Betrügerische Bots, die Artikel bei Onlinehändlern aufkaufen, um sie dann teurer weiterzuverkaufen: Das sogenannte Scalping war bislang vor allem bei Eintrittskarten für Veranstaltungen bekannt, tritt aber immer häufiger auch bei Konsumgütern auf. Wie Händler die Gefahr entschärfen und Bots von echten Kunden unterscheiden, erklärt Dennis Haake vom Identitätsspezialisten ForgeRock.
Bots oder Botnetze sind Gruppierungen von Tausenden von Geräten, die durch bösartige Software infiziert oder kompromittiert wurden. Die Malware befindet sich unerkannt auf den Geräten und wird über einen zentralen Befehlsserver gesteuert, der die Bots anweist, bestimmte Aktionen auszuführen.
Neuerdings verzeichnen Sicherheitsexperten eine Zunahme einfacherer, weniger zerstörerischer Bots, die einen einzigen Zweck erfüllen - den Bestand von Onlineshops an aktuell begehrten Artikeln aufzukaufen, bevor tatsächliche Kunden eine Kaufchance haben.

Zuletzt war das Phänomen zum Beispiel bei Nintendo Switch und Playstation 5 zu beobachten: Lager der Händler waren leergekauft, während die Geräte bei Ebay mit einem erheblichen Preisaufschlag angeboten wurden - schlecht für den Händler und für den Kunden.
Während des ersten Corona-Lockdowns war in den USA sogar Toilettenpapier Ziel solcher Bot-Attacken, wie Reuters berichtet.
Wie funktionieren Retail-Bots?
Retail-Bots überwachen automatisch die Lagerbestände führender Einzelhändler. Sobald beliebte Artikel vorrätig sind, kaufen die Bots möglichst viele von ihnen auf. Sie geben sich dabei als gewöhnlicher, menschlicher Kunde aus.Im Kaufvorgang selbst gibt es augenscheinlich keinen Unterschied zu einem "echten Kunden": Die Bots legen einen Artikel in den Einkaufswagen, geben Versandinformationen ein und schließen die Bezahlung ab. Dann wiederholen sie den Vorgang immer und immer wieder, bis der jeweilige Artikel ausverkauft ist.

Birdbot
Einer der produktivsten aktiven Retail-Bots heißt "Birdbot". Er ist frei verfügbar und wurde ursprünglich entwickelt, um den Einkauf und Check-out bei Walmart und Best Buy in den USA zu automatisieren. So funktioniert Birdbot:- Nutzer laden Birdbot herunter und führen das Programm auf ihren lokalen Computern aus.
- Sie konfigurieren Birdbot mit Aufgaben (Gegenständen, die sie kaufen möchten), Profilen (Versand-, Rechnungs- und Zahlungsinformationen), Bevollmächtigten (Liste der Internet-Proxys, die Birdbot verwenden soll, um die Herkunft des Nutzers zu verbergen) und Einstellungen (in erster Linie, wohin Birdbot Benachrichtigungen über Erfolg oder Misserfolg des Kaufs senden soll).
- Birdbot ahmt einen normalen Webbrowser nach, indem es einen User-Agent konfiguriert. Ein User-Agent ist eine Anwendung, mit der die Art und Weise bestimmt werden kann, wie sich Browser, Smartphones und andere Geräte identifizieren, damit eine Website weiß, wie sie den Inhalt so formatieren muss, dass er am besten zu diesem Gerät passt.
- Birdbot führt dann einen Code aus, der es ihm ermöglicht, Benutzerinteraktionen (Checkout, Übermittlung von Zahlungsinformationen, Auswahl von Versandoptionen) nachzuahmen.
- Birdbot loggt sich nicht ein. Stattdessen nutzt es die Funktion "Gast".
- Birdbot wiederholt diesen Vorgang viele Male pro Minute. Sobald der gewünschte Artikel auf Lager ist, kauft es ihn automatisch nach.
Wie können Händler herausfinden, ob sie es mit einem Bot zu tun haben?
Im Kern der Frage befindet sich ein digitales Identitätsproblem. Hierfür müssen eine Reihe von Kontext- und Verhaltensfaktoren untersucht und dazu genutzt werden, Entscheidungen in Echtzeit zu treffen.Unter Verwendung einer Vielzahl von Datenquellen können Identitätsplattformen Echtzeit-Entscheidungen treffen und die Kunden-Log-in- und Check-out-Prozesse so anpassen, dass sie schwieriger und komplizierter werden, wenn der Verdacht besteht, dass ein Bot versucht, eine Transaktion zu tätigen, während echte Kunden ohne Schwierigkeiten durch den Check-out-Prozess gelangen.
Digitale Identität zeigt, wer der wahre Kunde ist
Um Bot-Traffic zu bekämpfen, müssen Anbieter feststellen, woher der Internetverkehr kommt. Ein Gateway untersucht mithilfe von Tokens und Sessions den Traffic und entscheidet, ob Zugriff auf die Website gewährt wird.
- IP-Adressen: Ein Node kann Listen mit potenziellen Bot-IP-Adressen in Echtzeit aufrufen und auf dieser Grundlage Zugriffe gewähren oder ablehnen.
- reCAPTCHA: Unternehmen können den Kunden auffordern, ein reCAPTCHA auszufüllen. Bots haben damit Probleme. Allerdings sollten Shopanbieter reCAPTCHA nur einsetzen, wenn unbedingt nötig, da es von Kunden oft als störend empfunden wird.
- Device-Kontext: Echte Kunden verwenden Geräte, die wichtige Kontextinformationen liefern. Mit dem Einverständnis des Kunden können Unternehmen das Gerät (Laptop, Smartphone, Tablet) scannen und Informationen wie User-Agent sammeln, um einen "Fingerabdruck" des Geräts zu erstellen.
- Log-in: Wenn Unternehmen ihre Kunden zum Einloggen ermutigen, können sie ein Profil erstellen, das es ermöglicht, ihre Geräte mit ihrer Identität abzugleichen.
- verhaltensbiometrische Daten: Maschinelles Lernen und KI-Funktionen können Daten zur Interaktion des Nutzers auf der Website liefern und ihn so identifizieren.
- A/B-Tests: Unternehmen können A/B-Tests durchführen und sicherstellen, dass diese legitimen und Bot-Datenverkehr korrekt klassifizieren und nicht versehentlich echte Kunden vertreiben.
Fazit
Zwar gibt es keinen Königsweg, um alle Retail-Bots zu besiegen - aber dank einer Vielzahl an Lösungen gibt es intelligente, zukunftssichere Ansätze, die die Probleme für Händler entschärfen können.Die korrekte Authentifizierung von Nutzern ist kein einfaches, einmaliges Ereignis mit binärem Ergebnis mehr. Stattdessen bedarf es einer kontinuierlichen Überprüfung und Bewertung von Websitezugriffen.