Amazon ändert seine Preise dutzende Male am Tag und weiß aufgrund seiner vielen Daten, was die Kunden wünschen. Wer hier nicht mitzieht, erlebt einen klaren Wettbewerbsnachteil. Wir unterhalten uns mit Jens Scholz, Vorstand des Unternehmens prudsys, über die Vorteile von künstlicher Intelligenz im Handel. Er erklärt uns, dass nicht immer KI drin ist, wo KI drauf steht und was Systeme für die Personalisierung mit Schachcomputern zu tun haben.
Nahezu jede Shopsoftware bietet eingebaute Produktempfehlungen. Welchen Mehrwert bietet KI hier?
Jens Scholz: Nicht überall wo künstliche Intelligenz dransteht, ist auch künstliche Intelligenz drin. In diesem Punkt unterscheiden sich Empfehlungssysteme erheblich. Wir arbeiten mit den Kernfunktionsprinzipien Machine Learning und Reinforcement Learning. Ein schönes Bild ist der Vergleich mit einem Schachcomputer: Die Software erkennt die „Züge“ des Kunden, antizipiert die Kette aller möglichen nächsten „Züge“ und gestaltet die eigenen Aktionen (z.B. Produktempfehlungen) so, dass sie „das Spiel“ (z.B. den Zielparameter Umsatzoptimierung) gewinnt. Ein Algorithmus lernt durch Belohnung eine Taktik, wie in potenziell auftretenden Situationen zu handeln ist, um den Nutzen des Gesamtsystems zu maximieren. Das zeichnet unsere KI aus.

Jens Scholz: Jeder Händler stellt sich die Frage: Warum sollte ein Kunde bei mir einkaufen und nicht bei Amazon? Dort gibt es nahezu jedes Produkt und in Sachen Kundenfreundlichkeit setzt Amazon die Benchmark. Um gegen solch einen Riesen bestehen zu können, müssen Händler ihren Kunden vor allem eines bieten: Relevanz. Nur so lässt sich die Kundenbindung um ein Vielfaches steigern: Wenn Sie in einem Fashiongeschäft ein aufmerksamer Mitarbeiter berät und auf Basis ihrer Aussagen passende Styles zur Anprobe bringt, die Ihnen gefallen, behalten Sie das Geschäft in guter Erinnerung und kommen wahrscheinlich wieder. So verhält es sich auch im Onlineshop.
Eine gute KI ist omnichannelfähig und maximiert den Kundenwert über alle Kanäle. Sie ermöglicht dem Händler, seinen Kunden an allen Touchpoints ein relevantes Einkaufserlebnis über die gesamte Customer Journey zu bieten. Eine gute KI für Personalisierung stellt verschiedene Empfehlungslogiken je nach Zielstellung des Händlers bereit und individualisiert verschiedene Elemente. Je nach Branche und Gegebenheiten des Unternehmens verzeichnen Händler messbare Erfolge. Unser langjähriger Kunde Westfalia beispielsweise erzielt 12 Prozent Umsatz aus Empfehlungen. Baby-Walz, auch einer unserer Kunden, erzielt 8 Prozent Umsatz aus Empfehlungen.Um gegen einen Riesen wie Amazon bestehen zu können, müssen Händler ihren Kunden vor allem eines bieten: Relevanz
Ein schönes, aktuelles Beispiel sind Produktempfehlungen auf Basis von Bildähnlichkeiten: Sie entdecken beim Abendessen eine schicke Uhr am Armgelenk eines Freundes. Mit dem Smartphone fotografieren Sie die Uhr, um z.B. über einen Messenger-Dienst oder App eines Händlers Produkte zu erhalten, die der fotografierten Uhr ähnlich sind. Dieser Service für Personalisierung ist keine Zukunftsmusik, sondern wird aktuell schon eingesetzt.
Welche Voraussetzungen muss der Händler zur Integration einer Empfehlungsengine schaffen? Sind Umbauten am Shopsystem notwendig?
Jens Scholz: Hier gibt es keine großen Barrieren. Unsere Recommendation Engine ist mit jedem Shopsystem kompatibel und es sind keine besonderen Voraussetzungen für den Einsatz nötig. Aus dem Front-End des Onlineshops heraus werden die einzelnen Applikationen unserer Engine durch HTTP-Requests angesteuert. Parallel werden alle notwendigen Tracking-Informationen (Klicks, Suchanfragen, Warenkörbe etc.) an unseren Server weitergegeben. Auf Grundlage dieser Daten berechnet die KI in Echtzeit Empfehlungen und liefert diese z.B. im JSON-Format an den Webshop zurück. Gleiches gilt für den personalisierten Newsletter. Jedes internetfähige System kann diese Daten einfach interpretieren und weiterverarbeiten.
Stichwort Schnittstellen: Wo laufen die verschiedenen Datentöpfe für die KI denn zusammen? Reicht eine Verbindung zum Shop, oder muss der Händler auch an die Warenwirtschaft ran?
Jens Scholz: Für Personalisierung im Onlineshop reicht die Verbindung zum Shop. Damit eine kanalübergreifende Personalisierung gelingt, müssen jedoch Datensilos beseitigt werden. Eine KI-Lösung für Personalisierung sollte Schnittstellen zu sämtlichen Datentöpfen der verschiedenen Kundentouchpoints haben. Der Datentransfer sollte in Echtzeit funktionieren, sodass die KI immer die Möglichkeit hat, aktuelle Verhaltensdaten zu berücksichtigen. Beispiel: Bekomme ich im Paketbeileger größtenteils Produkte angeboten, die ich bereits vor Tagen im Onlineshop gekauft habe, verpufft die personalisierte Kundenansprache. Intelligenz, die in Echtzeit agiert und weiß, was an anderen Touchpoints passiert, ist ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Ist der Einsatz der Empfehlungen auf den Shop des Händlers beschränkt?
Jens Scholz: Eine ganzheitliche Personalisierung entlang der Customer Journey an verschiedenen Kanälen gehört für viele Händler zu den aktuellen Herausforderungen. Relevante Produktempfehlungen, individuell für jeden Kunden am gerade relevanten Touchpoint, sorgen für ein gutes Kundenerlebnis. Personalisiert werden kann nahezu überall: im Onlineshop, in der App auf dem Smartphone, im Newsletter oder im personalisierten Postmailing mit kundenspezifischen Angeboten.
Durch intelligente Printpersonalisierung konnte bspw. der B2B-Händler SSI Schäfer Shop seine Bestellquote um 15% steigern. Unsere KI-Lösung berechnet Produktempfehlungen für einen 16-seitigen Katalog, der in über 100.000 Varianten mit fast 5.000 unterschiedlichen Produkten für jeden Kunden individuell gedruckt wird.Personalisiert werden kann nahezu überall: im Onlineshop, in der App auf dem Smartphone, im Newsletter oder im personalisierten Postmailing mit kundenspezifischen Angeboten.
Aber auch am Point of Sale lohnt sich eine personalisierte Ansprache, z.B. in Form eines Berater-Tablets. Durch das Tablet erhält der Verkäufer Produktvorschläge für den Kunden auf Basis dessen Kaufhistorie und kann ihn so optimal beraten.
Jens Scholz: Eine gute KI trackt den Onlineshop-Besucher ab dem ersten Klick. Alles Klicks werden in Echtzeit erfasst, die Empfehlungen dazu in Echtzeit berechnet und ausgespielt.
Für eine gute Empfehlungsqualität sind aktuelle Verhaltensdaten fast unerlässlich. Wenn die KI die aktuellen Bedürfnisse des Besuchers kennt, werden auch die Empfehlungen entsprechend gut dazu passen.
Was nutzen Ihnen Empfehlungen für Kinderspielzeug, weil Sie beim letzten Onlineshop-Besuch ein Geschenk für Ihren Neffen kauften, aktuell aber eine Winterjacke suchen? Das erkennt eine gute KI-Lösung, die in Echtzeit agiert, sofort.
Kann ich als Händler denn auch steuern, was ich den Kunden anbieten möchte (Stichwort Sortimentsoptimierung und Kategorienmanagement), oder bin ich nur Passagier?
Jens Scholz: Ja, das setzt der Großteil der Händler bewusst um.
Oftmals existieren klare Abverkaufsziele aus dem Einkauf: Die Waren im Bestand sollen natürlich abverkauft werden. Oder es sollen Verkaufsziele erreicht werden, um beim Hersteller Rückvergütungen zu erzielen. Personalisierung wird oft genutzt um diese Ziele zu unterstützen.
Händler haben innerhalb der Personalisierungslösung durch eine Vielzahl Filtereinstellungen die Möglichkeit, die Empfehlungen in Hinblick der Ziele zu steuern, beispielsweise um eine bestimmte Kategorie oder eine bestimmte Marke zu pushen.
Auf Marktplätzen zählt bekanntlich in erster Linie der Preis. Dafür gibt es ja eine Reihe von Re-Pricing-Lösungen. Wo unterscheiden Sie sich hier?
Jens Scholz: Viele der aktuell eingesetzten Pricing-Lösungen folgen starren Preisregeln, die sich häufig allein am Preisverhalten des Wettbewerbs orientieren. Der Einsatz sogenannter Repricing-Tools birgt die Gefahr ruinöser Preisverzerrungen, wenn sich Händler gegenseitig immer weiter unterbieten. Unternehmen, die das Optimum aus ihren Preisstrategien herausholen wollen, setzen besser auf KI-basierende Verfahren, um Preise automatisch zu berechnen.
Unsere KI berechnet zu jeder Zeit den marktgerechten Preis für tausende Produkte in Echtzeit. Das Lösungsangebot reicht von der regulären Einzelpreisoptimierung über die Optimierung von Abschriften bis hin zum intelligenten Couponing. Die Preisanpassungen erfolgen dabei maschinell durch intelligente Algorithmen. Diese analysieren kontinuierlich riesige Datenmengen und beziehen alle relevanten Preisbildungsfaktoren ein.
Wenn es kalt wird, sind Brennstoffe teurer, wenn es regnet, Regenschirme – so trivial wird KI nicht sein. Aber wie findet KI den optimalen Preis?
Jens Scholz: Eine KI für intelligentes Pricing sollte in der Lage sein, viele verschiedene Einflussfaktoren bei der Preisbestimmung berücksichtigen, z.B. den Lagerbestand, die aktuelle Nachfrage, die Lebensdauer der Produkte, den Wochentag, Verkaufsaktionen, die Konkurrenzpreise oder eben das Wetter (was übrigens auch implizit über die Nachfrage erfolgt). Die Menge der Faktoren macht es deutlich: In Zeiten von Big Data und einem hochgradig-volatilen Marktumfeld sind die Preise von Menschenhand nicht mehr hinreichend effektiv zu steuern. An dieser Stelle kommt künstliche Intelligenz (KI) in Form von selbstlernenden Algorithmen ins Spiel. Die KI berechnet automatisch für jeden Artikel und zu jedem Zeitpunkt den optimalen Preis.
Dabei erfolgt die Preisoptimierung immer unter Berücksichtigung der Preisstrategie des Händlers. Wie weit der Händler in die Arbeitsweise der KI eingreifen möchte, bleibt ihm selbst überlassen. In der Regel legt er zumindest die oberen und unteren Preisgrenzen für jedes Produkt fest. Anschließend gibt er vor, auf welche Zielgröße hin die KI die Preise optimieren soll – also Absatz, Umsatz oder Rohertrag. Die Algorithmen erledigen dann den Rest.
Der große Vorteil dynamischer Preisoptimierung liegt darin, dass die Preisbildung nicht kostengetrieben erfolgt. Stattdessen rückt bei diesem Ansatz die Preisakzeptanz der Kunden in den Mittelpunkt. Die Kernfrage lautet: Was ist den Kunden ein Produkt oder eine Dienstleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort wert? Unsere KI ist in der Lage, bestimmte Zielvorgaben eigendynamisch zu verfolgen und in Echtzeit aus der Kundenreaktion Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Preissetzung zu ziehen. So schöpft die KI das Ergebnispotential des Händlers optimal aus.
Apropos Dynamic Pricing: Merkt der Kunde eigentlich etwas vom Einsatz des Systems?
Jens Scholz: Beobachtet der Kunde die Preisentwicklung eines Produktes, bemerkt er natürlich die Preisverläufe. Schwankungen im Onlinehandel, basierend auf Angebot und Nachfrage, sind normal. Wartet der Kunde den richtigen Zeitpunkt ab, kann er ein Schnäppchen machen.
Ein anderes Beispiel, dass Kunden wahrscheinlich nicht mit Dynamic Pricing in Verbindung bringen: Couponing.
Um treue Kunden dauerhaft zu binden, die oft und mit hohem Warenkorbwert einkaufen, geben Händler gern Coupons für den nächsten Einkauf. Paaren die Händler den Preisnachlass (gemessen am Kundenwert) noch mit Produkten, die den Kunden wirklich interessieren (womit wir wieder beim Thema Personalisierung wären), schafft er einen echten Mehrwert für den Kunden und einen Anreiz zum Kauf.Was nutzen Ihnen Empfehlungen für Kinderspielzeug, weil Sie beim letzten Onlineshop-Besuch ein Geschenk für Ihren Neffen kauften, aktuell aber eine Winterjacke suchen? Das erkennt eine gute KI-Lösung, die in Echtzeit agiert, sofort.
Können Multi- und Omnichannel-Händler eine solche KI-Lösung auch am stationären POS einsetzen? Wie muss man sich eine solche Lösung praktisch vorstellen?
Jens Scholz: Ja. Auch hier gibt es verschiedene Anwendungsszenarien. Ausschlaggebend ist auch hier die Strategie des Händlers. Möchte er seinen Umsatz steigern, Abschriften optimieren, den Kundenwert durch intelligentes Couponing steigern oder womöglich alles zusammen? Eine KI kann auf diese Ziele hin die Preise am POS, z.B. über Electronic Shelf Labels (ESLs), optimieren.
Die KI erkennt die u.a. die Preis-Effekte zwischen verschiedenen Artikeln. Ein Beispiel ist die Preis-Absatz-Beziehung zwischen Erdbeeren, Sprühsahne und Tortenboden. Möchte ein Händler den Abverkauf von Erdbeeren ankurbeln, um vor dem Verfall alle Früchte zu verkaufen, passt er den Preis entsprechend an. Eine KI kann sowohl positive als auch negative Preis-Absatz-Beziehungen (Kreuzpreiselastizitäten) bei der Preisoptimierung berücksichtigen und zeigt nach der Preisanpassung der Erdbeeren auch die Produkte an, hier Sprühsahne und Tortenboden, auf die sich die Preisänderung auswirkt. Die KI schlägt dann den optimalen Preis für Sprühsahne und Tortenboden vor. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann sich das Beispiel in unserem Video anschauen.
Prudsys Empfehlungen
Heute bestellt, morgen geliefert? Wie lange dauert ein solches Projekt im Durchschnitt von der Beauftragung bis zum ersten Nutzen für den Händler? Mit welchen Schwierigkeiten müssen Händler realistisch rechnen?
Jens Scholz: Der Großteil unserer Pricing-Kunden entscheidet sich für die Durchführung eines Proof of concept. Wie entwickeln sich Umsatz, Marge und Absatz mit durch den Einsatz der KI? Hier wird genau geschaut, was die KI an Mehrwert leistet. In der Regel dauert diese Phase 2-3 Monate. Die Integration der Pricing-Lösung an sich passiert sehr schnell i.d.R. unter zehn Tagen. Am Ende kommt es auf die Gegebenheiten und Anforderungen des Kunden an.
Wichtig noch zu wissen: Dynamic Pricing bringt eine enorme Steigerung der Effizienz mit sich, da die KI Menschen wiederkehrende und monotone Tätigkeiten wie die Preisbildung abnimmt. Dies schafft Freiräume für das Category Management, die für strategische Preis- und Sortimentsentscheidungen genutzt werden können
Die Möglichkeiten von Dynamic Pricing und Personalisierung klingen überzeugend. Aber ist das nicht nur etwas für die ganz Großen der Branche?
Jens Scholz: Große sowie kleine Onlinehändler haben Relevanz für den Kunden als Verkaufsargument schlechthin erkannt. In nahezu jedem Onlineshop findet man mittlerweile Empfehlungen. Die Empfehlungsqualität steht hingegen auf einem anderen Blatt. Was „unter der Haube“ der Personalisierungslösung steckt, ist ausschlaggebend für den Erfolg der Empfehlungen. Aber erfolgreiche Empfehlungen sind natürlich nicht nur was für die ganz Großen der Branche. Der Einsatz rechnet sich auch für Händler mit mittlerem Umsatzvolumen.
Für das Thema automatisierte Preisoptimierung sehen wir eine stark wachsende Nachfrage am Markt. Amazon ändert seine Preise dutzende Male pro Tag. Wer nicht mitzieht, erlebt einen klaren Wettbewerbsnachteil. Der Großteil unserer Kunden im Bereich Dynamic Pricing befindet sich unter den Top 100 der umsatzstärksten Onlineshops in Deutschland. Das heißt aber nicht, dass sich der Einsatz auch für Händler jenseits dieser Platzierung per se nicht lohnt. Hier beraten wir den Händler gern individuell.