Handelsexperte Gerrit Heinemann ist skeptisch. Lebensmittel-Onlinehandel in Deutschland, das werde nur „für kleine Nischen wie für Menschen mit wenig Zeit  funktionieren.“ Argumente, die diese These stützen, gibt es reichlich. Doch ein Blick ins Ausland zeigt, dass E-Food durchaus zum Massengeschäft taugt.

 

Beispiel Großbritannien und Frankreich. Dort ist E-Food längst weit gediehen. Auf 7,8 Milliarden beziehungsweise 6.7 Milliarden Euro wird dort der Markt beziffert.

Die Gründe für den Erfolg sind unterschiedlich.

Während Deutschland in Sachen E-Food eher noch ein Start-up-Land ist – trotz der rasanten Geschwindigkeit mit der beispielsweise Rewe den Onlineversand ausbaut, ist in Großbritannien Lebensmittel-Onlinehandel schon seit gut einem Jahrzehnt ein Begriff. Tesco startete seine Online-Aktivitäten bereits im Jahr 2000. Mit ein Grund dafür, dass die Kette nun 39 Prozent  des Markets kontrolliert.

Pure Player Ocado, gleichfalls zur Jahrtausendwende gestartet, kommt immerhin schon auf einen Marktanteil von 13%. Kein Wunder also, dass sich hierzulande beispielsweise Allyouneed mit einer immer flexibleren bundesweiten Zustellung noch Chancen ausrechnet.


Netzwerk an Pick-up Points

Bei der Zustellung aber dürfte es zum Schwur kommen. Das zeigen die Kunden auf der Insel. E-Food tut sich dort auch deshalb leichter, weil die großen Anbieter erhebliche  Anstrengungen unternehmen, dem Kunden immer mehr Pick-up Points zu bieten.

Mit dem wohl größten Netz an Pick-up Points in Europa kommt auch der Handel in Frankreich seinen Kunden  und deren Einkaufsgewohnheiten entgegen, und kann dementsprechende Wachstumsraten vorweisen.



Das könnte auch der deutsche Handel nutzen und damit zumindest einen Nachteil, nämlich die gewaltigen Flächenüberhänge im Handel, in einen Vorteil verwandeln.

Sicherlich: ein Vergleich mit den europäischen Nachbarn hakt an mancher Stelle. Die ausgeprägte Discount-Struktur in Deutschland, Kunden, die gerade beim Essen auf den Preis achten - die gibt es so nur in Deutschland. Obendrein sind die Kunden auch noch mit den bestehenden Einkaufsmöglichkeiten mehr als zufrieden. Gleichwohl: Ausprobieren wollen die deutschen den bequemen Einkauf von Toilettenpapier, Dosensuppe und Bananen schon gerne. 

Doch wo soll da der Mehrwert für den Kunden herkommen, geschweige denn der Gewinn für den Handel?

Bieten könnten die deutschen Händler beispielsweise ein deutlich erweitertes Sortiment als im klassischen Markt um die Ecke oder selbst im SB-Warenhaus. Und sie könnten Kunden erklären, dass sie ja nicht zwingend Frischeartikel kaufen müssen, wenn sie die Qualität des Salats aus dem Online-Shop skeptisch sehen.

Und der Gewinn? Ausreichend Umfragen und Learnings zeigen, dass die Kunden durchaus 4 bis 7 Euro für eine Lieferung zahlen. Das kann sich rechnen: Wenn es, wie Heinemann salopp formuliert, „ratzfatz“ geht.
Hinzu kommt: Der Lebensmittelhandel war schon immer der Meister der Mischkalkulation und dürfte obendrein auch darüber nachdenken, wie man die Industrie über Werbungskostenzuschüsse und neue Boni-Ideen mit ins Boot holt.  

Damokles-Schwert Amazon Fresh

Und dann ist ja auch noch das Damokles-Schwert Amazon Fresh. Kommt der Online-Riese wirklich in der zweiten Jahreshälfte mit einer eigenen E-Food-Lieferung nach Deutschland?

Wenn ja, dann um in Deutschland, dem härtesten Lebensmittelmarkt Europas den  “proof of concept” für den europäischen Markt zu leisten. Und was ein Markteintritt von Amazon bedeuten könnte, dass ahnen auch die Kaufleute von Rewe, Edeka und Co: Ein möglicher Preiskampf gegen den sich jede Preissenkung von Aldi als Frühlingslüftchen erweisen könnte.

Einziger Trost: Es bleibt ein vorerst überschaubarer Markt.

Mehr zum Thema: Der Report "The State of Online Grocery Retail in Europe" liefert umfassendes Zahlenmaterial zum Lebensmittel-Onlinehandel in Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden. Erstellt hat ihn die Agentur SyndicatePlus von der auch die Grafiken stammen.