Neckermann macht's möglich: Der klassische Katalogversender ist zum modernen Onlinehändler geworden - und legt sogar zweistellig zu. Auch stellt das Unternehmen wieder neue Mitarbeiter ein.
Der erste Artikel, den Neckermann online verkaufte, war eine Timex-DataLink-Armbanduhr - daran erinnert sich noch Daniel Rebhorn, Managing Partner des E-Commerce-Unternehmens dmc digital media center und damaliger Mitstreiter.
Heute haben die Frankfurter Onlinehandels-Pioniere ihren Webshop zu einem Internetmarktplatz ausgebaut, bieten dort rund 700.000 Artikel an und machen rund zwei Drittel ihres Umsatzes über den Vertriebskanal Internet. Damit hat das inzwischen 60 Jahre alte Unternehmen den Wandel vom Versender zum Onlinehändler geschafft - allen Turbulenzen zum Trotz.
Sun Capital übernimmt Neckermann
Und die gab es nicht zu knapp: Nach einer finanziellen Krise Mitte der Siebzigerjahre wurde das Unternehmen 1977 mehrheitlich von der Karstadt AG übernommen und war bis Ende 2007 somit eine Tochtergesellschaft des Arcandor-Konzerns.Während die Neckermann-Schwester Quelle in den Strudel der Arcandor-Insolvenz geriet und darin unterging, hatten die Frankfurter mehr Glück - und vor allem einen Investor, der an eine erfolgreiche Verwandlung des damals eher altbacken anmutenden Versenders zum modernen Onlinehändler glaubte.
Im November 2007 übernahm der amerikanische Finanzinvestor Sun Capital Partners 51 Prozent der Anteile an Neckermann; seit dem 8. Oktober 2010 ist Neckermann zu 100 Prozent in dessen Besitz. Die E-Commerce-Ausrichtung unterstrich die Neckermann Versand AG allerdings schon vorher durch eine Namensänderung - seit dem 1. Januar 2006 firmiert sie als neckermann.de GmbH.
Neckermann schafft neue Arbeitsplätze
Die Umstrukturierung, die die neuen Eigentümer angestrengt haben und die nicht ohne Blessuren vor sich gingen, zeigt nun erste Erfolge: Von Januar bis September 2010 legte der Umsatz in der gesamten Gruppe um 10 Prozent und in Deutschland um 20 Prozent zu; die Nachfrage im Onlineshop stieg um 30 Prozent."Wir haben im vierten Quartal 2009 die Trendwende geschafft. Heute wächst neckermann.de wieder", freut sich Henning Koopmann, Vorsitzender der Geschäftsführung und CEO von neckermann.de. "Wir werden in der Gruppe diesem Jahr beim EBITDA eine schwarze Null schreiben."
Nach dem Stellenabbau in den vergangenen Jahren - 2008 beschäftigte die Gruppe in Europa rund 5.000 Menschen, derzeit sind es rund 4.000 - stellt Neckermann inzwischen wieder Personal ein: 250 neue Arbeitsplätze sind in diesem Jahr hinzugekommen. Für das deutsche Geschäft sollen 2011 weitere rund 100 neue Arbeitsplätze besetzt werden.
In zehn Ländern aktiv
Unterdessen geht der Umbau weiter. Das Unternehmen ist in Europa neben Deutschland in Belgien, den Niederlanden, der Schweiz, Österreich, Kroatien, Tschechien, Slowakei, Slowenien und der Ukraine aktiv. Von 2011 an soll dieses internationale Geschäft im Hinblick auf Synergien weiterentwickelt werden, etwa die E-Commerce-Aktivitäten wie auch die Software einheitlicher gestaltet werden. Zudem soll es künftig mehr Kataloge auf internationaler Basis sowie eine zunehmend vereinheitlichte Print-Produktion geben. Kurz: das Europageschäft soll zentralisiert werden.Der Onlinemarktplatz ist zudem weiterhin auf der Suche nach Markenartiklern: Derzeit bieten rund 125 Vertriebspartner ihre Ware auf neckermann.de an, bis zum Jahresende hoffen die Versandhändler auf 150 Partner.
Darüber hinaus steckt das Unternehmen verstärkt Geld in Technologie: "In den kommenden drei Jahren werden wir mehr als 50 Millionen Euro in die IT investieren, um weiteres Wachstum im E-Commerce zu ermöglichen", so Helmut Steurer, Geschäftsführer Finanzen und IT. "Dazu zählt die Vereinheitlichung unserer IT-Systeme in der Gruppe, die Verdopplung der Serverkapazitäten, neue Funktionalitäten im E-Marketing und neue Bezahlverfahren, die wir anbieten wollen." Im kommenden Jahr sollen demnach die Zahlverfahren Giropay und PayPal in den Webshop eingebunden werden.
Printkatalog bleibt
Am Werdegang von Neckermann lässt sich ablesen, welche technischen Neuerungen im Internet in den vergangenen Jahren jeweils aktuell waren. Ende Oktober 2005 ging das Unternehmen mit dem ersten deutschen TV-Lifestyle-Format "neckermann.tv" auf Sendung. Thomas Gottschalk traf damals in einer siebenteiligen Miniserie Prominente aus den Bereichen Mode, Sport, Musik und Lifestyle bei ihrer Arbeit.Im August 2006 bauten die Onlinehändler ihren Web-TV-Auftritt weiter aus und kombinierten klassische TV-Elemente mit eigenen Beiträgen von Zuschauern - ein Vorgeschmack auf das Web 2.0 mit den neuen interaktiven Möglichkeiten des Internets.
Seit Juli 2006 können die Konsumenten über neckermann.mobi mit mobilen Endgeräten einkaufen, im August 2006 ging der erste E-Katalog "Chic in Form" auf neckermann.de online. Mitte 2008 gab Neckermann schließlich bekannt, dass die Schweizer keine Kataloge mehr bekommen, sondern neckermann.ch zum reinen Internetversender wird.
Bei aller Begeisterung des traditionellen Versandhändlers für das digitale Geschäft wird Papier noch lange eine Rolle spielen: "Print wird es weiter geben, aber es wird völlig anders aussehen", prognostiziert Ulf Cronenberg, Geschäftsführer Marketing und Vertrieb. "Es wird neue Angebotskonzepte und Segmentierungsmodelle geben. Kataloge werden in Zukunft ganz anders, viel moderner aussehen und mehr auf das Onlinegeschäft eingehen."
Sybille Wilhelm
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 12/2010 von Online Handel erschienen - hier geht es zum Probeexemplar.