Eine Paketsteuer als Mittel der Umverteilung zulasten des Versandhandels lehnt Marcel Brindöpke zwar ab - dennoch fragt er sich, ob der E-Commerce sich mit kostenlosem Hin- und Rückversand selbst einen Gefallen tut. In diesem Gastbeitrag erklärt der Etailment-Experte, wie sich der Gratisversand als Standard etablieren konnte und untersucht seine Auswirkungen auf Wettbewerb, Ökologie und die Arbeitsbedingungen in der Paketbranche.
Diese Menge an Waren, die im Umkehrschluss nicht mehr im stationären Handel gekauft wird, weckt die Fantasie derer, die hier verlieren. So forderte der Deutsche Städte- und Gemeindebund unlängst eine Paketsteuer, damit sich „große Online-Plattformen an der Finanzierung der Infrastruktur beteiligen“.

Die Logik der Pferdekutschen
Fordert eine bestimmte Klientel eine Steuer auf die Leistung einer anderen Klientel, ist schnell klar, dass dahinter kein wirklicher Sinn steckt, sondern eine Umverteilung zulasten der einen und zugunsten der anderen Gruppe erfolgen soll. Mit der gleichen Logik wäre eine Autosteuer zugunsten der Pferdekutschenindustrie angebracht gewesen, immerhin nutzten die Autos auch die Infrastruktur der zwingend zu erhaltenden Pferdekutschen.Blendet man den durchschaubaren Versuch, Geld für eigene Zwecke einzuwerben, einmal aus, so ist dennoch ein Phänomen bemerkenswert. Die gestiegene Attraktivität des Onlinehandels fußt u. a. auch darauf, dass sowohl Hin- als auch Rücksendungen inzwischen für den Kunden de facto kostenlos sind.
Während man bei Gratisretouren noch mit dem Verbraucherschutz argumentieren kann, fehlt ein sinnvolles Argument beim Hinversand völlig. Wie ist es überhaupt dazu gekommen?
Über den Verlust zum USP
Zum Zweck der Differenzierung im Wettbewerb sind die Versandkosten seit Ende der Nullerjahre sukzessive abgebaut worden. Vor allem die Neuen im Block wie Amazon mit Amazon Prime (kostet Geld, aber bei der Vielzahl an Bestellungen ist es ein De-facto-Gratisservice, zumal heute mehrere Leistungen damit eingekauft werden) oder Zalando schufen damals einen USP und konnten den Platzhirschen wie Otto Marktanteile streitig machen.Die Finanzierung dieses Unterfangens gelang auch durch externe Investoren, die die Anfangsverluste aus diesen Strategien kompensieren konnten.
Aufgrund der hohen Transparenz im E-Commerce bei ansonsten sehr vergleichbaren Geschäftsmodellen führte dies dazu, dass man fortan einen Nachteil hatte, wenn man diesen Gratis-Dienst nicht anbieten konnte. Entsprechend schnell etablierte sich der Gratisversand als Standard. Gepaart mit einfachem Rechnungskauf und sehr kulanten Retourenregelungen war dies der endgültige Durchbruch des Onlinehandels, durchaus zu Lasten des Stationärhandels. Geht man nun davon aus, dass ca. 75% aller Sendungen inzwischen gratis erfolgen und ein Paketversand mit 4,50 Euro zu bepreisen wäre, so verzichtete die Branche 2020 auf ca. 6,75 Milliarden Euro, was ca. 9% des gesamten E-Commerce-Transaktionsvolumens darstellt.
Das Leid der kleinen Händler
Nun könnte man dies als Kundenakquise- bzw. -pflegekosten abtun, doch die Effekte gehen weit darüber hinaus. So können sich kleine Onlineshops diese Preisbildung oft nicht leisten und haben somit einen klaren Wettbewerbsnachteil gegenüber den reichweitenstarken Onlineshops, die sich dies leicht leisten können.Gehen die kleineren Shops den Schritt des kostenlosen Versands trotzdem mit, sinkt die Marge enorm, mit nachteiligen Effekten auf Rücklagen, Investitionsmittel oder Gehälter für Mitarbeiter.

Und dennoch: 6,75 Milliarden fehlende Euro im System sorgen sicher auch nicht für die besten Löhne und Arbeitsbedingungen in der Paketbranche.
Einen ökologisch positiven Effekt dürfte diese Preisentwicklung auch nicht ausüben, immerhin kann man leicht und schnell auch sehr günstige Produkte einfach mal eben so bestellen. Amazon-Prime-Kunden kommen auf über 60 Bestellungen im Jahr, entsprechend wenig dürften die Bedarfe zu Wocheneinkäufen aggregiert werden (Der Autor ist ausdrücklich Teil dieses Wahnsinns). Und würde sich nicht auch die Retourenquote senken lassen, wenn man einen Teil der Aussendungen per se nicht gratis anbieten würde? Gerade Spontankäufe ohne echten Bedarf gehen oft zurück, wenn der Kaufrausch ausgeschwitzt wurde.
Zusammengefasst und leicht verkürzt lässt sich festhalten, dass mit einem Gratisversand weder dem fairen Wettbewerb, noch der Ökologie, noch fairen Gehalts- und Arbeitsbedingungen in der Paketbranche Vorschub geleistet wird – der Staat also durchaus Anlass sehen müsste, hier einzuschreiten. Zumal derzeit auch Steuern auf die 6,75 Milliarden Euro entfallen.
Was wäre, wenn es wirklich keine Gratislieferungen mehr gäbe?
Es gäbe vor allem einen Lenkungsmechanismus, der zum einen das Bestellverhalten der Kunden vermutlich verändert, zugunsten der Ökologie und geringeren Sendungsvolumina und damit zugunsten der Arbeitsbedingungen in der Transport-Branche. Zum anderen flöße mehr Geld in das gesamte Transportsystem, was ebenfalls die Gehaltsbedingungen verbessern könnte, sofern starke Gewerkschaften den Ball aufnehmen.Der Wettbewerb dürfte ebenfalls profitieren, auch internationale Marken könnten es sich einfacher leisten, in Deutschland zu verkaufen, da der internationale Versand ein starker Preistreiber ist.
Für die Kunden wird es allerdings durch die Versandkosten erst einmal teurer – die positiven Effekte werden für den Kunden nur latent greifbar. Und: Viele Firmen würden die Kosten durch Gutscheine oder Rabatt-Aktionen kompensieren und damit die Regelung weitestgehend unterlaufen.
Fazit
So schön es auch wäre, wenn Deutschland durch geeignete Maßnahmen die Zahl der Retouren auf ein Niveau anderer Länder reduzieren könnte (In Frankreich liegt die Retourenquote für Fashion eher bei 25% und nicht bei 65% wie in Deutschland), so unrealistisch ist es, dass so eine Regelung kommt. Zu einfach ist sie zu umgehen, zu schwer durchzusetzen.Und wer erhöht gerne die Kosten von Lieferungen – in einer Zeit, in der die meisten Menschen auf Lieferungen statt Ladenbesuche angewiesen sind? Dennoch zeigen die Gedankenspiele, wie wichtig es bei neuen Geschäftsmodellen ist, sich frühzeitig über mögliche Entwicklungen Gedanken zu machen, bevor man das Biest nicht mehr einfängt.