In Baden-Württemberg hat die erste ehemalige Schlecker-Filiale als Dorfladen eröffnet. Unter neuem Logo - und nach einem genossenschaftlichen Modell und mit Unterstützung der Gewerkschaft.

Nichts soll mehr an den einstigen Drogerieriesen erinnern: Wo früher blaue Schlecker-Aufkleber klebten, leuchtet es heute giftgrün. "Drehpunkt" prangt auf den Scheiben eines kleinen Ladens im schwäbischen Erdmannhausen.

Die frühere Schlecker-Filiale ist bundesweit die erste, die vergangenen Samstag in Form eines Genossenschaftsmodells als "Bürgerdrogerie" wiedereröffnet hat - mit neuem Logo und anderen Marken. Gut ein Dutzend weitere sollen in den kommenden Monaten folgen.

Monatelang hat Karin Meinerz mit ihren Kolleginnen Bettina Meeh und Annemarie Keller alles Blaue aus dem Laden entfernt und durch leuchtendes Grün ersetzt. "Weil Schlecker ein Kapitel war, das abgeschlossen ist", sagt sie. Zehn oder sogar 19 Jahre haben sie und ihre Mitstreiterinnen für die Drogeriekette mit dem blau-weißen Logo gearbeitet. Dann kam die Insolvenz. Die jüngste der drei Frauen ist 47, die älteste 58 Jahre alt.

"Keine Minute überlegt"

Die früheren Drogerieangestellten sind jetzt ihre eigenen Chefinnen - tragen aber auch mögliche Risiken. "Die Frauen kriegen auf dem Arbeitsmarkt nichts mehr", sagt Christina Frank von Verdi. Die Gewerkschaftssekretärin hat das Genossenschaftsmodell, das zunächst in Baden-Württemberg erprobt wird, mit ins Leben gerufen. Seit Monaten wirbt sie um Geldgeber für die neuen Dorfläden, die den Schlecker im Ort ersetzen sollen.

Rund 100 frühere Schlecker-Filialen im Südwesten sollen nach Plänen der Gewerkschaft künftig als kleine Nahversorgungsläden weitergeführt werden. Zunächst sollen alle das grüne Drehpunkt-Logo bekommen. "Ich habe sofort gewusst, dass ich da mitmache", erzählt Meinerz. "Ich habe keine Minute überlegt." Mittlerweile interessieren sich Verdi zufolge rund 50 frühere Schlecker-Mitarbeiterinnen für das Modell.

Experten warnen derweil vor zuviel Euphorie über die Pläne, ehemalige Schlecker-Frauen zum Unternehmertum zu ermuntern. "Der Standort muss stimmen und die Person muss passen", sagt zum Beispiel Unternehmensberater Michael Gschwinder. Angesichts von "Gewinnen im Cent-Bereich" seien solche Läden ohne Rückhalt in der Dorfgemeinschaft zum Scheitern verurteilt, sagt er.

"Überschaubares Risiko"

Ganz ohne Risiko gehe es nicht, räumt auch Verdi-Sekretärin Frank ein. Es sei allerdings überschaubar. Für jede Filiale soll eine eigene Mini-GmbH gegründet werden, für die bereits ein Euro Startkapital reicht. Eine übergeordnete Holding übernimmt dann Buchhaltung und Einkauf. Gerät ein Markt in Schieflage, werden die anderen so nicht mit hinabgerissen.

Finanziert wird das Modell durch Spenden - Startkapital kommt von Privatleuten, der Gemeinde, Kirchen, Gewerkschaften oder auch den Vermietern der Läden. Im Fall von Karin Meinerz und ihren Mitstreiterinnen waren das 30.000 Euro. Die Frauen selbst zahlten selbst jeweils nur 100 Euro ein. Sollte das Projekt schiefgehen, würden sie aber auf der Ware sitzenbleiben - und müssten möglicherweise noch drei Monate Miete zahlen.

"Wir sind einfach nicht die Typen, die auf der faulen Haut liegen", sagt Meeh. "Mir ist die Decke schon nach drei Tagen auf den Kopf gefallen." Bei der Schlecker-Insolvenz Anfang des Jahres hatten rund 24.000 Frauen ihre Jobs verloren. Nach Angaben der Agentur für Arbeit hat mittlerweile jede dritte wieder eine Stelle.

Mehr Menschlichkeit

Kondome, Shampoo, Duschgel. Im "Drehpunkt" in Erdmannhausen gibt es zwar auch das klassische Drogerie-Sortiment. Neben der grünen Farbe soll aber einiges anders werden als zu Schlecker-Zeiten. "Dass wir auf die Kunden eingehen, wenn sie irgendwelche Wünsche haben", sagt Annemarie Keller. Die fänden dort auch "Sachen, die ich nicht überall bekomme", ergänzt Meinerz.

In einer Ecke stehen Geschenke. Adventskränze, Gestecke, Weihnachtskugeln. Keller hat sie selbst gemacht. "Vorher habe ich die auf dem Weihnachtsmarkt verkauft", erzählt sie. "Heute habe ich meinen eigenen Markt." Älteren Kunden wollen die Frauen ihre Einkäufe auf Wunsch auch nach Hause bringen.

Für die Eröffnung an diesem Samstag will Christina Frank von Verdi einen Trompeter organisieren. Kinder sollen kleine Geschenke bekommen. Mittags gibt es Sekt für die Kunden. "Und wir gehen irgendwann blau nach Hause", scherzt Meinerz. In anderer Form dürfte die Farbe an diesem Tag wohl nicht mehr auftauchen.