In Sachen Digitalisierung wähnen sich die Branchengrößen allesamt auf gutem Weg. Die Prozesse sind optimiert und der Kunde wird auf jedem Kanal optimal bedient. In der Praxis kann sich das für den Kunden ganz anders anfühlen.
Digital ist geduldig, Papier ist besser
Eine Bezahlkarte von Ikea ermöglicht das bargeldlose Bezahlen im Möbelhaus, aber noch viel wichtiger, auch beim Transporteur von Lieferungen. Sie sollte die Basis für die weitere Planung sein. Und das Möbelhaus verspricht auch selbst, eine völlig einfache Eröffnung eines solchen Kontos des hauseigenen Finanzpartners. Das Antragsformular ist übersichtlich und rasch ausgefüllt. Leider tat sich nur beim Abschicken nichts. AGB akzeptiert, Werbung zugestimmt, Adresse überprüft - das alles führte zu keinem Ergebnis. Nach der dreimaligen Wiederholung (die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt), eine Verzweiflungstat: Ein Klick auf den Schalter Teilzahlungsfunktion und einen Prozentsatz für die Rückzahlung aktiviert. Und endlich!Gab es eine Fehlermeldung: Der gewählte Wert sei nicht erlaubt. An der eigenen Bonität zweifelnd, flugs einen höheren Wert eingetragen. Der war leider ebenfalls nicht gültig. Ob mit oder ohne Prozentzeichen - irgendwie war keine Eingabe erlaubt. Zum Glück gibt es auf der Website eine Kontaktadresse. Per E-Mail wurde die Bank dann um das Geheimnis gebeten, wie sich das Antragsformular vielleicht doch noch absenden lasse.
Die freundliche Antwort per E-Mail liess auch nicht lange auf sich warten. Man schicke den Antrag in Papierform in den kommenden Tagen zu. Versprochen ist versprochen; lag dieser dann auch nach 3 Werktagen im Briefkasten. Aber so richtig digital ist das wohl nicht.
Sagen Sie uns nicht, was Sie wollen
Nun mit einer vorläufigen Bezahlkarte ausgestattet, soll es jetzt an den Kauf einer Ikea-Küche gehen. Nach eingehender Lektüre diverser Erfahrungsberichte schwand die Lust darauf, einige Dutzend Karton selbst zu öffnen und ein Puzzle aus Schränken, Türen, Beschlägen und Füßen zu lösen. Schließlich bietet Ikea ja auch einen vollständigen Service: "Ausmessen, Planen und Aufbauen" - der Kunde muss sich um nichts kümmern. Das klingt super.Also mal eben (wieder) ein Formular ausfüllen und den Planungswunsch abgeben. Innerhalb der versprochenen Tage meldet sich Ikea, um einen Termin abzustimmen. Das klingt kundenorientiert. Auf den ersten Terminvorschlag gibt es eine verhaltene Reaktion. "Nein, so funktioniert das nicht. Ich kann Ihnen den ... anbieten". Auf den Hinweis, dass derzeit in der Wohnung noch jemand lebt und so die Abstimmung eher schwierig wird, lautet die Antwort, dann müsste der Termin storniert werden. Dazu gibt es aber keine direkt E-Mail-Adresse, sondern nur wieder die zentrale Rufnummer bei Ikea. Gut, eine Küche wird gebraucht, also fügt sich der Konsument in das Schicksal. Leider sieht sich der freundliche Mitarbeiter auch nicht in der Lage, eine Uhrzeit für den genannten Termin mitzuteilen. Der Unternehmer werde sich einen Tag vorher melden, um das genaue Zeitfenster zu benennen. Falls das nicht ginge, könnte man das Ausmessen ja stornieren und... Naja Sie wissen schon.
Da steht er nun der Kunde, bereit ein paar tausend Euro an ein Möbelhaus zu zahlen, damit es ihm eine Küche liefere und aufbaue. Aber nun gut. Tatsächlich rief einen Tag vor dem zugeteilten Termin der Küchenbauer an. Das Zeitfenster für die Ankunft wurde mitgeteilt. Und tatsächlich war der Tischler zum angegebenen Zeitpunkt pünktlich vor Ort. Die Zeiten von Zollstock und Maßband sind vorbei. Ausgemessen wird mit elektronischen Spielzeugen und ganz offensichtlich einem Spezialprogramm, das den Monteur durch die verschiedenen Schritte begleitet. Binnen dreier Werktage liegen die Daten dann im Einrichtungshaus vor, wie Ikea in seiner Mail selbst schrieb.
Digitalisierung ist im Kern doch Handarbeit
Wenige Tage später sollte nun der eigentliche Küchenkauf erfolgen. Dank Google wurde eine nicht so stark frequentierte Besuchszeit geplant (Ja, die gibt es!) und der Weg in die Küchenabteilung angetreten. Und auch die Projektnummer war im Computer vorhanden. Mit der Planung konnte indes noch nicht sofort gestartet werden. Denn unter "vorliegen" versteht Ikea, dass das gleiche PDF mit allen Zeichnungen, das der Kunde erhält, auch im Posteingang des Einrichtungshauses schlummert. Der freundliche Mitarbeiter schaute sich die Unterlagen an und meinte, er spendiere dann mal Coupons für das Restaurant. Für die Zeichnung würde er eine halbe bis dreiviertel Stunde benötigen. Auf die erstaunte Nachfrage des Kunden, ob die Daten nicht direkt in seinem Computer landen, entgegnet er mit einem leichten Grinsen, dass anderen Küchenplanern diese Technik seit 10 Jahren zur Verfügung steht. Ikea hätte das wahrscheinlich dann auch in 10 Jahren.Wie viel Handarbeit dann die Digitalisierung doch noch macht! Der freundliche Mitarbeiter arbeitet geduldig mit dem gleichen Küchenplaner, der auch den Kunden online zur Verfügung steht. Aber natürlich ist er deutlich geübter und kennt sich in seinen Produkten aus. Schließlich sieht alles so aus, wie es sein soll. Die Küche wird bestellt. Und auch an dieser Stelle ist eher Handarbeit angesagt. Denn 172 Einzelpositionen werden markiert und dann über die Zwischenablage in das Bestellsystem von Ikea übertragen. Und da wundern sich die Kunden, dass mal etwas fehlt. Es ist eigentlich viel erstaunlicher, dass in den meisten Fällen so wenig fehlt.
Die Küche ist jetzt bestellt und ein Lieferdatum steht auch schon fest!
Bis dahin grübelt der Autor darüber nach, ob Thorsten Dirks, CEO der Telefónica Deutschland, eine Küche kaufen wollte, als er den mittlerweile fast schon historischen Satz prägte: „Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess.“