Die zunehmende Bedeutung des Online-Handels führt dazu, dass immer mehr Markenhersteller das für sie ungewohnte Terrain des E-Commerce betreten. Häufig mangelt es ihnen jedoch an einer klaren Strategie – die Folge sind hohe Ausgaben und geringe Erträge. Gastautor Immo Tietjen, von arvato hat einen Vier-Punkte-Plan für die Analyse der Eintrittsstrategie.


Lange Zeit konnten sich Hersteller auf ihr Netzwerk aus stationären Händlern verlassen. Die Aufteilung der Arbeitsschritte war klar geregelt: Der Hersteller übernimmt die Produktion des Produkts, der Händler erledigt den Vertrieb an den Endkunden. Mit dem Aufstieg des Internets und des daraus resultierenden neuen Vertriebskanals hat sich diese Aufteilung verändert. Viele Hersteller haben nun erstmals die Möglichkeit, kostengünstig in den direkten Kundenkontakt zu treten und ihre Produkte direkt an den Endkunden zu verkaufen.

Einige Branchen, wie beispielweise die Fashion-Industrie, wurden von dieser Entwicklung bereits frühzeitig erfasst, andere werden bald folgen. Für viele Hersteller stellt sich derzeit die Frage, wie sie den Start in das E-Commerce Geschäft erfolgreich meistern sollen.

Der nachfolgende  Vier-Punkte-Plan, den arvato für einen internationalen Konsumgüterproduzenten entwickelt hat,  hilft Herstellern dabei, sich dem Thema strukturiert zu nähern und die verfügbaren E-Commerce Optionen zu bewerten. Mit Hilfe des Plans, erhielt das Unternehmen eine klare Übersicht der möglichen E-Commerce Eintrittsoptionen und konnte zielgerichtete nächste Schritte formulieren

1. Status-Quo-Analyse

Im ersten Schritt sollte sich der Hersteller anhand folgender Fragen ein klares Bild der Ist-Situation verschaffen:

  • Was sind die größten Herausforderungen und Hindernisse für den E-Commerce Vertrieb?
  • Ist das Produkt beispielsweise sehr gut im stationären Handel verfügbar und somit einer großen „Offline“-Konkurrenz ausgesetzt?
  • Wie ist die Preislage?
  • Erreicht der Hersteller überhaupt Warenkörbe, die groß genug sind, um die fixen Handlingkosten jeder Bestellung zu decken?
  • Besteht die Gefahr eines Kanalkonflikts?
  • Etc.

Wichtig ist es, die Hindernisse genau zu kennen, um in der Folge passgenaue Lösungen zu entwerfen. Insbesondere die Gefahr eines Kanalkonflikts mit bestehenden Händlern ist vielen Herstellern ein Dorn im Auge. Umso wichtiger ist es, die Gefahr frühzeitig zu adressieren und einen offenen Austausch mit den Händlern zu suchen. Denn: Häufig können auch Händler von der E-Commerce Strategie des Herstellers profitieren und neue Zielgruppen erreichen. Mut macht in diesem Zusammenhang ein Hinweis des Leiters des eWeb-Research-Centers der Hochschule Niederrhein, Prof Dr. Gerrit Heinemann, der als anerkannter E-Commerce Experte die Problematik genau kennt (Quelle: Interview, Fostec Commerce Consultants, 2015):Hinsichtlich möglicher Sanktionen für E-Commerce-Strategien der Hersteller zeigt mir die Erfahrung, dass die Ängste der Hersteller häufig nicht berechtigt waren. Wichtig ist es, dass der Hersteller die E-Commerce-Strategie gegenüber dem Handel offen kommuniziert.“

Neben der Analyse der Hindernisse ist es zudem ratsam, auch die Treiber und Fürsprecher zu analysieren. Denn häufig zeigt sich, dass bereits fundamentale Aspekte vorhanden sein können, die einen Einstieg in das E-Commerce Geschäft erleichtern. Möglicherweise wächst der Online-Markt für das Produkt bereits rasant und wird in Zukunft den stationären Handel überholen? Oder das Produkt weist eine sehr geringe Retourenrate auf?

2. Definition der E-Commerce Ziele

Im nächsten Schritt sollte ein klares Ziel formuliert werden, welches mit dem E-Commerce Kanal erreicht werden soll. Häufig wird dieser Punkt leichtfertig unterschätzt und voreilig die „Etablierung eines neuen Vertriebskanals“ als Ziel genannt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es durchaus auch andere Zielsetzungen geben kann, z.B. Branding oder auch Customer Insights. Die Zielsetzung ist auch deshalb so wichtig, weil sich hieraus wichtige Antworten für operative Fragestellungen ableiten, wie bspw. die Sortimentsstrategie. Es gibt Hersteller, die als vorrangiges Ziel die Generierung von Kundendaten haben und somit nur ein limitiertes Online-Sortiment benötigen. Andere Hersteller sehen das „Projekt“ E-Commerce als Zukunftsvorhaben, wollen lediglich frühzeitigen Wissensaufbau betreiben und benötigen deshalb (noch) keinen vollwertigen Online-Shop. Eine frühzeitige Analyse der möglichen Zielsetzungen ist daher äußerst ratsam.

3. Vergleich der E-Commerce Eintrittsoptionen

Wenn die Zielsetzung der E-Commerce Pläne klar und eine ausführliche Bestandsaufnahme der Treiber und Herausforderungen abgeschlossen ist, ist der systematische Vergleich aller E-Commerce Eintrittsoptionen der nächste Schritt. Dieser teilt sich in drei Arbeitspakete auf:

  1. Eintrittsoptionen: Zunächst muss geklärt werden, welche E-Commerce Eintrittsoptionen dem Hersteller zur Verfügung stehen. Denn neben dem klassischen „eigenen“ Online-Shop sind auch andere Eintrittsoptionen möglich, z.B. der Vertrieb auf Marktplatzplattformen oder der Wholesale-Verkauf an Online Händler. Wichtig ist es, in diesem Zusammenhang zu klären, ob der Hersteller nur eine einzelne Marke oder mehrere Marken vertreiben möchte, da letztere Option auch die Möglichkeit eines „Multi-Marken“ Online-Shops zu betrachten ist. Am Ende der Analyse sollten die zur Verfügung stehenden Eintrittsoptionen aufgelistet werden, um diese im Folgenden einzeln zu bewerten.  
  2. Bewertungskriterien: Als nächstes erfolgt die Festlegung von Bewertungskriterien, mit denen die Eintrittsoptionen verglichen werden sollen. Kriterien können beispielsweise „Branding“ (wie gut lässt sich die vorhandene Branding-Strategie umsetzen?), oder „Potential for Differentiation“ (wie gut lassen sich Mehrwerte für den Kunden einbinden, z.B. Video-Angebote oder Chat-Funktion?) sein. Die Auswahl der Kriterien ist abhängig vom Hersteller und dessen Strategie. Für manche Unternehmen ist das Thema Branding von hoher Bedeutung, andere legen mehr Wert auf Preiskontrolle – wichtig ist in jedem Fall, dass die Kriterien an die Bedürfnisse des Herstellers angepasst werden.
  3. Bewertung: Die tatsächliche Bewertung ist der finale Schritt. Hier empfiehlt es sich, alle vorhandenen Optionen den Bewertungskriterien in einer Matrix gegenüber zu stellen und dann systematisch zu bewerten. Vorab sollte hierzu eine Bewertungsskala definiert werden (z.B. 1 bis 3). Die Bewertung erfolgt dann für jede einzelne Eintrittsoption, die in Schritt 1 festgelegt wurde. So wird beispielsweise das Kriterium Branding für jede Eintrittsoption durchgespielt und analysiert, inwiefern die Branding-Strategie umgesetzt werden kann. Eine Erkenntnis könnte hier beispielsweise sein, dass die Branding-Strategie im Marktplatzmodell deutlich eingeschränkt ist, da die Produktvorstellung nur auf einer Produktdetailseite erfolgt und man zudem im direkt Vergleich zur Konkurrenz erscheint.

Das Resultat des Vergleichs ist letztendlich eine Matrix, die alle E-Commerce Eintrittsoptionen gegenüberstellt. Ein einfacher oder auch gewichteter Durchschnitt der einzelnen Bewertungsdimensionen gibt dann Aufschluss darüber, welche Option die passendste für den Hersteller ist. Natürlich sind hier auch Kombinationen denkbar.   

4. Entscheidung und Definition der nächsten Schritte

Durch den ausführlichen Vergleich kann der Hersteller sicherstellen, dass alle möglichen E-Commerce Optionen verglichen und analysiert worden sind. Die Entscheidung für eine oder mehrere Optionen sowie die Definition der nächsten Schritte, z.B. die Suche nach einem geeigneten Partner, bilden den Abschluss der Analyse.