Die Handelsbranche ist nach wie vor kein beliebter Arbeitgeber. Das spüren auch die Discounter und verstärken ihre Personalmarketingmaßnahmen.

Bespitzelung von Mitarbeitern, Leistungsdruck, Kontrolle und Willkür - fast zehn Jahre ist es her, dass die Gewerkschaft Verdi in einem "Schwarzbuch" die Lage bei der Schwarz-Gruppe anprangerte, zu der unter anderem die Handelskette Lidl gehört. "In der Vergangenheit hatte Lidl als Arbeitgeber keinen guten Ruf", sagt Bernhard Franke, Handelsexperte bei der Gewerkschaft Verdi in Baden-Württemberg. "In den vergangenen Jahren gibt sich das Unternehmen mehr und mehr Mühe."

Die Handelsunternehmen hätten in den letzten Jahren viel in die Verbesserung der Arbeitgeberattraktivität investiert, bestätigt auch Winfried Malcher, als Geschäftsführer des Einzelhandelsverbands (HDE) für Bildung zuständig. Nach Bernhard Frankes Einschätzung ist der Wandel aber nicht ganz freiwillig geschehen: "Der Handel konkurriert auch verstärkt mit anderen Branchen", sagt er. Insbesondere die Discounter buhlten mehr und mehr um gutes Personal.

Im "Ausbildungsreport 2013" des Deutschen Gewerkschaftsbundes rangiert der Beruf Einzelhandelskaufmann aber nur auf Rang 17 von 25 auf ihre Beliebtheit untersuchten Lehrberufen.

Aldi-Filialleiter packen auch Kisten aus

Die Anforderungen an die Unternehmen steigen - auch bei Discountern. Die Hoch-Zeit der Billig-Läden ist genauso vorbei, wie das Lagerhallen-Ambiente der Vergangenheit angehört. Das Sortiment wächst seit Jahren, mit frischem Obst und Brot, aber auch Fisch und Fleisch, bewegen sich Lidl, Aldi & Co. inzwischen immer mehr in Richtung eines Supermarktes. Nur Paletten in den Laden schieben und die Kartons aufreißen - das war einmal.

Das bleibt nicht ohne Folgen. Bei Lidl ist die Anzahl der Mitarbeiter je Filiale in den vergangenen zehn Jahren von 11 auf 17 gestiegen. Die Verkaufsflächen waren 2013 um 11 Prozent größer als 2003. Bei Aldi sieht es ähnlich aus. Die Verantwortung steigt - insbesondere für die Filialleiter, die nicht nur Mitarbeiter organisieren, sondern auch mal selber Kisten auspacken und an der Kasse sitzen.

Lidl intensiviert die Weiterbildung

Lidl will deshalb genau diese Position aufwerten: Die 3.300 Filialleiter in Deutschland bekommen Schulungen, sollen besser bezahlt werden und einen Dienstwagen erhalten. Die Rede ist von der größten Weiterbildungsmaßnahme in der Unternehmensgeschichte. Sie soll den neuen Filialleitern auch weitere Aufstiegschancen bieten.

"Der Arbeitsmarkt wird enger", sagte Lidl-Deutschlandchef Matthias Raimund kürzlich bei der Vorstellung der Qualifizierungsmaßnahmen. Geeignete Führungskräfte würden rarer. "Es ist nicht einfacher geworden gute Filialleiter zu finden", sagt Personalchef Thomas Augst.

Bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Alle Filialleiter durchlaufen künftig bei Lidl einen Entwicklungstag, in dessen Verlauf das individuelle Potenzial so genau und so umfassend wie möglich analysiert wird. Darauf aufbauend wird dann für jeden Filialleiter ein individuelles Weiterbildungsprogramm entwickelt und gestartet.

Filialleiter, die bereits die neuen Anforderungen an die Position erfüllen, erhalten laut Lidl ab dem 1. August einen neuen Vertrag inklusive eines neuen Ausstattungspakets, das unter anderem verbunden ist mit einem neuen, übertariflichen Gehaltsstufenmodell, sowie ein Firmenfahrzeug.

Dem neuen Arbeitsvertrag liegt zudem ein Zeitmodell zugrunde, das der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie Rechnung trägt. Diejenigen, die noch Entwicklungsbedarf haben, begleitet Lidl die folgenden Monate mit den im Rahmen des Entwicklungstags identifizierten individuellen Schulungs- und Qualifizierungsangeboten.

Aldi setzt auf den eigenen Nachwuchs

Bei den Konkurrenten Aldi Nord und Süd versucht man das Problem anders zu lösen. Führungsnachwuchs werde aus den eigenen Reihen rekrutiert, heißt es übereinstimmend. Aldi Süd fördere seine Filialleiter bereits seit Jahren mit Fortbildungen und Schulungen, so eine Sprecherin. Dank leistungs- und umsatzabhängiger Prämien würden die Filialleiter im Schnitt sogar über Tarif bezahlt. Bei Aldi Nord heißt es: "Einen Fachkräftemangel auf der Ebene der Filialleiter oder auf anderer Ebene können wir daher bislang nicht verzeichnen." Der Discounter Netto will sich zu dem Thema nicht äußern.

HDE-Geschäftsführer Malcher sieht vor allem Probleme darin, für den Handel Auszubildende zu finden. Nach Einschätzung des Verdi-Experten Franke sind die Probleme hausgemacht. "In punkto Bezahlung und Arbeitszeiten ist der Handel nicht gerade eine attraktive Branche", sagt er. Ein Azubi in der Metallindustrie in Baden-Württemberg verdient im ersten Ausbildungsjahr 917 Euro, soviel bekommt ein Azubi im Handel erst am Ende seiner Ausbildung. Auch Ladenöffnungszeiten bis 21 Uhr oder 22 Uhr können Bewerber abschrecken.

Verdi will mit Arbeitgebern auch über Nachwuchsmangel sprechen

"Wir versuchen diese Fragen auch in diesem Jahr in den Verhandlungen zum Manteltarifvertrag anzugehen", sagt Franke. Im vergangenen Jahr waren in Baden-Württemberg als erstem Tarifbezirk höhere Löhne für die Beschäftigten im Handel vereinbart worden.

Bezirke in anderen Bundesländern folgten. In diesem Jahr wollen Gewerkschaften und Arbeitgeber in Gesprächen über den Manteltarifvertrag über künftige Entgeltstrukturen diskutieren. Auch um das Thema Nachwuchsmangel soll es gehen.