Im stationären Laden aussuchen, im Internet bestellen – über "Showrooming" wird derzeit viel diskutiert. Doch der deutsche Einzelhandel ist auf absehbare Zeit nicht davon betroffen, sagen Experten.
Nicht nur beim australischen Einzelhandelsverband fragt man sich, ob Kunden so nicht eher vertrieben als angelockt werden. Auch die Trendforscherin Martina Kühne kann an einer Eintrittsgebühr für Handelsgeschäfte keinen Gefallen finden. "Läden hatten schon immer die Funktion eines Showrooms. Kunden sollten hereinkommen und sich umschauen", sagt die Wissenschaftlerin am Gottlieb-Duttweiler Institut in Zürich. "Heute beobachten wir eben das Phänomen, dass die Menschen in den Geschäften via Smartphones auch bei der Konkurrenz einkaufen."
Läden müssen Lust auf mehr machen
Doch wie begründet ist die Angst davor, dass die stationären Läden auf Schauräume für den Onlinehandel reduziert werden? "Einen solchen Trend können wir nicht beobachten. Und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass sich das in absehbarer Zeit ändern könnte", sagt Eva Stüber, Projektleiterin am E-Commerce Center (ECC) am Kölner Institut für Handelsforschung.Sie betont, dass es keine praktischen Beispiele dafür gibt, die dafür sprechen, dass die deutsche Handelslandschaft in Showrooms verwandelt wird. Im Vergleich etwa zu den Kunden in den Vereinigten Staaten würden die Deutschen immer noch am liebsten die Ware in einem Geschäft auch sofort mitnehmen wollen. Und bisher beschränken sich Onlinehändler, Ladengeschäfte auf Zeit zu eröffnen, sogenannte Pop-up-Stores - etwa der Onlinehandelsplattform Ebay in Berlin oder der Modeversender Zalando in Mailand.
Chance für Möbelhändler
Allerdings könnten Cross-Channel-Händler in Zukunft mit Showrooming für Zusatzumsätze sorgen, sagt Eva Stüber ‒ wenn man in einem verkleinerten Laden die Ware ausstellt, die dann gleich im Onlineshop des Unternehmens bestellt werden kann. "Gerade Möbelhändler können von einem solchen System profitieren", betont die ECC-Projektleiterin. Denn hier kann die Lagerhaltung sozusagen in den eigenen Webshop verlagert werden.Auch der bekannte US-Handelsexperte Paco Underhill, vom "Handelsblatt" als "einer der wichtigsten Marketing-Gurus der Welt" tituliert, sieht Chancen für Händler, die Showrooms nutzen. Sie seien allerdings begrenzt: „Ein Showroom kann einfach eine weitere Gelegenheit sein, mit den Kunden in Kontakt zu treten, wenn man den Raum geschickt nutzt", sagte Underhill zu Der Handel. Doch das mache nicht für alle Handelsbranchen Sinn. "Ich frage mich zum Beispiel, warum man solche Konzepte nicht an Flughäfen findet - da will man meistens die gekaufte Ware nicht mit sich herum tragen", so Underhill.
"Nicht alle Läden werden zu Showrooms", bekräftigt die Schweizer Wissenschaftlerin Kühne. "Die Ladenkonzepte werden sich jedoch weiter ausdifferenzieren, sodass vom lokalen Wochenmarkt für Frischprodukte bis zur lokalen Abholstation für Internet Pure Players wie Amazon künftig alles in der stationären Handelslandschaft zu finden sein wird." Die Funktion des Ladens als Showroom werde insbesondere im Non-Food-Bereich wichtiger, etwa in der Unterhaltungselektronik- oder in der Textilbranche. "Hier dient der Laden unter anderem als Eintritt in eine Erlebnis- oder Markenwelt", prognostiziert die Schweizer Zukunftsforscherin.
Offline und online miteinander verzahnen
Solche Läden müssen wiederum stark mit dem eigenen Onlineangebot verzahnt werden. Touchscreens in den Läden könnten bei der Orientierung in der Warenwelt helfen, die Website des Händlers über Angebote für spezielle Services des Geschäftes informieren. Es kommt darauf an, das Einkaufserlebnis in den Läden zu erhöhen, sodass Kunden gar keinen Drang mehr verspüren, im Netz nach Schnäppchen zu gieren. "Die Läden müssen Lust auf mehr machen", sagt Wolfgang Gruschwitz, Handelsexperte und Ladenbauer. Zu seinen Kunden gehören unter anderem die Inditex-Gruppe und der FC Bayern München.Früher habe er Geschäfte nach dem Prinzip gestaltet: Die Ware ist der Star. Heute ist der Star der schöne Laden selbst, in dem die Ware in kleineren Mengen präsentiert wird. Für Gruschwitz müssen Geschäfte den Charakter von Restaurants haben, in denen man sich wohlfühlt, verweilt und nebenbei etwas kauft. In der Studie "Verführung für Fortgeschrittene" von Martina Kühne lässt sich nachlesen, wie das in der Praxis aussehen kann: Die Shops der amerikanischen Kette American Girl Place zum Beispiel sind weit mehr als Spielzeugläden - hier gibt es Theateraufführungen, Speisen und Getränke.
Wer Erlebnis hat, sucht nicht nach billigen Preisen im Netz
Auch wer die Globetrotter-Filiale im Kölner "Olivandenhof" betritt, besucht nicht einfach einen Outdoorhändler - sondern taucht ein in ein Erlebnis rund um das Thema Natur und Abenteuer mit künstlichem See, Kältekammer und einer Ameisenkolonie. Kunden dürfte angesichts dieser emotionalisierenden Kulisse die Lust daran vergehen, anderswo nach einem billigeren Schlafsack zu suchen.Für Martina Kühne gilt der Satz: Wenn der Kunde im Laden einen hohen Mehrwert bekommt oder erkennt, dann ist ihm auch ein günstiger Preis egal, dem ihn ein x-beliebiges Internetportal bietet, vielleicht auch zweitrangig. "Das theatralische Element ist für das Retail-Theater der Zukunft zentral. Der Laden wird als Bühne begriffen, die bespielt werden muss und Kunden als Akteure anzieht", so die Schweizer Wissenschaftlerin. Ladenbesitzerin Georgina in Brisbane sollte ihre Entscheidung, Eintrittsgeld zu verlangen, also lieber überdenken.
Steffen Gerth
Dieser Artikel ist in der Mai-Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Der Handel erschienen. Ein kostenfreies Probeexemplar erhalten Sie hier.