Marktplätze - der Traum aller Marken? Der Zulauf auf den Verkaufsplattformen ist jedenfalls enorm, schließlich versprechen sie kritische Masse, Kostenkontrolle, Preis- und Sortimentshoheit. Etailment-Experte Marcel Brindöpke von Heyconnect mahnt dennoch zur Vorsicht. Er sagt, welche Stolpersteine beim Verkauf über Marktplätze lauern und erklärt, warum das Plattformgeschäft für viele Marken vielleicht gar nicht sinnvoll ist.

Eigentlich müsste ich einen Beitrag schreiben, in dem ich ausführlich erläutere, warum für Marken – vor allem für Fashion, Schuhe oder Accessoires wie Taschen – der Verkauf auf Marktplätzen an Attraktivität nicht zu überbieten ist. Aber das kann ich leider nicht. Besser ist es, zu erklären, warum das Marktplatzgeschäft für viele Marken vielleicht sogar keinen Sinn macht. Oder sie zumindest eine neue Strategie brauchen.

Der Ursprung der Marktplatzidee ist eine einfache Rechnung: Wenn eine Marke direkt verkauft, streicht sie die Händlermarge ein und kann ihren Gewinn damit erhöhen. Klar, es gibt ein paar Kosten mehr, aber die hat ein Händler ja auch – also muss es doch besser sein, direkt zu verkaufen.

Von den anderen Vorteilen wie Preis- und Sortimentshoheit ganz zu schweigen. Wie oft ärgern sich Marken über Händler, die nur das risikolose Basic-Zeug einkaufen und dann auch noch direkt die Preise senken? 
Marktplätze versprechen Reichweite ohne großes Marketingbudget. Doch wie lukrativ das Geschäft für Marken und Händler am Ende ist, hängt von vielen Faktoren ab.
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Marktplätze versprechen Reichweite ohne großes Marketingbudget. Doch wie lukrativ das Geschäft für Marken und Händler am Ende ist, hängt von vielen Faktoren ab.

Marktplätze bieten kritische Masse

Der Zulauf auf Marktplätzen ist jedenfalls immens. Ausländische Marken, die auf den deutschen Markt wollen, Marken mit wenig Zukunft im Großhandel oder auch Online-only-Marken, die möglichst viele Marktplätze bespielen wollen.

Es scheint also etwas dran zu sein, dass Marktplätze der Traum aller Marken sind – und das ist auch richtig. Ohne Marktplätze wird es für viele Brands schwer, auf Traktion zu kommen und Kundenmengen zu erreichen, die Rentabilität versprechen.

Damit das klappt, muss sich eine Marke den Economics des Direktverkaufes auf Marktplätzen jedoch voll bewusst sein. Denn es lauern Stolpersteine, die nur schwer im Vorfeld zu prognostizieren sind. Schauen wir uns diese der Reihe nach einmal an:

1. Der durchschnittliche Verkaufspreis

Im klassischen Großhandel spielt die nominale Höhe des Preises in der Regel keine Rolle. Marken kalkulieren von den Selbstkosten einen Aufschlag und verkaufen ihre Ware mit Aufschlag weiter. Ist die Marge gering, so lässt sich über die Steigerung der Menge auch ein netter Deckungsbeitrag erzielen. Im Marktplatzgeschäft funktioniert die Rechnung leider nicht. 
Ein günstiger Artikel – z. B. ein T-Shirt für 40 Euro brutto – muss neben der MwSt. (ca. 8 Euro) und der Provision für Plattformen (ca. 20 % des Nettowertes von 32 Euro, also 6,40 Euro) auch noch die Logistik- und Versandkosten tragen. Die sind wiederum unabhängig vom Preis und betragen je nach Retourenquote bestenfalls nur 30 % des Nettowarenwertes, also weitere 10 Euro.

Und das ist eher ein Mindestwert. Realistischer sind bis zu 15 Euro, da Marken aufgrund geringerer Mengen in der Regel keine wirklich guten Logistik- und DHL-Konditionen bekommen.

Damit bleiben als Deckungsbeitrag für Ware, Organisation und IT also 10 bis 15 Euro übrig. Kostet ein Artikel hingegen 100 Euro, so sieht es deutlich besser aus, da die Versand- und Logistikkosten prozentual nicht mehr so stark durchschlagen. Im Gegensatz zum Großhandelsgeschäft spielt der Preis also eine zentrale Rolle.

2. Die Retourenquote

Einer der stärksten Treiber für die Rentabilität, vor allem im Modebusiness, ist die Retourenquote, denn an ihr hängen Warenverluste und erhöhte Versand- und Logistikkosten.

Wir erleben häufig eine systemische Unterschätzung der Retourenquote bei Marken, meist zurückgeführt auf die Erfahrungen im eigenen D2C-Webshop. Denn hier ist die Quote natürlich deutlich geringer. Stammkunden kennen meist ihre Größe, sind sich sicher, dass sie die Ware mögen und kaufen nicht kreuz und quer ein, wie es auf einem Marktplatz üblich ist.

Irgendwo auf der Welt ist immer Saison für Sommerschuhe. Stationäre Einzelhändler sollten die großen Plattformen nicht nur als Bedrohung sehen - sondern auch als neue Vertriebschance.
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Marktplätze

Die Amazonisierung des Handels kann auch eine Chance sein

Womit auch klar ist, warum dort die Retourenquoten deutlich höher sind. Aber auch hier gibt es Unterschiede. Marktplätze wie Amazon haben eine strukturell geringere Quote als Fashion-Plattformen wie About You oder Zalando. Zudem spielen das Pricing, die Warengruppe und das Material eine große Rolle.

Eine besondere Hürde wartet auf ausländische Marken. Denn hier können z. B. die Größen enorm variieren. Eine Größe M in Frankreich ist hierzulande vielleicht eine S – sowas kann die Retourenquote natürlich ebenfalls massiv treiben.

3. Retail Media

Auch die kuratierten Marktplätze sind in den letzten Jahren aufgewacht und vermarkten nun ihren Traffic im Rahmen von Retail Media – ein Sammelbegriff für die Vermarktung im Retail-Umfeld, wobei es hier insbesondere um die Möglichkeit des Keyword-Buchens gehen soll.

Eine schöne Monetarisierungsform für Plattformen, denn immerhin kaufen nur 2 bis 4 % der Besucher, und nun bringen auch die restlichen 96 bis 98 % der Visits noch Geld. Marken können dies nutzen, um sich den Besuchern sichtbarer zu machen. War dies vor ein paar Jahren noch eine nette Option, ist es heute nahezu unerlässlich, wenn man startet.

Die Maßnahme hat zwei Effekte. Zum einen kann man konkret Artikel pushen, zum anderen erhöht man durch die besseren Verkäufe die Attraktivität von Marke und Artikeln und verbessert so auch das organische Ranking. Allerdings knabbern diese Kosten ebenfalls Marge (ca. 8 bis 10 % vom Bruttoumsatz vor Retouren).

4. Die eigene Organisation

Die Kosten für den internen Aufwand werden ebenso unterschätzt, da viele davon ausgehen, dass es sich im Wesentlichen um einfache Aufgaben im Datenmapping handelt und wenn man das kann, werden die Artikel schon "live gehen". Damit sind aber vielleicht 5 bis 10% des Aufwandes beschrieben.


Es gibt diverse weitere Rollen in den Organisationen, die es zu besetzen gilt. Vom Business-Development über Sortimentsmanagement, Logistiksteuerung, den eigenen Einkauf, über die Buchhaltung, den Kundenservice etc. Von den Projektkosten der Anbindung, IT-Ressourcen und Systemen, die es zu orchestrieren gilt, ganz zu schweigen. 

Diese Rollen kosten nicht nur Geld, sie sind für Marken auch schwer zu rekrutieren. Oftmals muss dann eine Person diverse Rollen ausfüllen, was zwingend dazu führt, dass das volle Potenzial nicht ausgeschöpft werden kann.

5. Ramp-up & Timing

Was letztlich zu der Frage führt, ab wann ein Marktplatz-Geschäft rentabel werden muss. Im Großhandel ist die Antwort klar: nahezu sofort. Vielleicht muss man zu Beginn einen zu hohen Rabatt geben, um gekauft zu werden, aber es werden kaum hohe Start-Investitionen nötig.

Im Marktplatzgeschäft gilt dies so – leider – nicht. Betrachtet man die erwähnten Stolperfallen, so fallen neben den Investitionen zu Beginn vor allem Optimierungskosten und schlechtere Rentabilitäten an. Der Aufbau eines profitablen Marktplatz-Businesses dauert somit länger und ist zu Beginn auch noch teurer. Das muss akzeptiert und finanziert werden.

Kundenwert versus Deckungsbeitrag

Bleibt noch die Frage, warum es bisher für Onlinehändler rentabel war, günstige Produkte mit schlechten Retourenquoten zu verkaufen – immerhin sind Zalando und Otto ja auch zu großen Firmen geworden. Nicht alle Gründe haben mit unserer Rechnung zu tun, jedoch sind zwei Aspekte wichtig zu verstehen.

Plattformen verkaufen pro Kunde deutlich mehr Artikel als die im Schnitt ein bis zwei Artikel, die eine Marke auf Plattformen verkauft – denn die Marke ist nur Teil des Warenkorbes. Kann ich in einem Paket aber drei bis fünf Teile versenden, so sinken die Versand- und Logistikkostenanteile so massiv, dass es sich rechnen kann. Ein Grund, warum Dienste wie FBA (Amazon) oder auch ZFS (Zalando) für Marken so attraktiv sind. Ein anderer Grund liegt in der Betrachtungsweise. Während eine Plattform vor allem auf den Kundenwert schaut (Wie viel Geld verdiene ich mit einem Kunden über seine Lebenszeit bei welchen Kosten?), guckt eine Marke vor allem auf den Deckungsbeitrag der jeweiligen Sendung, da sie den Kunden ohnehin nicht monetarisieren kann.

Was die Plattform vielleicht in der dritten oder vierten Bestellung mit dem Kunden als Gesamt-Deckungsbeitrag verdient, muss die Marke im Optimalfall in der einzelnen Transaktion lösen – nämlich, Gewinn zu machen.

Die Händlermarge ist nicht der Heilige Gral

Zusammengefasst lässt sich vor allem eine Erkenntnis festhalten: Die zusätzliche Händlermarge ist nicht der Heilige Gral der Marktplatzökonomik und sollte nicht Entscheidungsgrundlage für die E-Commerce-Strategie einer Marke sein. Vielmehr greifen diverse Logiken, die ein solches Geschäftsmodell in seinem Erfolg oder Misserfolg determinieren.

Neben den kalkulatorischen Aspekten, auf die hier eingegangen wurde, kommen sicher noch weitere wie z. B. die Sortimentspolitik hinzu. Alles in allem führt aber für die meisten Marken kein Weg am Plattform-Business vorbei. Daher sollten sie sich ausführlich und strategisch damit auseinandersetzen.

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