Lebensmittel-Onlinehandel ist nicht refinanzierbar. Food-Lieferdienste haben keine ausreichende Nachfrage. Bei Rocket Internet und nicht nur dort dürfte man sich ob solcher Einschätzungen, die fatal an Managerweisheiten inzwischen blutig  darniederliegender Märkte erinnern, ins Fäustchen lachen.  Nicht nur die Samwer-Brüder haben "Food & Groceries" als das nächste Schlachtfeld im E-Commerce ausgemacht. Die Wege des Geldes sprechen dafür, dass diese Wette aufgehen könnte. Aber es gibt noch andere Gründe.

Es wird finanziell geklotzt.

Da ist das 496 Millionen Investment von Rocket Internet für die 30-prozentige Beteiligung am Online-Lieferservice Delivery Hero (Lieferheld, Pizza.de). Der wird jetzt mit stolzen 1,65 Milliarden Euro bewertet, macht aber gerade einmal 88,9 Millionen Euro Umsatz bei einem Bestellvolumen von 655,7 Millionen Euro in 24 Ländern und mit 90.000 Restaurants als Partner. Das Wachstum geht derzeit noch ins Geld. Der EBITDA-Verlust lag 2014 bei 37,6 Millionen Euro. Aber es werden weniger. Die Chancen? Gewaltig: Das Marktvolumen für den gesamten Online-Lebensmittelmarkt weltweit beziffert Rocket Internet auf 324 Milliarden US-Dollar.




130 Millionen Euro hat Rocket in den Kochboxen-Lieferdienst Hello Fresh (Rocket Anteil 52 Prozent) investiert, das inzwischen eine Bewertung von über 620 Millionen Euro erreicht und das bei immerhin rund 100 Millionen Euro Umsatz mit Food-Abos, dank der Kunden in Deutschland und Österreich, Großbritannien, den Niederlanden, Belgien, Australien und den USA.  Auch dank der Expansion macht die Zahl der aktivenb Kunden einen gewaltigen Sprung auf 172.000.

Zudem hält der Inkubator 100 Prozent an den Lieferboten La Nevera Roja in Spanien (Kostenpreis 80 Millionen Euro) und Pizzabo in Italien. Außerdem hat Rocket Internet den Food-Lieferdienst Talabat in Kuwait für rund 150 Millionen Euro übernommen, der auch in Saudi Arabien, den Vereinten Arabischen Emiraten, Bahrain, Oman sowie Katar aktiv ist. Der Essens-Bestelldienst Foodpanda der Internetschmiede (Rocket Internet hält 55,2 Prozent) wiederum übernahm kürzlich den Essensdienst 24h.ae aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. In Indien ist der Dienst gerade nach der Übernahme von JustEat zur Nummer 1 aufgestiegen, hat zudem in weiteren asiatischen Ländern Mitbewerber aufgekauft.
Der Lieferservice profitiert dabei vor allem von der wachsenden Nachfrage in den urbanen Regionen der Wachstumsmärkte und einer bewussten Ausrichtung auf mobile Bestelloptionen und automatisierte Bestellprozesse. 



Delivery Hero, Foodpanda (526 Städte in 39 Ländern) und weitere Freßattacken vereint Rocket zudem in der neu gegründeten Global Online Takeaway Group. Späterer Börsengang nicht ausgeschlossen.

In Australien unterstützt Rocket Internet übrigens die Uber-Alternative RideSurfing. Die wiederum erweitert ihr Geschäftsfeld gerade um den Lebensmittel-Lieferservice ShopWings.

Ein alter Bekannter. Shopwings, dass die Essenseinkäufe per Personal Shopper binnen zwei Stunden nach Hause liefert, hat Rocket Internet auf die Beine gestellt. Derzeit gibt es den Service hierzulande in Berlin und München. Gleichwohl ist Tengelmann frühzeitig mit an Bord und will 10 Millionen Euro in Shopwings investieren und würde damit 36 Prozent des Rocket-Internet-Ablegers erwerben. Shopwings liefert die Einkäufe bei Aldi, Edeka, Alnatura Biomarkt, Frischeparadies und Lidl online an die Haustür.

Tengelmann zieht auch mit einer 13,5 Prozent-Beteiligung (rund 2,4 MillionenEuro) beim Rocket-Projekt Bonativo mit, das mit einem etwas anderen Dreh reüssiert und auf den Trend zu regionalen Lebensmittel setzt, die der Kunden auf der Plattform quasi beim Bauernhof um die Ecke kaufen kann. Bonativo orientiert sich am 2012 gestarteten US-Marktplatz Good Eggs, im September noch mit einer Finanzspritze von 21 Millionen Dollar durch den Investor Index Ventures versorgt.

Dann ist da noch Eatfirst, ein Gourmet-Lieferdienst, den Rocket nach London nun auch in Berlin gestartet hat und als hippe Version von "Essen auf Rädern" verkauft. Für 7 Euro liefert der Dienst binnen 15 Minuten. Zwei Gerichte von einem professionellen Kochteam stehen zur Wahl, eines davon vegetarisch. Rocket selbst betrachtet das Projekt, hier ist Holtzbrinck mit an Bord,  gegenwärtig aber als „Concept“ und hat seit dem IPO mit 0,5 Millionen Euro  nur einen vergleichsweise kleines Investment getätigt.


Shopwings-Vorbild Instacart wiederum sammelt Geld in Serie. Zuletzt 220 Millionen Dollar, wird Instacart nun mit rund 2 Milliarden Dollar bewertet. Kann aber auch Erfolgszahlen nennen. So will der Dienst nach eigenen Angaben inzwischen bis zu 5 Prozent des Ladenumsatzes einer Whole-Foods-Filiale bewegen.

Über eine andere Flanke bewegt sich in den USA beispielsweise Eat24 in den Markt. Uber-Wettbewerber Sidecar aus San Francisco kooperiert künftig mit dem Lieferdienst, um die Fahrten besser auszulasten. Obendrein kann Eat24 nun eine vielversprechende Allianz mit der Bewertungsplattform Yelp vorweisen. Anders gesagt: Yelp hat Eat24 aufgekauft, von 134 Millionen Dollar ist die Rede.

Der Trend ist, in einer Zeit in der sogar die Fast-Food-Ketten wie Burger King mit Lieferservices experimentieren, der Freund all dieser Investments:

15 Millionen Deutsche haben laut Digitalverband Bitkom Lebensmittel bereits im Internet gekauft. Das sind 28 Prozent aller Internetnutzer. Tendenz steigend. Wie groß das Wachstum ausfallen wird und wer davon profitieren wird – Pizza- und Sushi-Buden oder der stationäre Lebensmittelhandel - das ist die große Wette.

Erwarten aber darf man, dass die Nachfrage nach E-Food und Bringdiensten schneller wächst, als die Bedenkenträger umschulen können. Denn mit jedem Einkauf im Web in anderen Segmenten gewöhnen sich die Menschen immer mehr an die Bequemlichkeit, übertragen positive Erfahrungen und Vertrauen auch auf andere Bereiche.

Hinzu kommt die zunehmende Zeitnot, die immer knappere Freizeit und wachsende Belastung am Arbeitsplatz. Arbeitsforscher gehen davon aus, dass sich unsere Arbeitsbelastung in den kommenden 20 Jahren noch einmal verdoppeln wird. Da sind dann jedwede Lieferdienste eine willkommene Entlastung.

 

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