Thomas Lipke, Präsident des Bundesverbands des Deutschen Versandhandels e.V. (bvh), zu den Forderungen an die Politik zur Bundestagswahl 2013.

Der bvh ist die Branchenvereinigung der Interaktiven Händler, das heißt der Multichannel-Online- und Versandhandelsbranche, die aktuell allein rund 40 Milliarden Euro mit Waren in Deutschland mit Privatkunden und weitere acht Milliarden Euro mit gewerblichen Kunden umsetzen. E-Commerce ist der Wachstumsmotor in der Handelslandschaft und sichert derzeit Beschäftigung für mehr als 200.000 Menschen in unserem Land. Die Branche ist europäisch und international orientiert und steht für weltweiten Wettbewerb.
Um in diesem Umfeld deutsche Unternehmen weiterhin zu fördern und Wachstum und Arbeitsplätze zu sichern, bitten wir die politischen Parteien sich im Wahljahr im Sinne unserer Branche stark zu machen. Die Harmonisierung des europäischen Rechtsrahmens, steuerliche Regelungen im Inland aber auch auf europäischer Ebene, Datenschutz und der Austausch zwischen Politik und Wirtschaft sind für unsere Branche die wichtigsten Themen.
Das sind herausfordernde Themen. Um was geht es dem bvh bei der Harmonisierung des europäischen Rechtsrahmens im Einzelnen?
Nun, zunächst einmal müssen wir uns die Gegebenheiten des Interaktiven Handels ansehen, denn wir bewegen uns hier auf internationalem, grenzüberschreitendem Terrain. Natürlich ist es zu begrüßen, dass rechtliche Rahmenbedingungen grundsätzlich harmonisiert sein sollten. Dies darf jedoch nicht zu einer Angleichung auf einem nicht mehr vertretbaren Niveau führen. In Europa ansässige Unternehmen werden nur dann weiterhin erfolgreich sein, wenn bereits bei der Weichenstellung auf europäischer Ebene die Erhaltung und Förderung der Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen auch im internationalen Kontext als zentrales Anliegen verstanden wird.
Weiterhin sind nach unserer Ansicht ein hoher Harmonisierungsgrad und das Anliegen nach gleichen Regeln und Schutz vor Wettbewerbsverzerrungen in einem zusammenwachsenden Europa nur dann zu erreichen, wenn europäische Vorgaben in den Mitgliedsstaaten wirklich einheitlich umgesetzt werden und keine Übererfüllung erfahren.
Steht Europa bei steuerlichen Themen ebenfalls im Fokus?
Ja, sogar in zweifacher Hinsicht. Zunächst einmal ist der Interaktive Handel in Bezug auf Unternehmensgrößen und -strukturen sehr heterogen, mit einer Vielzahl von inhabergeführten und im Familienbesitz befindlichen Unternehmen. Deshalb plädieren wir für eine Förderung und wettbewerbsrechtliche Berücksichtigung des Mittelstandes besonders im Steuerrecht. Das wettbewerbsverzerrende Ausnutzen steuerrechtlich vorteilhafter Rechtsordnungen innerhalb Europas muss im Sinne eines funktionierenden Binnenmarktes verhindert werden.
Betriebsübergänge sind der Besteuerung zu entziehen um Innovationspotenzial und Arbeitsplätze zu sichern. Außerdem führt das europäische Umsatzsteuersystem vor allem aufgrund der unterschiedlichen Steuersätze zu Wettbewerbsverzerrungen und wird den Anforderungen eines harmonisierten Binnenmarktes nicht mehr gerecht. Im Rahmen der sogenannten Versandhandelsregel unterliegt die Lieferung von Waren an Privatpersonen ab einer bestimmten Umsatzhöhe nicht der Umsatzsteuer im Ursprungsland, sondern der im Bestimmungsland.
Unternehmen müssen sich in solchen Fällen kostenintensiv und mit hohem bürokratischem Aufwand auch im Bestimmungsland umsatzsteuerlich registrieren. Wir wünschen uns, dass sich die Politik perspektivisch auf europäischer Ebene für eine Angleichung der Umsatzsteuersätze eintritt und dass das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Modell des „One-Stop-Shops" im Bereich der Umsatzsteuer unterstützt wird.
Sie erwähnten eingangs, dass ein wichtiges Anliegen für den bvh auch der Datenschutz ist. Welche Themen sehen Sie hier auf der politischen Agenda?
Wir plädieren dafür, dass das deutsche Datenschutzrecht keine weiteren unnötigen Verschärfungen erfährt. Die Reform im Jahr 2009 hatte bereits weitreichende Auswirkungen auf die betriebliche Praxis im Umgang mit Kundendaten. Eine weitere Verkomplizierung des Datenschutzrechts würde die Möglichkeiten zur Kundenansprache und in der Folge die Umsatzchancen deutscher Unternehmen abermals deutlich reduzieren. Die seit Januar 2012 laufende Reform des europäischen Datenschutzrechtsrahmens muss sich an deutschem Datenschutzrecht orientieren und darf zur Wahrung von Wettbewerbsgleichheit im internationalen Kontext nicht darüber hinausgehen.
Diese Forderungen stehen also auch wieder im Diskurs nationaler und europäischer Richtlinien und Gesetze. Sehen Sie noch weitere Auflagen und Regeln für Ihre Branche, die den Wettbewerb gefährden könnten?
Ja, vor allem im Bereich Informationspflicht aber auch beim Wettbewerb der gängigen Bezahlverfahren. Bei der Informationspflicht gegenüber Verbrauchern sehen sich Interaktive Händler heute kaum mehr überschaubaren Anforderungen ausgesetzt. Einzelne Verpflichtungen aus unterschiedlichen Rechtsgebieten, etwa dem E-Commerce- und Datenschutzrecht, belasten Unternehmen unverhältnismäßig, ohne beim Verbraucher einen Mehrwert zu erzielen. Der bvh fordert deshalb die politischen Parteien auf, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene einer weiteren Ausdehnung von Informationspflichten entgegen zu treten. Statt einer weiteren Aufblähung und Verkomplizierung bedarf es einer Zusammenführung und Vereinfachung bestehender Informationspflichten.
Bei der Regulierung des Banken- und Kapitalmarktsektors auf europäischer Ebene müssen die Interessen von Unternehmen und Verbrauchern ebenfalls angemessen berücksichtigt werden. Die Bedeutung einzelner Bezahlverfahren darf nicht zugunsten anderer abgewertet werden. Eine Regulierung in anderen politischen Bereichen darf nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung etablierter Bezahlverfahren führen. Der bvh möchte die Bundesregierung daher auffordern, die Europäische Kommission anzuhalten, keine Entscheidungen zu treffen, die einzelne Bezahlverfahren gegenüber anderen rechtlich oder faktisch benachteiligen oder wodurch einzelne Bezahlverfahren gänzlich vom Markt verdrängt werden.
Sehen Sie Ihre Branche grundsätzlich genügend von der Politik vertreten oder was würden Sie sich von einer zukünftigen Bundesregierung wünschen?
Das Internet hat in vielen gesellschaftlichen Bereichen zu weitreichenden Veränderungen geführt. Moderne Formen der Kommunikation und Interaktion schaffen fortwährend neue Möglichkeiten und sind zu tragenden Säulen eines innovativen und erfolgreichen Handels geworden. Politisches Handeln muss daher der digitalen Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken und die Chancen und Möglichkeiten der digitalen Gesellschaft vor allem auch unter wirtschaftspolitischen Aspekten deutlicher herausarbeiten. Der bvh wünscht sich daher, dass der künftige Bundestag einen Unterausschuss Internet und Digitale Wirtschaft beim Wirtschaftsausschuss einsetzt, um einen fortwährenden Dialog zu den insbesondere für die digitale Wirtschaft relevanten Aspekten zu erzielen
Interview: Christin Schmidt