Die Markenlandschaft wird immer bunter - und der Händler bei der Sortimentsgestaltung immer stärker gefordert. Neue, junge Marken stoßen in Lücken, die von klassischen Hersteller- und Handelsmarken nicht glaubwürdig gefüllt werden. Welche Rolle dabei die Sozialen Medien spielen, erläutert Gastautorin Hanna Schramm-Klein in einer neuen Folge der HandelsMonitor Mega-Trends ebenso wie die Frage, wie Händler ihrer Rolle als Kuratoren gerecht werden können.

Die Verbraucher von heute sind kritisch gegenüber der Unternehmensführung großer Markenartikler. Sie waren es auch vor rund 20 Jahren, als Naomi Klein mit "No Logo" einen Bestseller veröffentlichte. Trotzdem hat sich die Bedeutung von Marken im Sortiment der Händler seitdem nicht fundamental verändert.

Marken sind und bleiben wichtig, ihr Stellenwert wächst sogar. Was sich jedoch verändert hat, ist die Bedeutung der Markeninhaber und -träger.

Eigenmarken wachsen weiter

Insbesondere gewinnen Retail Brands und Eigenmarken des Handels weiter an Wertschätzung bei den Verbrauchern. Ein klarer Megatrend, der sich langfristig verfestigt, liegt in der Differenzierung zwischen Hersteller- und Handelsmarken auf der Sortimentsebene. Diese verwischt in der Wahrnehmung der Verbraucher immer mehr.

Der Anteil der Eigenmarken des Handels steigt immer noch stetig. Sie stehen schon lange nicht mehr nur für den Preiseinstieg, sondern stoßen in Mehrwert- und Premiumbereiche vor.
Handelsmarken bilden längst nicht mehr nur den Preiseinstiegsbereich ab, sondern stoßen auch in das Premiumsegment, hier Rewe "Feine Welt", vor.
© Rewe
Handelsmarken bilden längst nicht mehr nur den Preiseinstiegsbereich ab, sondern stoßen auch in das Premiumsegment, hier Rewe "Feine Welt", vor.

Kunden suchen Konstanz - und Abwechslung

Naiv wäre es jedoch zu denken, dass klassische Herstellermarken irrelevant oder vollständig aus den Sortimenten der Händler verschwinden werden. Im Gegenteil: Einige Händler haben sogar explizit die Anteile der Markenartikel durch Einlistung ausgebaut.

Denn auch und gerade auf der Ebene der Sortimente suchen Kunden sowohl nach Konstanz als auch nach Abwechslung. Das klingt zunächst schizophren, ist letztlich aber nur das Ergebnis von Routinewünschen auf der einen und Suche nach Inspiration und Customer Experience auf der anderen Seite.

In Corona-Zeiten greifen mehr Kunden zum Markenartikel

Für die Händler bedeutet dies, dass sie über Pflicht-Kategorien Stabilität und Konstanz im Sortiment sichern können. Hier spielen klassische Markenartikel und ihre Handelsmarken-Äquivalente eine Rolle.
Markenartikel geben Vertrauen - daher verwundern in der Corona-Pandemie die aktuellen, ganz leichten Marktanteilsgewinne der Hersteller - gegenüber den Handelsmarken in einigen Warengruppen nicht. Sie bieten den Kunden ein Sicherheitsgefühl in einem durch Unsicherheiten geprägten Konsumumfeld.

Preiseinstiegs- und Standard-Handelsmarken stabilisieren sich jedoch langfristig in den profilneutralen Sortimenten und demonstrieren die Sortimentskompetenz des Handels.

Ausruhen kann sich niemand - vor allem kein Händler

Man könnte versucht sein zu denken, dass die Entwicklung der Marken auf Sortimentsebene damit ausgefochten wäre. Dem ist jedoch nicht so. Die Verbraucher stellen häufiger die Vertrauensfrage, und ihre Ansprüche an den Mehrwert steigen. Über alle Warengruppen hinweg sind sie immer stärker bereit, neue Marken auszuprobieren und vom Etablierten abzuweichen.

Gerade in diesen durch die Corona-Pandemie geprägten Zeiten verstärkt sich auch der Wunsch der Kunden nach Inspiration. Aktuell - bei eingeschränkter Mobilität und begrenzten Freizeitaktivitäten - wird diese auch im Konsum gesucht.
Händler müssen aus einer Vielzahl von Produkten und Marken auswählen und ihr Sortiment so zusammenstellen und pflegen, dass ihre Kunden einen Mehrwert verspüren.
© HandelsMonitor Mega-Trends 2030+
Händler müssen aus einer Vielzahl von Produkten und Marken auswählen und ihr Sortiment so zusammenstellen und pflegen, dass ihre Kunden einen Mehrwert verspüren.

Neue Markenträger erobern die Märkte

Das gilt aber nicht nur momentan, sondern ist ein Megatrend, der für Händler bedeutet, dass sie zukünftig noch stärker als in der Vergangenheit Highlights in ihren Profilierungskategorien benötigen. Hier setzen einerseits Mehrwerthandelsmarken an, die sich langfristig etablieren, andererseits aber auch neue Marken von bisher unbekannten Akteuren.

Das eröffnet neuen Markenträgern und jungen Marken große Potenziale - und dem Handel Profilierungsmöglichkeiten. Gerade über "Newcomer Brands", zu denen neben Marken von Start-ups auch von Influencern gelaunchte Marken zählen, können Händler Impulse setzen.

Start-up-Marken

In der Gründerszene wird dieser Megatrend aufgegriffen und der Fokus verstärkt auf Konsumgüter - z.B. FMCG, Fashion, Sport - gelenkt. Junge Start-ups greifen spezifische Lifestyles der (jungen) Bevölkerung auf und sprechen sie mit zielgruppenorientierten Produkten an.

Neben Direktvertrieb über eigene Onlinekanäle gehen sie auch immer stärker in den stationären Einzelhandel, der damit besondere Akzente im Sortiment setzen kann. 
MyMuesli, gegründet 2005, war zunächst eine reine Online-Marke. Heute beliefert das Start-up neben den eigenen Ladengeschäften auch Edeka, Rewe und Kaufland.
© Screenshot
MyMuesli, gegründet 2005, war zunächst eine reine Online-Marke. Heute beliefert das Start-up neben den eigenen Ladengeschäften auch Edeka, Rewe und Kaufland.
Die Händler setzen dabei auch auf Start-up-Pitch-Formate (z.B. "Geldtiger" aus Japan, "Dragon's Den" aus Großbritannien oder "Die Höhle der Löwen" in Deutschland), die wie eine Markenfamilie imagefördernd auf die Akzeptanz am Point of Sale ausstrahlen.

Der Handel als Start-up-Plattform

Innovation über Start-ups im eigenen Sortiment, als Quasi-Eigenmarken oder als Exklusivmarken, versuchen einige Händler auch über spezielle eigene Formate zu erzielen: mit eigenen Plattformen (z.B. Foodstarter der Edeka), Start-up-Awards (z.B. von Rewe) oder indem Nischenmarken exklusiv gelistet werden.

Für die etablierten Hersteller ist das ein Problem: Der Regalplatz im Handel ist bekanntlich begrenzt und nicht selten werden sie zugunsten von jüngeren, innovativeren Lieferanten ausgelistet.

„Influencer haben großen Einfluss auf Meinungen, Handlungen und Entscheidungen ihrer Follower. Damit sind sie als Markenbotschafter so wertvoll wie nie."
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Influencer Marketing

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Influencer-Brands: Youtube, Instagram und Tiktok am POS

Spricht man über neue Markenträger, dann darf man einen wichtigen Entwicklungstrend nicht außer Acht lassen: die Sozialen Medien. Vor allem Influencer, als Markenbotschafter und Testimonials, sind jedoch längst nicht mehr nur ein Social-Media-Phänomen.

Dass Influencer "Werbung machen", ist weithin bekannt, aber sie sind als Personenmarken vor allem bei den jungen Zielgruppen hoch relevant und mit Blick auf Produktkategorien, die inhaltlich nah an ihrem Influencer-Image liegen, extrem glaubwürdig.

Das unterscheidet sie von den "Celebrity-Brands" der Vergangenheit, bei denen Personenmarken aus der Medienbranche eher als Lizenzgeber für merchandise-artige Fashion-Produkte oder Parfum-Linien wahrgenommen wurden.

Die Inhaberin des Youtube-Kanals "Sally's Welt" vertreibt Backzubehör unter dem eigenen Label auch im Handel.



Klassische Influencer-Sortimente finden sich im Kosmetikbereich, z. B. mit Marken wie nju von der Influencerin xLaeta, LOV von Hatice Schmidt oder Bilou von Bianca Claßen, oder im Food-/Food-Zubehör-Bereich, wie Sallys Welt, z.B. als Co-Brand mit Decoccino.

Um eigene Sortimente zu verankern, setzt dies aber eine starke Personenmarke voraus. Stärker in ihrer Testimonial-Funktion treten Influencer daher in Kooperationen mit Händlern auf, beispielsweise bei der Produktentwicklung oder kooperativen Eigenmarken.

Influencer prägen so eigene Handelsmarkenlinien, wie z.B. dm drogeriemarkt es mit "Langhaarmädchen", "Straßenkicker" oder "LVLY" umsetzt.

Die Kurator-Funktion ernst nehmen

Der Megatrend im Sortiment liegt darin, dass die Markenlandschaft weiter ausgedehnt wird. Innovative, junge Marken mit Lifestyle-Orientierung oder Nachhaltigkeitsansätzen stoßen in Lücken, die bisher nicht glaubwürdig gefüllt werden, von den Verbrauchern aber immer stärker nachgefragt werden.

Händler sind damit in ihrer Sortimentsfunktion stärker gefordert, denn die Markenkomplexität steigert sich. Neben der Retail Brand auf der übergeordneten Ebene sind Eigenmarken, klassische Herstellermarken und vor allem Newcomer-Marken zu steuern.

Das ideale Sortiment: weder zu komplex noch langweilig

Marken sind so zu etablieren, dass die Verbraucher nicht durch eine zu hohe Komplexität der Sortimente überfordert werden, aber sich auch nicht durch zu starke Gleichförmigkeit gelangweilt von den Händlern abwenden.

So trivial es klingt: Die Händler müssen ihre Sortimente kuratieren und diese Aufgabe wieder ernster nehmen: Sie müssen die für ihre Kundschaft am besten geeigneten Sortimente so zusammenstellen, pflegen und entwickeln, dass die Kunden einen Mehrwert verspüren.

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