2019 könnte das Jahr des Mobile Payment werden. Doch noch gibt es zu viele Anbieter, zu viele Verfahren und keinen einheitlichen Standard.
Mehraufwand oder Zusatzkosten hat der Elektronikhändler Kirberg nicht durch den Bezahlvorgang per mobilem Endgerät. Er unterzeichnete einen Vertrag mit seinem Payment-Dienstleister über die Akzeptanz von Mobile Payment und bezahlte dafür eine einmalige Gebühr.
„Für das Terminal ist es kein Unterschied, ob das Handy oder die Karte mit NFC-Chip darangehalten wird“, sagt Thomas Rienecker, Pressesprecher beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband. „Manche Terminals können allerdings nur Kreditkarten einlesen, das Update für die Girokarten ist aktuell auf rund 70 Prozent der Geräte aufgespielt.“
Händler Kirberg ist überzeugt, dass sich die Übertragungstechnik Near Field Communication (NFC) durchsetzen wird. In der Tat wird diese von den großen Anbietern im Mobile Payment wie Apple Pay, Google Pay, den Banken- und der Payback-Pay-App eingesetzt.

Nicht einmal Payment-Experten haben kompletten Überblick
Neben der NFC-Technik gibt es noch weitere Übertragungstechniken, die zusätzliche Einlesegeräte benötigen. Da ist der Flachscanner, den man für den QR-Code wie bei Payback benötigt; dann gibt es Bluecode, ein österreichischer Anbieter, der einen Barcode generiert (siehe Kasten), der mit dem Scanner des Kassenterminals eingelesen werden kann.Die technische Hardware ist das eine – noch unübersichtlicher wird es auf der Anbieterseite. Die Anzahl und vor allem die Intransparenz der Lösungen verwirrt Kunden (siehe auch etailment-Beitrag So lassen sich Kunden für Mobile Payment begeistern), Handel und sogar Payment-Experten. So können Kunden etwa mit Payback Pay bei dm-Drogeriemarkt mit dem iPhone per QR-Code bezahlen, bei Aral jedoch nicht, da dort nur eine NFC-Schnittstelle genutzt wird, für die das iPhone nicht freigeschaltet ist.
Allein in den vergangenen Wochen verkündeten zudem etliche Händler den Start eigener Apps, zum Beispiel Saturn Smartpay, oder gaben die Kooperation mit Anbietern wie Bluecode bekannt, etwa Kaufhof und Globus.
Globus geht einen anderen Weg als Euronics-Händler Kirberg. Bei dem Handelsunternehmen werden während des Zahlvorgangs keine personenbezogene Kundendaten erhoben. Globus setzt neben der NFC-Technik auf Barcodes als Brückentechnologie, bis alle Smartphonebetriebssysteme eine vom Kunden akzeptierte Funktechnologie bieten. Im Jahr 2017 startete Globus in sechs SB-Warenhäusern und zehn Bau-/Elektronikmärkten mit Bluecode. Jetzt wurde das Verfahren bundesweit in allen Märkten ausgerollt.
Der Unterschied? „Es gibt keine Daten“, erklärt Markus Rietz, Leiter Treasury bei Globus. Weder an Bluecode noch an Globus werden personenbezogene Kundendaten übertragen, sondern nur sechs Ziffern eines Barcodes. Der Händler verspricht schon heute seinen Kunden, dass das eigene CRM-System das Zahlungsverhalten nicht auswertet.
Die Diskretion von Bluecode kommt dem Unternehmenscredo entgegen: Globus nimmt das europäische Datenschutzrecht sehr ernst. Ob das von den Kunden honoriert wird, ist die Frage. Noch sind die in der Minderheit, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Rietz rechnet damit, dass das Bewusstsein für Datensicherheit in der Bevölkerung deutlich steigen wird.
Anonymität des Kunden statt Datensammlung
Ein weiteres Argument: „Wir wollen eine Lösung, die unabhängig ist von Google, Facebook, Amazon & Co.“, sagt Rietz. In diesem Jahr will Globus Bluecode in die eigene App integrieren. Denn, so Rietz, eine App allein zum Bezahlen wird sich nicht durchsetzen – Mehrwert muss geboten werden.Damit wird der Weg frei für die Selbstscan-Variante „Scan & Go“. Die Vision: Die Kunden scannen während des Einkaufs ihren Warenkorb, lösen am Ende des Einkaufs ihre Coupons ein, bezahlen am Ausgang mit Bluecode und gehen.
Für viele Händler ist das Zukunftsmusik, es überwiegt die Verunsicherung. Caroline Coelsch, Payment-Expertin beim EHI Retail Institute, gibt ein Beispiel: „Google Pay etwa wird über das Terminal abgewickelt. Die Transaktion wird in eine Mastercard-Debit- oder Kreditkarten-Transaktion umgewandelt. Bedeutet das höhere Gebühren für den Händler?

Um Licht ins Dunkel zu bringen, hat das EHI Institut gemeinsam mit Branchenvertretern die Initiative „EHI Mobile Payment Initiative“ gegründet. Wie dringlich die Branche das Chaos ordnen will, zeigt die Zusammensetzung des Gremiums, in dem große Unternehmen und Konkurrenten wie Google, Visa, Wirecard, Payback, Mastercard, Ingenico, Bluecode und Girocard vertreten sind.
„Mehr Wettbewerb hat hohe Komplexität zur Folge, und die muss man Händlern und Verbrauchern vermitteln“, sagt Coelsch. Ein erster Aufschlag war eine Verbraucherbefragung zum Thema Mobile Payment. Es folgt eine Händlerbefragung. Zeitgleich entwickeln die Forscher eine Lösung, die Händlern Überblick über mögliche Anbieter und Konditionen verschaffen soll.
Einführung von Apple Pay: „Ein großer Erfolg“
„Im Moment sind wir noch beim Versuch, den Markt übersichtlicher zu machen“, sagt Coelsch. Erste Ergebnisse soll es zur Messe EuroCIS im Februar geben. Händlern, die Mobile Payment-Optionen einbinden möchten, gibt sie den Tipp: „Sie sollten abwägen, wer ihre Zielgruppe ist und wie sie bezahlt – eher mit Karte oder bar.“Zudem solle der Händler die Partner im Mobile-Bereich seines Netzwerkbetreibers checken. Ein weiterer Punkt: „Die Schulung des Personals entscheidet über den Erfolg beim Kunden“, sagt Coelsch. Sie benötigen das Know-how, welche Zahlungsart wie zu behandeln ist: „Bei Payback Pay etwa muss eine Extrataste gedrückt werden.“ Wenn es am Point of Sale nicht klappe, habe auch der Kunde ein schlechtes Gefühl.
Noch ist die Anzahl derer, die bei Euronics XXL in Tettnang mit mobilen Endgeräten bezahlen möchten, verschwindend gering; ein Drittel der Kunden zahle immer noch bar, doch immer öfter werde die Kreditkarte gezückt, sagt Händler Kirberg. „Das Thema Mobile Payment wird 2019 anlaufen und in zwei bis drei Jahren kommt der endgültige Durchbruch.“

Auch Apple Pay könnte daran einen Anteil haben. Zwar haben Apple-Kunden laut Apple hierzulande nur einen Marktanteil von 29 Prozent, doch es ist eine kaufkräftige und technikaffine Gruppe. Am ersten Tag des Starts von Apple Pay verzeichnete die Deutsche Bank, Partnerbank von Apple Pay und einziger Anbieter einer virtuellen Debitkarte, hohe dreistellige Kartenanträge pro Minute. Auch an Tag zwei und drei hielt sich dieses Niveau laut Finanzkreisen. „Ein großer Erfolg“, sagt Christoph Blumenthal, Pressesprecher bei dem Finanzinstitut. „Wir sind überzeugt, dass Apple dem mobilen Bezahlen in Deutschland mindestens einen Schub gibt, wenn nicht zum Durchbruch verhilft.“Die Markenbindung zu Apple ist gerade bei der relevanten technikaffinen Zielgruppe deutlich höher als die zu einer bestimmten Bank, die zum Teil nur noch als Verwalter des Girokontos angesehen wird.
Zahlen, Taxiruf und sogar die Scheidung per App
Banken, die nicht beim Start dabei sind, werden es schwer haben, schätzen Branchenexperten. Die Sparkassen etwa machen nicht mit und fordern von dem US-Konzern die Öffnung der NFC-Schnittstelle für Dritte – wie Banken und Sparkassen. Ob diese Strategie funktioniert, ist fraglich. In Großbritannien hatte sich die Barclays Bank zunächst geweigert und schließlich eingelenkt, nachdem Kunden abwanderten.Die Tatsache, dass Apple die NFC-Schnittstelle nicht für Dritte freigibt, poliert zwar nicht das Image von Apple, doch „ist die Markenbindung zu Apple gerade bei der relevanten technikaffinen Zielgruppe deutlich höher als die zu einer bestimmten Bank, die zum Teil nur noch als Verwalter des Girokontos angesehen wird“, bestätigt Ludwig Hierl, Professor für Accounting und Controlling an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn.
Wer aktuell als iPhone-Besitzer nicht mit der passenden Bank liiert ist, kann Apple Pay über die Wallet Boon von Wirecard einbinden, dem Spezialisten für Zahlungstechnologie. Markus Eichinger, Executive Vice President bei Wirecard, ist zuständig für die globale Unternehmensstrategie. Er ist überzeugt, dass sich Mobile Payment auch mit dem Eintritt von Apple Pay in Deutschland eher stetig als exponentiell entwickeln wird. Anders als etwa in Märkten wie China gibt es in Deutschland mit Karten- und kontaktloser Kartenzahlung für den Verbraucher zufriedenstellende Optionen.
Er rechnet damit, dass „Mehrwerte künftig über den Erfolg einer Bezahl-App entscheiden.“ Erfolgreichstes Beispiel weltweit: Alipay und WeChat Pay. „Diese alternativen Zahlungsmethoden bilden einen kompletten Prozess ab“, erklärt der Zahlungsexperte. Damit wird bezahlt, Coupons eingelöst, das Taxi gerufen und „man kann mit WeChat sogar seine Scheidung einreichen“, umreißt Eichinger den Kosmos der in China populären App.
Soweit ist man in Deutschland noch lange nicht. Doch Eichinger ist überzeugt, dass Händler ihre Kundenbindungssysteme wieder fester in die Hand nehmen und Anreize schaffen müssen, und zwar auf Basis des Payment.
