„Wir sind wahrscheinlich die letzte Generation, die noch im Laden einkauft“. Das sagt eine Freundin meiner Mutter (70+). Es braucht also eigentlich nicht einmal die regelmäßigen Grabreden eines Oliver Samwer, um den klassischen Handel wachzurütteln. Und nun auch noch das Smartphone von Amazon. Nur wenig bedrohlich für den Handel und Onliner findet mancher, durchaus bedrohlich glauben andere sorgenvoll. Sorgen reicht nicht. Es wäre vielmehr an der Zeit für nackte Panik. Nicht nur aufgrund des „Fire Phone“ und nicht nur wegen Amazon.
Mit dem Verkauf des “Fire Phone” will Jeff Bezos nicht nur Geld verdienen. Die Motivation reicht viel weiter. Im Fokus steht dabei der „Fire Button“.
Nur auf den ersten Blick geht es dabei darum, dass der Nutzer mit einem Knopfdruck auf das Smartphone mit dem „Kauf bei uns“-Feature per Kamera und Mikrofon entdeckte Produkte, Musik und Videos bei Amazon kauft und das "Telefon" damit die ganze Welt zum Showroom macht und sich schon bei der Entdeckung eines noch namenlosen Artikels an den Beginn des Kaufprozesses setzt.
Dahinter steckt vielmehr der Gedanke, sich selbst nicht nur als Anbieter von Produkten, sondern als Infrastruktur zu begreifen.
So kann das Amazon-Phone ebenso auch Telefonnummern erkennen, gedruckte E-Mail-Adressen und Web-Links lesen, und entpuppt sich somit als universelles Kontaktmittel und macht wie Carpathia zu recht bemerkt, nebenbei QR-Codes gleich mal überflüssig.
Das Smartphone als Welt-Identifizierungs-Werkzeug
Das Feature macht in Teilen auch die Google-Suche überflüssig. Warum lange in die Suchmaske tippen, wenn ich für die Suche nach Infos zum Opel Astra auch ein Foto machen kann. Es ist somit auch eine Antwort auf Google Shopping, dem sich Amazon verweigert, das aber gerade bei der Produktsuche zu einer nicht zu unterschätzenden Alternative heranwächst.

Denn die Aufnahmen mittels des Features Firefly speichert Amazon, um die Funktion seines Systems zu verbessern und erfährt so samt GPS-Daten, Umgebungsgeräuschen und weiterer Meta-Daten mehr über den Nutzer – wo er einkauft, was er in seiner Freizeit tut, welche Interessen er jenseits der Konsumwelt hat und welche Dinge er vielleicht bislang vor Amazon verborgen hat.
Babygeschrei vielleicht?
Und was bedeuten all die abfotografierten Bilder aus „Schöner Wohnen“?
Mit den passenden Daten lässt sich das alles wunderbar miteinander verbinden und zu neuen Kaufempfehlungen für Pampers, DVD, Bohrmaschinen und Gardinen bündeln.
Es geht dabei aber nicht allein um Produkte, sondern auch um Services. Denn auch das ist Teil der wachsenden Infrastruktur: Amazon will künftig Dienstleistungen wie Babysitter oder Installateure über seine Plattform anbieten.
Google erkennt die Eltern und bietet sie als Zielgruppe an
Wo wir gerade von Kindern reden: Google kann anhand des Suchmuster und Online-Verhalten der Nutzer ziemlich klar erkennen, ob ein Nutzer Kinder hat. Dieses Wissen können sich jetzt Werbekunden bei Adwords zunutze machen und für Anzeigen den Status "Eltern/keine Eltern/unbekannt" wählen.
Bessere Daten, das ist eben gut fürs Geschäft und schlecht für alle Wettbewerber, die ihre Kunden nur schemenhaft kennen.
Ich weiß, was Du in der Küche getan hast
Und keiner schaut da klarer als Google. Denn das Unternehmen bekommt von Nest, dem kürzlich aufgekauften Hersteller intelligenter Raumthermostate, nun auch die Daten, wenn der Nutzer zu Hause oder unterwegs ist. Geschehen soll das mittels Opt-in über den Umweg von Google Apps, mit denen sich dann auch die Temperatur im Haus beobachten und steuern lässt.
Anders gesagt: Während Amazon dank „Fire“ und der Fotos womöglich weiß, welche Fischsorten Sie auf dem Markt interessant finden, erfährt Google womöglich, wann und wie Sie den Herd anwerfen, weil dann die Temperatur im Raum steigt.
Wie sich solche Informationen gewinnbringend nutzen lassen und welcher Daten-Titan das besser kann, erfahren wir spätestens, wenn Amazon fresh oder Google Express vor der Tür stehen. Letzter Dienst profitiert dann womöglich auch von den Bewegungsdaten und den Bildern, die Sie mit Google Glass beim Spaziergang über den Wochenmarkt gemacht haben.
Der Blick aus dem All erlaubt Google Umsatzprognosen
Google hat also womöglich die Nase vorn. Vielleicht auch weil Google einen besonders detaillierten Blick auf den Markt werfen kann. Diesmal aber nicht nur dank all der Suchanfragen, sondern auch mittels des für 500 Millionen Dollar aufgekauften Satelliten-Herstellers Skybox. Schon 2018 will das Unternehmen mit nur 24 Satelliten Bilder in brutalstmöglicher Auflösung anbieten – und das auch noch dreimal täglich aktualisiert.
Dann lässt sich genauer als jetzt schon erkennen, wie viele Lastwagen bei Zalando vom Hof am Zentrallager fahren und wie viele Autos an einem Mittwoch-Vormittag an einem Einkaufszentrum parken. Daten, mit den sich dann mögliche Umsätze prognostizieren lassen. Wissen, das sich nutzen und weiter verkaufen lässt,

Laut Wall Street Journal lässt sich anhand der Lastwagen-Dichte vor den Fabrikhallen von Foxconn sogar spitz kriegen, wann das nächste iPhone auf den Markt kommt.
Wie Onlinehändler da heutzutage der Customer Journey nachspüren, wirkt da wie der Versuch Infinitesimalrechnung noch mit dem Rechenschieber zu betreiben, während Google und Co längst das Ergebnis kennen und wissen, wie lange man für diese Rechenaufgabe brauchen wird – und welchen Taschenrechner Sie danach kaufen wollen.
Deshalb wird die Freundin meiner Mutter die letzte Generation sein, die noch im Laden einkauft.Weil die Online-Riesen mit allen Produkten und der Infrastruktur dahinter schon parat stehen, bevor ich überhaupt meine Kaufentscheidung getroffen habe.
Stehen bleiben wird die Entwicklung dabei nicht: Algorithmen sind harmlos. 2030 werden uns die Dinge mit ihrer Moral Befehle erteilen: #dubistcomputer pic.twitter.com/0zuDRd6FsQ
— Christoph Kappes (@ChristophKappes) 16. Juni 2014