So Recht will keine Feierstimmung aufkommen: Der Versender Neckermann wird heute 60 Jahre alt und blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück.
Durch die Übernahme der Wäschemanufaktur Karl Joel – der im Übrigen der Großvater des Pianisten und Sängers Billy Joel war – entstand 1937 die Wäsche- und Kleiderfabrik Josef Neckermann. Das 1928 in Nürnberg gegründete Unternehmen war seinerzeit der viertgrößte Textil-Versandhandel Deutschlands.
Von München nach Frankfurt
1948 zog Familie Neckermann von München, wo sie inzwischen weilte, nach Oberursel bei Frankfurt am Main. Neckermanns Schwester und Schwager waren bei einem Autounfall tödlich verunglückt, Josef und Annemarie Neckermann adoptierten deren drei Töchter und bezog das Haus der Familie in Oberursel.Am 6. September 1948 wurde die Textilgesellschaft Neckermann KG gegründet, der Sitz des Unternehmens war in der Mainzer Landstraße 220 in Frankfurt. Die Gesellschaft ging am 1. April 1950 in die Neckermann Versand KG über. Das Unternehmen startete mit 107 Angestellten.
Expansion im Osten Frankfurts
Doch Neckermann wuchs – und die Stadt Frankfurt kam Neckermann bei den Expansionsplänen entgegen und verpachtete dem Händler ein Firmengelände im Osten der Stadt. Das neue Kauf- und Versandhaus wurde am 11. Juni 1951 eröffnet, Familie Neckermann bezog die beiden oberen Stockwerke. Im gleichen Jahr eröffnete der Händler in Trier, Kassel, Hanau, Rosenheim sowie in Würzburg weitere Verkaufsstellen.Der erste Katalog des Versandhauses erschien im März 1950 und umfasste 12 Seiten und 133 Textilangebote bei einer Auflage von 100.000 Exemplaren. Neckermann soll dem ersten Katalog die Nummer 119 gegeben haben, um so eine lange Versandhaustradition vorzutäuschen. Die Konkurrenz dieser Tage war groß, auf dem Markt sollen sich seinerzeit rund 4.000 Versandhändler getummelt haben. Bereits im ersten Jahr erzielte Neckermann einen Umsatz von 10 Millionen DM.
Wirtschaftswunder Neckermann
Neckermann profitierte von den niedrigen Preisen und der hohen Nachfrage im Nachkriegsdeutschland: Schon im dritten Jahr nach der Firmengründung erreichte Neckermann einen Umsatz in Höhe von 100 Millionen DM.1953 bot er auch zum ersten Mal im Katalog ein Radiogerät zum Sensationspreis von 187 DM an. Als Antwort auf die Boykottversuche – vor allem des Elektro-Einzelhandels, die sich über die Dumpingpreise des Frankfurter Versandhändlers ärgerten, und den davon beeinflussten Handwerkern – gründete er einen eigenen Technischer Kundendienst (TKD).
Denn vor allem der Elektro-Einzelhandel litt unter der aggressiven Preispolitik des Versandhändlers und verzeichnete Umsatzeinbrüche. Kostete beispielsweise eine Constructa-Waschmaschine im Fachhandel 1.600 Mark, konnte man das gleiche Modell bei Neckermann für 950 DM bestellen. Dass das AEG-Logo beim Neckermann-Produkt durch ein Logo mit einem durch Sternchen verzierten „N“ ersetzt wurde, störte die Kundschaft nicht.
6.000 Mitarbeiter
Das Unternehmen expandierte weiter, und mit ihm die Zahl der Mitarbeiter. Hatte Neckermann 1950 noch mit 107 Angestellten begonnen, war deren Zahl bereits Ende 1951 auf 1.700 gestiegen. 1958 waren im Gesamtunternehmen mehr als 6.000 Menschen beschäftigt, davon ein Großteil in Frankfurt. Das Gebäude der Neckermann-Zentrale am Danziger Platz wurde zu klein, so dass man sich zu einem Neubau an der Hanauer Landstraße 360 im Frankfurter Stadtteil Fechenheim entschloss.Die neue Zentrale wurde am 15. September 1960 bezogen, dem Jahr, in dem auch der Slogan "Neckermann macht's möglich" eingeführt wird, und ist bis heute Sitz des Unternehmens. Die Datenverarbeitung und Logistik war auf dem damals neuesten Stand: Zur Optimierung der Bestellabwicklung wurde eine IBM-Großrechenanlage installiert.
Häuser, Reisen, Versicherungen
1963 gründet der Händler die Neckermann Eigenheim GmbH, die günstige Fertighäuser schlüsselfertig anbot und im Jahr 1982 an die Hochtief AG verkauft wurde. In dem Jahr hat Neckermann auch erstmals Urlaubsreisen im Programm und nimmt dafür den Neckermann-Reisedienst auf.1965 geht die Tochtergesellschaft N-U-R Neckermann und Reisen GmbH & Co. KG an den Start und wird 1973 in eine GmbH umgewandelt. 1981 wurde die Tochter an die Karstadt AG verkauft, die neue Dachmarke NUR Touristic wurde 1997 wurde mit der Reisesparte des Lufthansa-Konzerns (Condor Flugdienst) zu Thomas Cook vereinigt.
Ebenfalls 1963 kooperiert Neckermann zudem mit der Nationwide Insurance Co., dem damals drittgrößten Versicherungsunternehmen der USA, und gründet die Neckura-Versicherungs-AG. Der Versicherer ging schließlich 2001 im Konzern Zurich Group auf und existiert heute sowohl als Unternehmen als auch als Eigenmarke nicht mehr.
Konkurrenz treibt Neckermann
Quelle und Otto, Discounter und Abholgroßmärkte wie Metro „Cash & Carry“ machten der Versand- und Warenhaussparte des Unternehmens seit den 1960er Jahren Konkurrenz. Obwohl die Umsätze des Neckermann-Konzerns über zwei Jahrzehnte wuchsen, schrieb das Unternehmen rote Zahlen – Folge der eigenen gnadenlosen Preispolitik.Bereits 1963 drohten die Banken, kein Geld mehr zur Verfügung zu stellen. Neckermann konnte sein Unternehmen jedoch mit Lieferantenkrediten und durch den Börsengang 1963 noch einige Jahre über Wasser halten. Mitte der 1970er Jahre aber stand Neckermann dann aber doch kurz vor der Pleite.
Zum 25-jährigen Firmenjubiläum 1975 reduzierte man die Preise sämtlicher Artikel des Frühjahr/Sommer-Katalogs um 10 Prozent. Der daraufhin einsetzende Ansturm auf die ohnehin äußerst knapp kalkulierten Artikel brach Neckermann das Genick: Die Jubiläumsaktion brachte dem Versandhaus 4 Millionen DM Verlust. Josef Neckermann blieb nichts anderes übrig, als Anteile seines Unternehmens zu verkaufen.
Karstadt steigt ein
Mit Karstadt-Chef Walter Deuss verhandelte er ab Frühjahr 1976 über eine mögliche Fusion, Karstadt stieg als neuer Großaktionär bei Neckermann ein. Die letzte Aktionärsversammlung der Neckermann Versand KGaA fand am 1. Juni 1977 statt, danach wurde sie in eine reine Aktiengesellschaft umgewandelt. Durch Übernahme von 51,2 Prozent der Aktien wurde die Karstadt AG neuer Haupteigentümer.Karstadt führte 16 der 34 Neckermann-Kaufhäuser unter eigenem Namen weiter, die übrigen, meist kleineren Filialen wurden teilweise als Verkaufsstellen weitergeführt, teilweise verkauft oder geschlossen. Der neue Eigentümer Karstadt reduzierte das Unternehmen nach und nach auf das Versandgeschäft, die in den 1960er Jahren gegründeten Tochterunternehmen der Reise-, Immobilien- und Versicherungsbranche wurden verkauft.
1984 hatte die Karstadt AG mehr 95 Prozent des Neckermann-Kapitals und gliederte die Neckermann Versand AG in die Karstadt AG ein. 1999, nach der Verschmelzung mit der Schickedanz Handelswerte GmbH & Co. KG auf die Karstadt AG, firmiert die Muttergesellschaft in KarstadtQuelle AG um.
Rettung online?
Neben dem traditionellen Vertriebsweg über den Neckermann-Katalog stieg der Versender auch in den elektronischen Handel ein. 1995 wurde der Onlineshop neckermann.de gegründet, um die Ausrichtung auf den E-Commerce zu unterstreichen, benennt die inzwischen Arcandor heißende KarstadtQuelle den Neckermann-Versand ab dem 1. Januar 2006 in neckermann.de um.Im März 2008 verkauft Arcandor 51 Prozent der neckermann.de GmbH an Sun Capital Partners, Inc. und es beginnt eine lange Phase der „Restrukturierung“, die auch bei Neckermann vor allem ein Euphemismus für Stellenabbau ist. Am 1. Dezember 2008 wurde bekannt, dass die Neckermann-Führung den Aufsichtsrat gebeten hat, von allen Aufgaben entbunden zu werden. Diese Bitte wurde akzeptiert, Hintergrund des Rücktritts war ein gescheiterter Management Buy-out.
Seit 1. März 2009 ist Ulf Cronenberg Geschäftsführer für Marketing, Vertrieb und E-Commerce. Seit 1. April 2009 sind Henning Koopmann als CEO und Dr. Helmut Steurer (CFO) Mitglied der Geschäftsführung der neckermann.de GmbH.
4.500 Mitarbeiter
Heute umfasst die neckermann.de-Gruppe die deutsche Gesellschaft den Spezialversender für große Größen Happy Size sowie neun internationale Tochterunternehmen in Belgien, Kroatien, Niederlande, Österreich, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Tschechien und der Ukraine. Zur Unternehmensgruppe gehören außerdem Unternehmen aus den Bereichen Customer Care, Logistik sowie Management Services. Die neckermann.de Gruppe beschäftigt Angaben im Internet zufolge derzeit 4.500 Mitarbeiter, 2.700 davon in Deutschland.Von der Insolvenz des Minderheitsgesellschafters Arcandort sieht sich neckermann.de nicht betroffen. "Das überraschende Aus für Quelle führt zu zahlreichen Anfragen von Quelle-Kunden", sagte Marketing-Geschäftsführer Cronenberg Ende Oktober 2009 auf einer Pressekonferenz.