Stephan Jaenicke, Vorstandsmitglied im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, über die Zukunft des Buchmarktes und die Chancen kleiner Händler.

Herr Jaenicke, wie ist die Situation eines unabhängigen Buchhändlers heute? Hat er noch eine Chance gegen die großen Filialisten?

Ja, das hat er. Seit etwa zehn Jahren befindet sich der Buchhandel in einem erkennbaren Umschwung, der sich seit zwei, drei Jahren stark beschleunigt. Obwohl die großen Filialisten heute deutlich höhere Marktanteile haben als früher, ist die Situation aber immer noch nicht so dramatisch, dass ein unabhängiger Buchhändler in Panik verfallen müsste.

Was kann ein „kleiner” Buchhändler von den „Großen” lernen?
Er kann sich vor allem von der Professionalität eine Scheibe abschneiden. Professionell arbeiten bedeutet beispielsweise, seine Zielgruppen und das Umfeld des Ladenlokals zu analysieren. Denn dann kann er sich spezialisieren, etwa auf Kochbücher, Krimis, Esoterik oder Kinderliteratur. Als Einzelkämpfer muss man sich auf seine Stärken besinnen, dazu gehört die persönliche Nähe zum Kunden genau so wie echte Servicestärke: Die Leistungen zu erbringen, für die bei den Filialisten kein Personal, keine Kompetenz oder keine Zeit da ist.

Wie sieht denn die Zukunft des Buchs und des Buchmarkts aus?
Meiner Meinung nach ist das bestimmende Thema der näheren Zukunft die Digitalisierung des Buchs. Dabei sind Onlinehändler wie Amazon Vorreiter und haben auch strukturbedingte Vorteile, aber das heißt nicht, dass man als unabhängiger Buchhändler den Trend ignorieren darf. Vielmehr müssen wir über Kooperationen nachdenken, sowohl was Standards in der Software als auch Investitionen in die Hardware angeht.

Stichwort Buchpreisbindung: Hilft die dem unabhängigen Händler tatsächlich noch?
Definitiv ja, denn Sie bremst die ablaufenden Konzentrationsvorgänge spürbar, sorgt nach wie vor für ein breites Literaturangebot auf dem Markt und eine flächendeckende Zahl von Verkaufsstellen. Aber wenn man sich die Lieferkonditionen der Verlage anschaut, stellt man schnell fest, dass es große Unterschiede zwischen Filialisten und unabhängigen Händlern gibt. Während unabhängige Händler bei den meisten Titeln mit einer Marge von 40 Prozent zurecht kommen müssen, bekommen Filialisten oft bis zu 60 Prozent.

Das ist aber doch eigentlich nicht erlaubt?
Nein, eigentlich dürfen Verlage keine Rabatte gewähren, die höher als 50 Prozent sind. Das haben Gerichte aufgrund von Verbraucherschutz und kartellrechtlichen Erwägungen so festgelegt. Aber eine solche Regelung lässt sich etwa durch Werbekosten- und Präsentationszuschläge leicht umgehen.

Also sind die normalen Marktmechanismen auch bei der Ware Buch angekommen, trotz Buchpreisbindung?
Ja, die Preisbindung hat die Entwicklung verzögert, aber nicht verhindert. Man kann aber nicht die gesamte Preisbindung in Frage stellen, nur weil ein einziger Aspekt des Systems möglicherweise die Konzentration auf dem Markt auch fördern könnte. Wir haben im Buchhandel ein Konditionenproblem, kein Preisbindungsproblem. Auf der einen Seite braucht der unabhängige Buchhandel dringend bessere Handelsspannen, um sich im Wettbewerb behaupten zu können. Auf der anderen Seite aber scheinen viele Verlage vor allem die Konditionenforderungen der großen Filialisten zu erfüllen. Letztlich schaden sie sich damit selbst, denn möglicherweise können sie so in zehn bis 15 Jahren nur noch mit drei, vier großen Buchhandelsketten reden, weil es kaum noch unabhängige Händler gibt.

Interview: Sybille Wilhelm