Nach dem Start des Onlinehändlers Amazon im Lebensmittelversand hagelt es an Kritik: Handelsexperten und Medien sehen die Zukunftsaussichten des Projekts kritisch.

Seit Anfang Juli verkauft Amazon in Deutschland auch Lebensmittel: Auf der Handelsplattform stehen nun insgesamt 35.000 Produkte zur Auswahl, von Gemüse, Fleisch und Fisch über Backwaren bis hin zu Delikatessen aus verschiedenen Ländern.

Doch die Zukunftsaussichten des Projekts sind umstritten. Nach einer Probebestellung kritisierten sowohl die Lebensmittel Zeitung (LZ) als auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die Qualität der Lieferung. Der Prozess sei "teuer und umständlich", bemängelt etwa die LZ.

Auch Experten bezweifeln, dass Amazon oder gar der Otto Versand, der auch Interesse am Geschäft anmeldete, mit dem Lebensmittelversand erfolgreich sein wird. Die Unternehmensberatung AFC Management Consulting in Bonn hat seit dem Jahr 2000 ähnliche Ansätze analysiert und warnt ausdrücklich vor Euphorie.

"Der Lebensmittelversand funktioniert nur dann, wenn der Händler die Leistung als Instrument der Kundenbindung ohne Gewinnerwartung anbietet oder sich auf Spezialsortimente konzentriert, etwa exotische Feinkost oder Nahrungsmittel für Allergiker", betont AFC-Vorstand Otto Strecker.

Kühllogistik als Haupthindernis

Immerhin können sich acht Prozent der Deutschen vorstellen, frische Lebensmittel online zu bestellen, sagen die Marktforscher von Nielsen. "Das sind durchaus respektable Werte", betont Petra Kacnik von Nielsen.

Doch wer den Kunden zuhause mit einem Supermarktsortiment beliefern will, der braucht eine funktionierende Kühlkette bis zum Kühlschrank des Verbrauchers, sagt Björn Weber, Reasearch Director beim Informationsdienst Planet Retail. Seiner Meinung nach ist das Anbieten von kühlpflichtiger Waren über den klassischen Versandweg äußerst problematisch.

"Ich bin sehr überrascht, dass Amazon auch Händler auf seine Plattform lässt, die kühlpflichtige Lebensmittel im Paketversand anbieten", sagte der Analyst gegenüber derhandel.de.

"Deutsche Paketdienste können die hohen Anforderungen an die Kühlkette nicht erfüllen", betont Weber. Kühlakkus und Styroporverpackung genügten dafür nicht. Auch müsse die Ware beim Kunden direkt in den Kühl- oder Gefrierschrank. Das sei die Achillesferse des Amazon-Konzepts.

Tiefkühlware bei 60 Grad plus

Gerade im Sommer seien die Pakete im Lieferwagen Temperaturen von 50 oder 60 Grad ausgesetzt. Das sei ein großes Hindernis nicht nur für die Belieferung von Tiefkühlware, Fisch, Fleisch und Molkereiprodukten, sondern auch für empfindliche Produkte wie Schokolade oder Bananen, sagt der Analyst.

Zudem beruhe die Kalkulation der existierenden Paketdienstleister darauf, dass ein Paket auch beim Nachbarn oder am Kiosk abgegeben werden kann, wenn der Empfänger nicht zuhause ist. Oder dass der Dienst am folgenden Tag einen weiteren Zustellversuch unternimmt. "Diese Laufzeiten sind für gekühlte Waren jedoch unverantwortlich", erklärt Weber.

Frische-Lieferung in den USA nur mit Spezialfahrzeugen

Zwar experimentiert Amazon auch in den USA mit der Lieferung kühlpflichtiger Waren. Allerdings, so berichtet Weber, mit einem speziellen Heimlieferservice, der sich auf die Region um Seattle beschränkt.

Im Rest der USA kann man bei Amazon lediglich aus einem Trockensortiment bestellen, welches dann unproblematisch per Paket verschickt werden kann. Ein ähnlicher Weg beschreitet der deutsche SB-Warenhausbetreiber Real mit seinem Onlineshop, in dem nur Nonfood-Artikel verkauft werden.

Der Großteil des Amazon-Foodsortiments wird von unabhängigen Händlern, so genannten Marketplace-Teilnehmern, angeboten. Auch wenn Amazon rechtlich nur bedingt für die Waren haftbar ist, bleibt die Frage der Kühlkette aus Sicht von Weber ein mögliches Problem für die Marke des Onlinehändlers.

"Amazon muss noch erklären, welche Anforderungen an die Partner gestellt werden, damit ein reibungsloses Prozess garantiert wird." Macht der Partner einen schwerwiegenden Fehler im sensiblen Bereich der Lebensmittelsicherheit, könnte dies mit großer Wahrscheinlichkeit auch das Image von Amazon beschädigen, meint der Experte von Planet Retail.

Weber zweifelt stark an der Rentabilität der neuen Amazon-Sparte und betont, dass nicht einmal der als erfolgreich gepriesene Onlineverkauf von Lebensmitteln der britischen Supermarktkette Tesco profitabel sei: "Die Kosten sind immens. Und gerade in Deutschland sind die Verbraucher nicht bereit, sie zu tragen".

Tengelmann-Chef skeptisch

Auch der Mitinhaber und Geschäftsführer von Tengelmann, Karl-Erivan Haub, der den E-Commerce-Sektor als ein neues unternehmerisches Betätigungsfeld entdeckt hat, zeigte sich in Bezug auf den Internethandel mit Lebensmitteln jüngst skeptisch.

"Das ist das schwerste Geschäft, das es gibt", sagte Haub vor Journalisten in Hamburg. Neben den geringen Margen im LEH sei die Frischelogistik "äußerst kompliziert", warnte der Chef der Tengelmann-Gruppe (Kaiser's Tengelmann, Obi, Kik, Woolworth).

Aber auch bei Amazon selbst scheint man von den Erfolgsaussichten des Projekts nicht restlos überzeugt. Die neue Warenkategorie "Lebensmittel & Getränke" kennzeichnet das Internetkaufhaus mit dem Wörtchen "Beta" - der Lebensmittelversand befindet sich also im Versuchsstadium.