in dieser Hinsicht: Immer wieder wird der Vorwurf laut, bei der Produktion würden Menschen mit giftigen Chemikalien kontaminiert. Außerdem werde bei den Kundinnen eine Wegwerfmentalität erzeugt, die riesige Textil-Müllberge produziert.

Auf der Homepage dokumentiert das Unternehmen zahlreiche Maßnahmen gegen die Verwendung giftiger Farbstoffe, für Gewerkschaftsrechte und vieles mehr. Doch die Kritiker lässt dies nicht verstummen.

"Prozesse besonders straff"

"Bei gleichen Gesetzmäßigkeiten für alle Produzenten muss vor allem der Anbieter im untersten Preissegment seine Prozesse besonders straff im Griff haben", sagt Daniel Terberger, Chef der Bielefelder Textilverbundgruppe Katag AG. Das beginne bei der Beschaffung in Asien.

Primark selbst kauft vor Ort ohne Zwischenhändler ein, was unabhängig von den Preisen der Textilfabrikanten bereits viel Geld spart. Die riesige Einkaufsmenge lässt entsprechende Einkaufskonditionen erahnen.

Textilableger in einem extrem verflochtenen Konzern

Das Unternehmen beschäftigt heute 62 000 Mitarbeiter in 295 Häusern, davon bis auf einen US-Store alle in Europa. Primark kommt mit jährlich zweistelligen Wachstumsraten auf gut 7 Milliarden Euro Umsatz. Der Gewinn nähert sich der Milliarden-Euro-Marke.

Die Textilgruppe gehört zum diversifizierten Nahrungsmittelkonzern Associated British Foods mit mehr als 18 Milliarden Euro Jahresumsatz. Der Zuckerproduzent AB Sugar ist ebenso eine Primark-Schwester wie Twinings Tea. Dieses komplexe Gebilde wird wiederum mehrheitlich von der britischen Investorengruppe Wettington gehalten, die selbst im Fremdbesitz von Garfield liegt. Ein extrem verflochtener Konzern, bei dem straffe Strukturen nötig sind, um die vielen Investoren zufriedenzustellen.

Das zeigt sich auch im straffen System von Primark. Diesem System zollt Katag-Chef Terberger „höchsten Respekt“. Primark fahre „eine sehr intelligente Marketingstrategie in einer neuen Welt“. Der Fokus des Unternehmens richte sich nun mal "auf das Äußere, die Mode und den Preis, nicht die Nachhaltigkeit". Primark nutze erfolgreich die Möglichkeiten der globalen Wirtschaft, das müsse man erst mal ohne moralische Bewertung feststellen.

Freundliche Worte für den aggressiven Wettbewerber

Das sind freundliche Worte für den aggressivsten Wettbewerber der eigenen Mitglieder. Doch es gibt auch handfeste Argumente für die Primark-Häuser in der Nachbarschaft: "Das Unternehmen sorgt für mehr Kundenfrequenz in der Umgebung", sagt Terberger. Das deckt sich mit Äußerungen der Center-Betreiber im Loop5 bei Darmstadt und der Bremer Waterfront.

Primark als Schützenhilfe für mittelständische Händler? Nicht unbedingt, meint der renommierte Handelsexperte Jörg Funder von der Fachhochschule Worms. Dafür sei die Zielgruppe zu speziell. Im Phänomen Primark sieht Funder eine große Gefahr: "Eine ganze Generation wird daran gewöhnt, dass aktuelle Mode extrem billig zu haben ist." Nachhaltigkeit und Werte spielten dabei keine Rolle mehr.

Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wie uns Primark-Deutschlandchef Wolfgang Krogmann beim Rundgang durch das Frankfurter Haus bestätigt. Begeistert erzählt er, dass die Kunden der ersten Primark-Generation inzwischen ihre Kinder mitbringen. Die Zukunft dieses Händlers scheint gesichert.

Andreas Chwallek

Der Artikel ist wie das Interview in der aktuellen Ausgabe von Der Handel erschienen. Zum kostenfreien Probeexemplar geht es hier. Lesen Sie Der Handel auch auf dem iPad.