Für den Einzelhandel wird es immer schwerer, gute Auszubildende zu finden. Die Branche befindet sich längst in einem Wettbewerb um Schulabgänger, bei dem das Arbeitgeberimage eine große Rolle spielt.
Schwarzin ist einer von insgesamt acht neuen Azubis bei Edeka Georg mit Sitz in Idstein im Taunus. Dass er den richtigen Beruf gewählt hat, weiß der 19-Jährige schon nach zwei Wochen: Er hat Spaß, die Theke ansprechend zu gestalten und genießt es, wenn die Kunden sich über die Dekoration freuen.
Uwe Georg hätte gerne mehr solcher motivierten jungen Leute eingestellt, "aber die Qualität der Bewerber ist nicht mehr so gut", sagt der selbstständige Händler. Die freie Azubistelle in seiner Filiale in Oberursel blieb unbesetzt.
Hier hat der Händler die Nähe zu Frankfurt zu spüren bekommen mit der Folge, dass es im Umland der Metropole einen harten Wettbewerb um gute Schulabgänger gibt. Als Einzelhändler war Georg offenbar nicht mehr attraktiv genug.
Kampf um Talente
Schon 1997 prägte das Beratungsunternehmen McKinsey den martialischen Begriff "War for Talents", um vorherzusagen, dass es einmal in Deutschland einen regelrechten Krieg um berufliche Talente geben wird.Aufgrund des demografischen Wandels wurde ein gewaltiger Fachkräftemangel vorhergesagt, vor allem die Ingenieurberufe sollten davon betroffen sein. Dieser Mangel ist nun offenkundig, neuerdings forderte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle deswegen sogar ein Begrüßungsgeld für qualifizierte Zuwanderer.
Den Unternehmen gehen die Azubis aus
Mittlerweile gehen den Unternehmen auch die Azubis aus. Oliver Koppel, Arbeitsmarktexperte beim Institut der Deutschen Wirtschaft, kündigt eine Ausbildungslücke an.Denn weniger als acht Millionen Menschen seien heute zwischen fünf und 14 Jahre alt. Diese müssen aber in wenigen Jahren rund zwölf Millionen Berufstätige ersetzen, die in Rente gehen. "Das wird ein Riesenproblem, auch für den Ausbildungsbereich", sagt Koppel voraus.
Lucien Dellwo spürt bereits die neuen Zeiten für den Ausbildungsmarkt. "Grundsätzlich haben wir kein Problem, passende Azubis zu finden", sagt der Ausbildungsleiter von Hornbach zwar. Rund 300 Lehrlinge stellt die Baumarktkette jährlich ein.
Doch dem Konzern geht es wie dem Lebensmittelhändler aus dem Taunus: In den Ballungszentren müssen sich die Unternehmen mehr anstrengen, um gute Leute für den Einzelhandel zu begeistern.
Dellwo nennt Stuttgart als Beispiel, wo große Firmen wie Porsche, Daimler und Bosch starke Konkurrenten für Hornbach sind. "Es ist für uns schwieriger als vor fünf, sechs Jahren", klagt Dellwo.
Dass es der Baumarktkette trotzdem noch gelingt, junge Leute für das Unternehmen zu interessieren, schreibt Dellwo auch den Werbekampagnen von Hornbach zu. Die TV-Spots fallen auf und vermitteln das Image eines coolen Arbeitgebers.
Dellwo muss dann den Schulabgängern auf Bewerbermessen freilich erklären, dass der Alltag im Einzelhandel leider nicht immer so witzig ist wie im Werbefernsehen.
Aufs Image kommt es an
Auch der Handelsverband Deutschland (HDE) ist mittlerweile bemüht, Schulabgängern die Branche modern zu präsentieren. In einem Imagefilm durchstreifen drei junge Leute Hamburger Einzelhandelsgeschäfte, drehen dabei einen eigenen Videofilm für die Schule und finden immer mehr Gefallen an der Branche."Der Wettbewerb um Azubis findet bereits statt", sagt Wilfried Malcher, Geschäftsführer Bildungspolitik beim HDE. Für das neue Ausbildungsjahr seien 5 bis 10 Prozent der Lehrstellen unbesetzt geblieben, hat Malcher festgestellt. "Es mangelt an geeigneten Bewerbern."
Vor allem im Osten Deutschlands sei dieser Missstand zu spüren, sagt der HDE-Experte. Im neuen Ausbildungsjahr biete der Einzelhandel 32.000 Lehrstellen für Einzelhandelskaufleute und 25.000 Plätze für eine Ausbildung zum Verkäufer.
Schwarze Schafe schaden der Branche
Imagefilme und flotte Werbespots mögen helfen, Leute für den Handel zu begeistern. Doch diese Begeisterung stirbt schnell wieder, wenn schlechte Nachrichten über miserable Arbeitsbedingungen wie bei Kik und Schlecker verbreitet werden. "Für das Image des Einzelhandels sind solche Vorkommnisse schädlich", klagt Malcher.Ernst-Martin Schaible wird bei diesem Thema gar grundsätzlich und sagt, dass Filialisten wie Schlecker gar nicht als "echte" Einzelhändler bezeichnet werden dürfen. Denn das könne nur ein Spezialist sein, findet der Geschäftsführende Gesellschafter der Küchenhandel-Verbundgruppe Der Kreis.
Schaible mag jedoch nicht in die Klagen über zu wenige oder minder qualifizierte Schulabgänger einstimmen: "Es gibt genug junge Leute, man muss sich nur mit ihnen auseinandersetzen."
Mit dieser humanistischen Sichtweise liegt er ganz nahe bei Götz W. Werner, Gründer von dm-Drogeriemarkt. Jeder Mensch habe Fähigkeiten, die man eben nur erkennen müsse, sagt Werner. "Junge Menschen wollen lernen. Wir müssen nur die Verhältnisse dafür schaffen."
Verkäufer aus Italien?
Der hessische Edeka-Händler Georg ist kein Humanist, sondern Praktiker. Er hält es für möglich, dass auch der Einzelhandel in naher Zukunft seine Azubis im Ausland gewinnen wird.In Italien und der Schweiz vermutet er viele Verkäufertalente, das Sprachproblem sei schnell behoben. Auch mit der zunehmenden Zahl von Migranten hat Georg keine Probleme, "denn niemand kann in meinen Läden besser Obst und Gemüse verkaufen als unsere türkischen und marokkanischen Mitarbeiter".
Verkäufer aus Italien in deutschen Läden? Das klingt gewagt. Realistischer ist eine andere Prognose des Lebensmittelhändlers Georg: "Wir werden die jungen Leute mit besseren Gehältern locken müssen", glaubt er.
Wilfried Malcher sagt, dass auch die Angebote für Abiturienten ausgebaut werden müssen, mit Fortbildungen zum Handelsfachwirt und der Möglichkeit, schnell zum Filialleiter aufzusteigen.
Für Stephanie Gärtler sind solche Visionen noch weit weg. Für sie gab es einen einfachen praktischen Grund, im August ihre Lehre zur Einzelhandelskauffrau in der Bad Camberger Filiale von Edeka-Georg anzutreten: "Meine Eltern gehen seit Jahren in dieses Geschäft zum Einkaufen", sagt die 16-Jährige. "Und deswegen wollte ich dort anfangen zu arbeiten."
Steffen Gerth
Dieser Bericht ist in der September-Ausgabe von Der Handel erschienen. Hier geht's zum Probeabo.