Aufwendige Show-Formate wie DJ-Videos aus dem Supermarkt und ein Hotel voller Do-it-yourself-Projekte: Das ist die eine Seite der aktuellen Marketing-Trends im stationären Handel. Die andere sind Daten und Automatisierung nach dem Vorbild des E-Commerce.

Es gibt ein neues Schuhgeschäft. In der Nähe der Düsseldorfer Königsallee hat Filialist Görtz im September 2021 einen 1.200 Quadratmeter großen Flagshipstore eröffnet. Neben dem klassischen Schuhsortiment richtet Görtz untypische Orte ein: Auf Pop-up-Flächen "wird der im E-Commerce erfolgreiche Ansatz der Plattform stationär umgesetzt" - Görtz holt also andere Firmen ins Haus.

So bietet Niederegger Marzipan an, und Freiraum hängt seine über Instagram beworbenen Lifestyle-Kleidermarken in die Ständer. Ziel ist es, "regelmäßig neue Themen und Elemente beim Kunden zu testen und die Verkaufsfläche zukunftsgerichtet zu justieren". Über erste Ergebnisse kann Görtz auf Anfrage noch nichts sagen.
Schrill und bunt liegt beim Handelsmarketing im Trend: Tiktok-Star Younes Zarou im Hip-Hop-Video von Kaufland.
© Kaufland
Schrill und bunt liegt beim Handelsmarketing im Trend: Tiktok-Star Younes Zarou im Hip-Hop-Video von Kaufland.

Der Trend geht zur Hyperpersonalisierung

Es wird gegenwärtig viel getestet und justiert im pandemiegeschüttelten stationären Handel. Während der Handelsverband Deutschland für 2021 ein erneutes Wachstum der Online-Umsätze um fast 20% auf 87,1 Milliarden Euro erwartet, suchen klassische Händler nach Möglichkeiten, die Kundschaft (wieder) von ihren Geschäften zu überzeugen. "Wir spüren aus den großen Handelsketten einen schier endlosen Bedarf an Daten", sagt Marc-Etienne Geser, Geschäftsführer des Marketing-Dienstleisters Marktguru Deutschland.

"Der stationäre Handel wird programmatisch. Das heißt: Er folgt konsequent der Onlinewelt und nutzt Daten für seine Entscheidungen und für die Automatisierung von Prozessen." Und für die Hyperpersonalisierung: Das Ideal ist das "Segment of one", also ein individuelles Angebot, möglicherweise auch ein individueller Preis für jeden Kunden.

Möglichkeiten der Datenauswertung sind fast grenzenlos

Die Datennutzung hat viele Gesichter. Marktguru zum Beispiel hat über seine App, die ein Bonussystem (Cashback) und digitale Prospekte umfasst, die Möglichkeit der Analyse (anonymisierter) Kassenbons. Die Handelskunden von Marktguru wollen darüber herausfinden: Was kaufen Kunden ständig, was muss ihnen gegenüber also nicht mehr beworben werden?

Was wird zusammen gekauft? Lohnt es sich, einzelnen Kunden mit bestimmten Warenkombinationen auf ihren Bons automatisch bestimmte Sonderangebote auf die App zu schicken? "Die Möglichkeiten der Auswertung sind praktisch unendlich", sagt Geser. "Das ist einer der Trends, der sich gerade entwickelt, wir stehen noch am Anfang."
Übergreifende Kundendatenplattformen nehmen für sich in Anspruch, Daten aus allen denkbaren Quellen über Vertriebskanäle, Browser und Endgeräte hinweg zu erfassen und zu strukturieren.

Anbieter solcher Plattformen wie Infosys Equinox versprechen, die Daten in Echtzeit zu aktualisieren und damit das künftige Verhalten der Kundschaft zu prognostizieren. Das ermögliche es, die passenden Inhalte, Angebote und Werbemaßnahmen für die richtigen Kunden auszulösen, so Kunal Puri, Head Customer Success von Infosys Equinox.

Nummerschilder auf dem Kundenparkplatz auswerten

Die Agentur Pilot geht noch einen anderen Weg. Nach den Worten des Geschäftsführers Wolfgang Nägele gibt es verschiedene (datenschutzkonforme) Möglichkeiten, die Herkunft der Kundschaft zu ermitteln. Zum Beispiel durch das automatische Auslesen von Nummernschildern auf Kundenparkplätzen oder die Nutzung der Bewegungsdaten von Mobiltelefonen.

Sollte eine umsatzstarke Gegend schwächeln, lasse sich sofort digital gegensteuern, zum Beispiel über gezielt ausgespielte Online-Anzeigen. Die kontinuierliche automatische Zählung der Kundschaft gebe Aufschluss über die Auslastung eines Geschäfts, sodass interessierten Kunden via App gemeldet werden könne, im Laden (oder Restaurant) sei gerade wenig los oder es gebe freie Parkplätze.
Pop-up-Flächen im Düsseldorfer Flagshipstore von Görtz
© Görtz
Pop-up-Flächen im Düsseldorfer Flagshipstore von Görtz
"In manchen Gegenden Deutschlands klebt auf bis zu 70% der Briefkästen ein Bitte-keine-Werbung-Aufkleber", sagt Nägele. "Das heißt nicht, dass diese Kunden überhaupt keine Werbung wollen - nur vielleicht keine Print-Prospekte. Solche Gegenden sind alternativ beispielsweise digital ansprechbar." Deshalb sei es wichtig zu wissen, wo Kunden wohnen und über welche Kanäle sie zu erreichen sind.

Von der gläsernen Bäckerei bis zum DJ aus New York

Das ist die Datenseite. Der Showteil der gegenwärtigen Marketingtrends umfasst alles Spektakuläre. Das beginnt mit deckenhohen Glasfenstern, die im neuen Großflächenmarkt von Globus in Eschborn den Blick in die eigene Bäckerei freigeben. Und das endet lange nicht mit dem aufwendig produzierten Video "Edeka präsentiert: Super Marc", für das Edeka den New Yorker DJ Marc Rebillet engagierte.

Es holte allein auf Youtube 4,3 Millionen Aufrufe (plus 2,2 Millionen vom "Making-of"). Kaufland legte kurz darauf den Hip-Hop-Song "Zu billig, um wahr zu sein" mit Tiktok-Star Younes Zarou auf (1,6 Millionen Aufrufe auf Youtube).

"Wir spüren aus den großen Handelsketten einen schier endlosen Bedarf an Daten."

Marc-Etienne Geser, Geschäftsführer Marktguru

Schrill und bunt ist Trend

Eine der jüngsten Marketing-Aktionen stammt vom Baumarkt-Filialisten Obi und heißt "Hotel Create!". In rund zehn Folgen à etwa sechs Minuten gestalten Influencer und Designer ein Hotelzimmer nach eigenen Vorstellungen komplett um. Das ist schrill und bunt - und Zeichen für einen Wandel im Marketing.

"Früher ging es um die Bewerbung von Einzelprodukten und darum, Kunden in den Markt zu locken", sagt Dr. Christian von Hegel, Managing Director Corporate Marketing bei Obi. Heute stünden die Neukundengewinnung und die Begleitung der Kunden bei ihren Problemen im Mittelpunkt.

Weg von der Produktwerbung, hin zur Kommunikation

Das Format "Create! by Obi" richtet sich explizit an Menschen, die ohne Do-it-yourself-Erfahrung ihre Wohnung umgestalten möchten. Das heißt: "Marketing ist nur noch zum Teil Werbung und zum großen Teil Kommunikation mit relevanten Inhalten." Der größte Teil des Obi-Marketings bleibe klassisch, unter anderem mit Performance-Marketing, Social Media - und nicht zuletzt gedruckten Prospekten.

Laut von Hegel "wird es immer wieder Highlight-Formate brauchen, um aufzufallen und Kunden in die Customer Journey zu ziehen". Dem stimmt Philipp Westermeyer zu, Gründer der Digital- und Online-Marketing-Plattform OMR. "Dass Marketing teurer wird, liegt nicht an aufwendigen Formaten, sondern an den großen Plattformen wie Google und Facebook", sagt er. "Sie schöpfen die Zahlungsbereitschaft der Akteure maximal ab."

Daten und Show sind eng verknüpft

Unternehmen, auch Händler, täten daher gut daran, sogenannte organische Referrals zu erbeuten, das heißt klassische Empfehlungen als deutlich günstigere Alternative zu Plattform-Werbung. Dazu gehören auch spektakuläre Aktionen.

Beide Seiten, die Daten und die Show, sind eng verknüpft. "Sowohl das Edeka-Video als auch 'Hotel Create!' von Obi gibt es nur, weil die Marketingleute lange in die Kundendaten geschaut haben", sagt Marc-Etienne Geser von Marktguru. "Für den Erfolg solcher Aktionen braucht es neben einer großartigen kreativen Idee auch die genaue Kenntnis der Zielgruppe und des Zeitgeistes - und Mut."

Dieser Artikel erschien zuerst in Der Handel.

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