Mit gewaltigem Aufwand stampft Amazon in den USA neue Lieferzentren für das Möbelgeschäft aus dem Boden. Auch hierzulande gewinnt Amazon im Bereich Möbel und Wohnaccessoires immer mehr Marktanteile. Ikea setzt dagegen. Digital und auf der Fläche. Reicht das?

Ikea hat ehrgeizige Pläne. Allein in Deutschland will Deutschlandchef Peter Betzel mehr als zwanzig weitere Einrichtungshäuser bauen. Vielleicht weil Gastro die Zukunft ist. Wer morgens bei Ikea in Wallau auf dem Parkplatz steht, sieht vor allem sie: die Frühstücks-Gäste. Frühstück hat bei Ikea Kultstatus unter Rentnern und Familien mit Kindern. Und nicht nur das Frühstück: Für viele der zuletzt 51 Millionen Ikea-Kunden in Deutschland gehört das Restaurant zum Besuch wie der Teelichter-Kauf. Ikea ist manchmal eher Köttbullar als Billy.
Weltweit futterten Ikea-Kunden im vergangenen Jahr 650 Millionen Gerichte und gaben dafür 1,7 Milliarden Euro aus. Deutschlandweit gehört Ikea zu den zehn größten Gastro-Ketten. Mit einer Wachstumsrate von mehr als 8 Prozent steuerten die Restaurants im abgelaufenen Geschäftsjahr 221 Millionen Euro zum Deutschlandumsatz bei. Kein Wunder also, dass Ikea weiter auf die Fläche baut. Der andere Grund: Immer noch werden 88 Prozent des Umsatzes bei Ikea vor Ort aus den Häusern geschleppt. 12 Prozent werden nach Hause bestellt.

"Selbst bei einem Lieferanteil von 50 Prozent wird das Meiste über das Erlebnis im Einrichtungshaus generiert. Ein Smartphone kann kein Sofa testen oder unsere leckeren Lachs-Burger. Das Erlebnis vor Ort wird eine noch größere Rolle spielen, ganz gleich, auf welchem Weg die Kunden am Ende einkaufen.

Peter Betzel, Ikea


Und online, digital?

Click & Collect natürlich.

In ausgewählten deutschen Häusern des Möbelherstellers können Kunden seit kurzem zudem ihr persönliches virtuelles Wohnzimmer gestalten und die Produkte in einem 3D-Showroom interaktiv erleben. Der Katalog wird zudem seit Jahren immer interaktiver und virtueller
In Toronto zeigt Ikea seinen Kunden sogar einen Blick in die virtuelle Küche. Genutzt wird dazu ein VR-Headset von HTC. In der virtuellen Küche von Ikea kann man aber nicht bloß gucken, sondern auch virtuelle Pfannekuchen backen. Die heißt dann auch treffend Ikea VR Pancake Kitchen. Auch Beacon-Werbung erprobt man hier und da. Ikea übte beispielsweise Ende 2016 in Wien mit Beacons und schickte Nutzern in Restaurants, Bars, Kinos, Fitnesscentern Werbebotschaften auf die hauseigene Family App.

IKEA - iBeacons sind da!


Werbung in digitalen Umfelder ist ohnehin wichtiger geworden. Mit dem Hype um eine Influencer-Kampagne hat Ikea kürzlich beispielsweise mächtig das Image aufgemöbelt.
Auch der Vertrieb wandelt sich: Pick-up-Points, in denen Kunden Regale und Matratzen oder Teelichter online bestellen und in diese Abholstationen liefern lassen können,rücken nach. Den ersten Pick-up-Point hatte Ikea im Frühjahr 2015 in Leipzig eröffnet. In den kommenden zwei bis drei Jahren soll es ein knappes dutzend Pick-up-Points in Deutschland geben.
Auf rund 500 Quadratmetern gibt es in der Ikea Bestell- und Abholstation in Ravensburg einen kleinen Ausstellungsbereich (Foto: obs/Ikea)
Auf rund 500 Quadratmetern gibt es in der Ikea Bestell- und Abholstation in Ravensburg einen kleinen Ausstellungsbereich (Foto: obs/Ikea)
Ikea puzzelt also noch. Und das eher mit Weile, als mit Eile.

Der hiesige E-Commerce-Umsatz stieg zuletzt um fast 23 Prozent auf 233 Millionen Euro. Bei einem Umsatz von rund 4,8 Milliarden Euro ist das aber ein Kleckerbetrag. Genau beziffern lässt sich dieser Umsatz allerdings nicht. Zu unterschiedlich sind die Wege, bis der Kunde die Ware in Empfang nimmt. Ob eine Couch über den Rechner zu Hause bestellt wurde oder per Smartphone beim Probesitzen vor Ort, unterscheiden die offiziellen E-Commerce-Zahlen nicht. Kanaldenke ist bei Ikea längst passe. Kunden denken schließlich auch nicht in Kanälen.

"Wir wollen nicht in Kanälen denken. Wir müssen die Dinge aus Sicht unserer Kunden betrachten und aus deren Sicht entscheiden, welches die richtigen Sortimente sind. Unsere Strategie darf sich nicht daran ausrichten, was wir wollen, sondern daran, was unsere Kunden wollen. Kunden denken nicht in Kanälen."

Peter Betzel, Ikea
Trotz der von außen eher ruhig wirkenden Digitalisierung, bewegt sich der Möbelriese auch im digitalen Vergleich mehr als ordentlich. Mit seinem Online-Umsatz liegt Ikea nur knapp hinter dem inzwischen eher stagnierenden Pure Player Home24, der von der Fachpresse schon mal zum "Ikea-Killer" stilisiert wird, aber eher selbst ums Überleben kämpfen muss - und inzwischen eigene Möbelhallen nutzt.

Infografik: Wenig Begeisterung für Möbel aus dem Netz? | Statista Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

Kein Wunder, dass also Deutschlandchef Peter Betzel im Interview mit "Der Handel" ein wenig unken kann: "Auch die Pure Player merken, was die Begegnung der Menschen mit der Ware und Mitarbeitern ausmacht."

Allerdings ist da auch Amazon. Dem Onlinegiganten werden im Segment "Living", also fast alles was irgendwie in eine Wohnung passt, schätzungsweise deutlich über 500 Millionen Euro Umsatz angerechnet. Tendenz steigend. Das Wachstum ist klar zweistellig.

Noch aber verkauft kein anderes Unternehmen in Deutschland so gut Möbel und Einrichtungsartikel über das Internet, wie der Versender Otto. Der Gesamtumsatz stieg 2016/17 im Vergleich zum Geschäftsjahr 2015/16 um zehn Prozent auf 911 Millionen Euro.

Unterdessen will Ikea schneller werden, will dezentraler werden und baut mehr kleinere Regionallager. Diese Regionalisierung werden wir weiter vorantreiben", sagt Betzel. Seit 2016 verschickt Ikea bereits aus Dortmund vieles, was sich online bestellen lässt, bis zu einem Gewicht von 30 Kilogramm.
Der Kunde kennt nämlich nicht nur keine Kanäle mehr, er kennt auch keine Geduld.

Mehr über den Wandel von Ikea lesen Sie in "Der Handel 05/2017".

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