
Verpasst die Möbel-Branche den rechtzeitigen Einstieg in den Markt oder ist ein Schneckentempo wie bei Ikea die richtige Wahl?
Pierre Haarfeld: Ikea macht aus eigener Sicht alles richtig. Sie erproben den Markt, drosseln aber das Tempo beispielsweise durch hohe Versandkosten oder eine Gebühr bei Click & Collect. Interessant ist auch, dass gerade Kleinartikel, die in der Filiale für erheblichen Umsatz sorgen, im Onlineshop abgebildet werden, aber nicht eingekauft werden können. Ikea ist aber in der Lage, jederzeit den Hebel umzulegen. Die Zurückhaltung dürfte dem Unternehmen zudem kurzfristig kaum schaden. Letztendlich kontrolliert Ikea die gesamte Wertschöpfungskette seiner Produkte und Ikea-Möbel wird man im Gegensatz zu Produkten von anderen Möbelherstellern woanders nicht bekommen. Deswegen dürfen Sie für andere Anbieter kein Vorbild sein.
Der klassische stationäre Handel tut sich derweil besonders schwer. Aus Angst vor der Schrankwand-Retoure?
Pierre Haarfeld: Das wäre ein Fehler. Insgesamt liegt die Retourenquote im Möbelhandel immerhin unter drei Prozent. Die größte Hürde ist sicherlich die Preisgestaltung im stationären Handel. Da werden Listenprise ausgezeichnet und alle paar Monaten mit einer gewaltigen Rabattaktion radikal gesenkt. Im Onlineshop kann ich die Preise aus dem Laden aber nicht darstellen. Um dieser Falle zu entgehen müssten Händler deshalb darüber nachdenken, ob nicht Konzepte sinnvoll sind, die von der stationären Marke losgelöst sind. Daheim.de von Segmüller ist, wenn auch nicht konsequent durchgezogen, ein Ansatz in diese Richtung. Stationäre Händler vergessen gerne, dass Ihre Markenbekanntheit in der Regel lokal beschränkt ist. Kooperationen zwischen einzelnen Händlern, die dann beispielweise eine gemeinsame Click & Collect-Option anbieten, wären eine mögliche Option.
Ein Großteil des Handelsumsatzes speist sich auch offline aus dem Geschäft mit Kleinteilen. Doch gerade hier macht sich gerade eine Fülle an Pure Playern im Web breit. Wie gefährlich ist die Entwicklung für den klassischen Handel?
Pierre Haarfeld: Westwing oder Monoqi sind Paradebeispiele dafür, wie man mit Kleinteilen schnell wiederkehrende Kunden ansprechen kann. Das könnte der stationäre Händler auch. Aber viele trauen sich nicht an das Thema heran , weil sie den Umsatz und die Frequenz auf der Fläche nicht ausdünnen wollen. 20 Prozent der Möbelhändler erzielen 50 Prozent und mehr Umsatz mit ihren Randsortimenten. Und schließlich läuft es ja noch ganz ordentlich. Aber das kann schnell kippen, weil für die Digital Natives keine Konzepte aufgeboten werden. Und gerade junge Kunden erreicht man vielfach gerade über das Geschäft mit Wohn-Accessoires.

Ein Geburtsfehler des Möbelmarktes ist der Mangel an echten Marken. Wer profitiert davon?
Pierre Haarfeld: Außer im Premiumsegment, fehlen richtig starke Marken im Möbelmarkt tatsächlich. Das ist auch eine Schwäche des Onlinemöbelhandels. Zwar gibt es zur Zeit verstärkte Bemühungen beim Aufbau von Online-Handelsmarken, der Löwenanteil des Traffics läuft aber nach wie vor über generische Adwords. Der Eintritt neue Marktteilnehmer verbessert die Situation nicht. Finanzkraft wird daher künftig zu einem wesentlichen Wettbewerbsfaktor. Obendrein sind die Kosten der Kundenakquise ohnehin höher als in anderen Branchen.
Warum?Pierre Haarfeld: Kleinteilige Produkte oder Modeartikel kauft man alle paar Monate. Beim nächsten Einkauf habe ich den Onlinehändler dann womöglich sogar noch vom letzten Kauf im Mindset. Große Möbel schafft man aber nur alle paar Jahre an. Da kann dann ein Onlineanbieter längst wieder aus dem Relevant Set verschwunden sein. Davon profitieren womöglich Anbieter, die Angebote kuratieren und ganz bewusst auf Inspiration setzen. Das macht sie unabhängiger von spezifischen Produktbedürfnissen.

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Otto**: Bis Geschäftsjahr 2013/2014 Otto Einzelgesellschaft / Geschäftsjahr 2014/2015 Otto Group mit den Plattformen baur.de, schwab.de, bonprix.de, heine.de, manufactum.de, cnouch.de, schlafwelt.de, naturloft.de, laut Schätzung „Möbelkultur“ (Grafik: etailment)