Bei jeder neuen technischen Innovation im Mobile Payment wird das Ende des Bargelds in Deutschland ausgerufen. Aktuelle Zahlen belegen allerdings, dass dieses Ende doch keineswegs so nah erscheint. Und das muss für den Handel gar nicht schlecht sein.

Google ist ein taktisch durchaus geschickter Schachzug gelungen. Die Begeisterung der deutschen Kreditwirtschaft für die Unterstützung von Google Pay hielt sich stark in Grenzen. Die Sparkassen verkündeten sogar, dass eine Zusammenarbeit nicht infrage komme.

Da hat sich der Internetkonzern eben andere Partner gesucht. Und sie gefunden. In Zusammenarbeit mit Paypal und Mastercard kommt man eben auch an den umkämpften POS. Das mit einem Girokonto verbundene Paypal-Konto wird mit einer virtuellen Mastercard verbunden und schon kann per NFC an der Kasse bezahlt werden.

Blue Code neu auf der Bühne

Wobei an mobilen und bargeldlosen Bezahlverfahren in Deutschland generell kein Mangel herrscht. Zu den Klassikern gehören hier Girocard und Kreditkarten. Viele davon sind inzwischen ebenfalls für das kontaktlose Bezahlen gerüstet. Bezahlt werden könnte auch per App.

Mit Blue Code betritt Ende Oktober ein weiteres Payment-Verfahren die Bühne. Bisher beschränkte sich das Unternehmen auf Österreich. Ganz entgegen seiner sonstigen Attitüde wird Apple mit seinem Bezahlverfahren Apple Pay wohl als Letzter den deutschen Markt betreten. Und in zahllosen Artikeln und Blogbeiträgen werden die Autoren nicht müde, damit erneut das Ende des Bargelds auszurufen. Frei nach dem Motto: "Jetzt aber wirklich."

Die Deutschen zahlen gern bar

Es wäre naiv anzunehmen, dass sich mittelfristig das Verhalten der Kunden am POS nicht auch bei den Bezahlverfahren verändern wird. Die Art und Weise, wie und was Kunden heute einkaufen, hat sich durch den Online-Handel deutlich gewandelt. Genauso wie der Siegeszug des Smartphones beeinflusst, über welchen Kanal sich die Kundschaft über neue Produkte und Warenverfügbarkeiten informiert.

Aktuelle Zahlen sprechen hinsichtlich der Bargeldnutzung allerdings eine deutliche Sprache. Nach wie vor werden 78 Prozent aller Transaktionen in Deutschland in Scheinen und Münzen getätigt, wie die EZB in ihrer Studie "The Use of Cash by Households in the Euro Area" herausgefunden hat. Der Anteil an den Umsätzen liegt nach derselben Studie zufolge bei stolzen 51 Prozent.

In Deutschland lacht Bargeld immer noch

Die Zahlen bestätigt eine Umfrage der ING-DiBa, die unter dem Titel "Im Portemonnaie nichts Neues" publiziert wurde. Mit einer Barzahlungsquote von 48 Prozent liegt Deutschland dabei knapp vor Österreich – und deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 32 Prozent. An der Vorliebe für Scheine und Münzen wird die Demografie wohl so bald nichts ändern. Die größte Affinität zum Bargeld zeigen nämlich nicht die ältesten Umfrageteilnehmer. Leicht über dem Schnitt liegt mit 49 Prozent auch die jüngste Gruppe im Alter von 18 bis 24 Jahren.

Derzeit deutet also wenig darauf hin, dass es binnen kurzer Zeit zu einer Revolution kommen könnte, die die Kunden schlagartig auf bargeldloses Bezahlen ausweichen lässt. Zwar werden in diesem Zusammenhang immer wieder gern die Beispiele China und Schweden aufgeführt, nur sind dort die Ausgangsvoraussetzungen auch andere.

Bargeld bleibt das große Thema in Handelsunternehmen

Für den Handel bedeuten die Zahlen letztlich vor allen Dingen, dass er sich auch weiterhin mit dem Thema Bargeld auseinandersetzen muss. Möglichst wenige Ressourcen und damit Geld in das Cash-Management zu stecken, wird so schnell nicht von der Agenda von Handelsmanagern verschwinden.

Diese Fragestellung wird eher noch an Wichtigkeit zunehmen, wenn denn die große Disruption tatsächlich kommt. Denn wenn der Anteil des Bargelds bei den Transaktionen sinkt, werden diese teurer, wenn denn das Bargeld nicht effizient abgewickelt wird.

Einfacher Bargeldbezug steigert den Umsatz

Wenn die Deutschen so gern mit Bargeld zahlen, stellt sich natürlich die Frage nach dem Bargeldbezug. Und hier hat das Unternehmen Cardtronics im Rahmen einer Umfrage eine für den Handel interessante Zahl ermittelt. Je nach Umfeld sind die durchschnittlichen Bargeldausgaben von Kunden im Einzelhandel nämlich um bis zu 30 Prozent höher, wenn sie zuvor Geld aus einem nahegelegenen Automaten abgehoben haben.

In den USA positioniert sich WalMart gegenüber seinen Kunden auch als Dienstleister rund um das Thema Finanzen
© walmart.com
In den USA positioniert sich WalMart gegenüber seinen Kunden auch als Dienstleister rund um das Thema Finanzen
Doch dieser nahegelegene Automat der eigenen Hausbank oder einer Filiale eines Instituts, das zum gleichen Bargeldversorgungsverbund gehört, wird für die Kunden immer schwieriger zu finden. Im Zeitalter des Online-Bankings und Apps erledigen immer mehr Bankkunden ihre Geschäfte online und suchen seltener die Filiale auf. Schließlich wurden sie seit Ende der 80er Jahre von der Kreditwirtschaft ja auch regelrecht in dieser Richtung erzogen. In Deutschland wurde seit 2000 daher rund ein Viertel aller Zweigstellen geschlossen, das entspricht über 10.000 Standorten, wie KfW Research ermittelt hat.

Neue Geschäftsmodelle rund um das Bargeld

An die Zukunft des Bargelds glaubt auch das Unternehmen Cash Payment Solutions, das eher unter seinem Markennamen "Barzahlen.de" bekannt ist. Es ermöglicht Kunden, die ihre Onlinebestellungen nicht per Überweisung oder Kreditkarten bezahlen können oder wollen, den offenen Rechnungsbetrag bei einem der Kooperationspartner im stationären Handel zu bezahlen. Mittlerweile gibt es über 12.000 Akzeptanzstellen, darunter Rewe, Penny, Budni, real, dm oder Rossmann. 8.000 Online-Shops unterstützen Barzahlen, das im Kern darauf basiert, dass der Kunde per E-Mail, SMS oder Download einen Beleg mit einem individuellen Code erhält.

Mit diesem besucht er den Laden eines Kooperationspartners, wo der Beleg gescannt wird und dann bezahlt werden kann. Zielgruppe sind alle Kunden, die aus Misstrauen eben doch lieber keine Zahlungsdaten in einem Webshop eintragen wollen, oder eben alle, die (noch) keine Kreditkarte oder Bankkonto erhalten. Schüler, Studenten, junge Leute in der Ausbildung oder auch Migranten. Für den Händler bietet die Kooperation mit dem Unternehmen die Chance, die Bindung an die Filiale zu erhöhen.

Der Handel übernimmt die Rolle des Bargeldversorgers

In die gleiche Richtung wirken auch Kooperationen zwischen Banken und Händlern, die direkt am POS Bargelddienstleistungen anbieten. Ob dm, Rewe, Aldi, Edeka oder auch Lidl – sie ermöglichen Kunden über das Cash-Back-Verfahren eine kostenlose Bargeldabhebung an der Kasse: ab einem Mindesteinkaufswert von in der Regel 10 bis 20 Euro und einer Höchstgrenze von rund 200 Euro. Es gibt aber auch Modelle, die "echte" Banktransaktionen im Handel anbieten. So kooperiert beispielsweise die Postbank mit einer großen Tankstellenkette in Deutschland. Der Kunde muss nichts kaufen, sondern kann an der Tankstelle ganz einfach Geld von seinem Konto abheben.

Solche Modelle sind bei genauerer Betrachtung für alle Beteiligten vorteilhaft.

Da ist zunächst einmal der Kunde, der sich einfacher mit Bargeld versorgen kann. Und die Versorgung mit Bargeld wird schon seit langem außerhalb der Bankfiliale an SB-Automaten abgewickelt. Die Akzeptanz gegenüber solchen Konzepten ist also hoch – generationenübergreifend. Rund 50.000 Ladenkassen, an denen Abhebungen je Einkauf möglich sind, stehen inzwischen etwa 58.000 Geldautomaten gegenüber.

Moderne Systeme für das Cash-Recycling können zum Kunden gewandt auch die Funktion eines Geldautomaten übernehmen
© Glory
Moderne Systeme für das Cash-Recycling können zum Kunden gewandt auch die Funktion eines Geldautomaten übernehmen
Die Banken stellen somit die Versorgung der Kunden mit Bargeld kostengünstig sicher, ohne die Präsenz der Filialen erhöhen zu müssen.

Für den Handel ergeben sich gleich mehrere Vorteile:

  • Wie die Befragung von Cardtronics nahelegt, profitiert er insgesamt, da einfacher Bargeldbezug die Chance auf höhere Umsätze in der Nähe vergrößert.
  • Der Händler positioniert sich gegenüber den Kunden aber auch als Servicepartner und trägt zu einem positiven Einkaufserlebnis bei. Die Bindung an die Marke oder Filiale wird erhöht.
  • Das überschüssige Bargeld kann an die Kunden ausgezahlt werden, wodurch Kosten beim Werttransportunternehmen gespart werden.

Wenn der Handel für die Banken die Rolle des Bargeldversorgers übernimmt, kann er mit den Instituten auch über Provisionsmodelle verhandeln, was den gesamten Business Case noch attraktiver macht.

Moderne Technik für den Erfolg notwendig

Wie das Beispiel der Kooperation der Postbank bereits zeigt, muss die Bargeldversorgung nicht zwangsläufig banktechnisch in Form der Lastschrift erfolgen, um die es sich ja im Kern handelt. Damit die Prozesse für den Händler kostengünstig, für den Kunden schnell und bequem ablaufen können, ist ein automatisiertes System für das Cash-Management die Grundvoraussetzung.

Bisher wurden solche Cash-Management-Lösungen hauptsächlich für die Optimierung der Bargeldprozesse im Backoffice eingesetzt. Das Vorbereiten der Wechselgeldbestände sowie das Zählen und Abrechnen am Tagesende funktionieren damit vollautomatisch, das Gleiche gilt für die Bargeldverfolgung und Bestandsverwaltung. Banknoten und Münzen werden damit effizient verarbeitet, zudem sorgen die Geräte für eine sichere Aufbewahrung von Bargeldbeständen in der Filiale.

Cash-Recycling-Systeme übernehmen die Rolle des Geldautomaten

Die aktuellen Entwicklungen dürften dazu führen, dass die Lösungen vom Hinterzimmer und Büro eher in den Kassenbereich wandern werden. Hier bieten sie gleich dreifachen Nutzen. Sie dienen als Kasse und optimieren das Bargeldmanagement in der Filiale. Zum Kunden ausgerichtet funktionieren sie aber wie ein Geldautomat. Nutzt ein Kunde Cash-Back, kann ihm das Geld direkt über ein solches System ausgezahlt werden anstatt wie bisher aus der Ladenkasse. Ein Vorteil für Verbraucher und Händler vor allem in puncto Sicherheit.

Denn moderne Cash-Recycling-Systeme prüfen mittels hochleistungsfähiger Scantechnologie ein- und ausgehendes Bargeld auf Echtheit und sichern so zuverlässig gegen Falschgeld ab. Und sie lassen sich auch in SB-Kassen integrieren. Kunden wären so in der Lage, beim Self-Checkout auch direkt Bargeld abzuheben. Das wiederum senkt die Hemmschwelle bei den Kunden, denen es möglicherweise unangenehm ist, in der Kassenschlange nach der Auszahlung zu fragen, oder Wert auf Diskretion legen.

Der Handel wird sich allen Anzeichen nach noch eine ganze Weile mit dem Thema Bargeld beschäftigen. Und das kann sich auch durchaus lohnen.



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