Technisch, organisatorisch und frei von Budget-Restriktionen? So scheint es.
Den Großkonzernen und Infrastrukturanbietern der Web-Ökonomie wird dabei vorgeworfen, sich durch Bereitstellung ihrer Kundendaten -wissentlich oder unwissentlich- zum Handlanger der NSA und anderer Nachrichtendienste zu machen. Und sich damit selbst zu schaden.
Die politische Elite in Deutschland sieht sich in der aktuellen Debatte dem Vorwurf ausgesetzt, nicht nachdrücklich genug für hiesiges Datenschutzrecht einzustehen. Die Klarheit über technische Möglichkeiten und Zugriffsrechte und die Zweifel an öffentlichen Insitutionen als Vertretungen ihrer Interessen und als reguliernde Instanzen, führt vielen Bürgern erstmals konkret vor Augen, wie gläsern ihr digitales Ich im Internetzeitalter tatsächlich ist. Das wird nicht ohne Konsequenzen für deren Umgang mit Web-Diensten, Online-Händlern und anderen E-Business-Unternehmen bleiben. Die aktuelle Medienberichterstattung forciert ein Umdenken im Umgang mit den eigenen Daten.
Über die Auswirkungen des Überwachungsskandals auf die Internetwirtschaft. Ein Kommentar.
Der Überwachungsskandal ist wie das Internet selbst: Gekommen, um zu bleiben.
Der Umgang mit Kunden- und Bürgerdaten, die entlang digitaler Wertschöpfungsketten und elektronischer Verwaltungsprozesse erhoben werden, ist zu einem Streithema geworden, das im Zuge der Enthüllungen Edward Snowdens erstmalig einen breiten gesellschaftlichen Diskurs entfacht hat. Der Ärger ist groß. Über das Selbstverständnis der US-amerikanischen Regierung und deren Sicherheitsorganen, über das Verhalten der Webkonzerne, über das Abwiegeln sicherheitspolitischer Hardliner im Inland („Telekommunikationsüberwachung gab es schon immer“) und über die offenkundige Konfliktscheue der eigenen Regierung, offen gegenüber den USA für nationale Datenschutzinteressen einstehen zu wollen.
Die mediale Aufmerksamkeit ist enorm. Wöchentlich werden neue „Datenlieferanten“ bekannt. Anders jedoch als in früheren Debatten zum Thema „Datenkrake“, stehen nunmehr jedoch nicht nur Web-Unternehmen und deren Sammelwut an Kundendaten am Pranger, sondern auch Regierungen und deren nachrichtendienstliche Institutionen. Und auch ein deutsches Unternehmen.
„Datenschutz in der digitalen Welt“ ist spätestens in 2013 ein Politikum geworden, das keinesfalls mit im Sommerloch verschwinden wird: Im Bundestagswahljahr 2013 und auch unter der Berücksichtigung schwelender Konflikte („Presseverlage gegen Google“), wird die Medienberichterstattung in Deutschland weiter zunehmen.
NSA scandal s impact on ecommerce
„NSA scandal's impact on e-ommerce“: Europäische Datenschutz-Paranoia, echter
Schaden, oder gar ökonomischer Nutzen? TV-Debatte. Fox News
Der gläserne Bürger wehrt sich da, wo er es noch kann: Als Kunde von Web-Unternehmen.
Der Mediendruck wird bleiben, die Verärgerung auch. Über den Vertrauensbruch und den Kontrollverlust über die eigenen digitale Aktivitäten, dem der Einzelne nicht mehr Herr zu werden vermag. Bürger sind Kunden. Online-Kunden. Wo diese sich jetzt vor die Wahl gestellt sehen, sich entweder von verschiedenen Internet-Diensten zurückzuziehen, ihr Nutzungsverhalten zu überdenken und einzuschränken, ihre Kommunikation arbeitsaufwendig zu verschlüsseln, oder aber einfach den Gedanken an eine potenzielle Überwachung in Kauf zu nehmen, werden sie sich ein Ventil suchen, wenn sie sich schon der normativen Kraft des Faktischen beugen müssen: Wo der gläserne Mensch als Bürger das Gefühl hat, nur hilflos zuschauen zu können, wird er als Kunde umso vorsichtiger agieren. Die Zeit eines „unvoreingenommenen Mitmachens“ ist endgültig vorbei.
Alles wegen des Internet? Wenn milliardenschwere US Internet-Großunternehmen sich zum Dienstleister des US-Militärnachrichtendienstes machen, wenn internationale Konzerne sich mit ihrem Datenschatz in Untertanen-Manier anbiedern, um es sich mit ihren Ambitionen auf dem US-Markt nicht zu verscherzen, wenn europäische Staaten einem Flugzeug den Transit verweigern, weil der „falsche“ Passagier, der „Whistleblower“ darin sitzt, dann wird das mittelfristig Folgen für den Umgang der Internet-Nutzer im Umgang mit ihren Daten haben.

Der Vertrauensverlust wiegt schwer. Der Schluss, dass europäische Unternehmen profitieren
würden, greift jedoch zu kurz: Auch die werden beweisen müssen, dass man ihnen noch
vertrauen kann. Forbes
Das Internet ist da und es geht nicht mehr weg. Für die Vertrauensfrage gilt ab jetzt das gleiche. Alle Geschäftsmodelle der Internet-Ökonomie werden direkt oder indirekt davon betroffen sein: Commerce, Content, Context, Connection. Eine Zäsur im Umgang mit Web-Diensten? Für Digital Natives, die vielleicht bereits eh schon „überall alles“ von sich preis gegeben haben, vielleicht nicht.
Für eine jüngere Generation jedoch schon. Facebook? Ist eh zu öffentlich, zu schwer zu kontrollieren. Neue Payment-Lösungen? Werden von Technik-affinen Branchenbeobachtern als Zukunfts-Modell angepriesen und ältere Web-Nutzer zeigen sich aufgeschlossen.
Jüngere sind da bereits deutlich skeptischer. Vorsichtiger. Auch ohne Überwachungsskandal. Woher wird nun künftig der Antrieb kommen, neue Start-ups, neue Dienste, neue Shops einfach mal auszuprobieren, wenn das Vertrauen über den Umgang mit den eigenen Daten derart zerrüttet ist. Lock In-Effekte? Das Erreichen der kritischen Masse? Communities? Künftig werden sich Konsumenten zuerst die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit stellen. Und erst danach die nach dem Zusatznutzen.
Und Big Data? Möchte momentan wirklich noch ein E-Commerce-Berater zu den Branchen-Events reisen und Händlern und Dienstleistern von den angebliche Segnungen berichten, die die Zusammenführung eigener Kundendaten mit denen aus den sozialen Netzwerken mit sich bringt? Dem Kunden etwas anbieten, von dem er selbst noch gar nicht wusste, dass er das braucht? Bis gestern noch „die Zukunft“ und heute schon eine potenzielle Gefahrenquelle, da nicht absehbar ist, wie derart sensibilisierte Kunden auf entsprechende Offerten überhaupt reagieren werden.
Ob aus echten Bedenken, oder aus Trotz: Eine neue Konsumenten-Generation wird der Web-Wirtschaft weit vorsichtiger und weniger offen gegenüber stehen, als dies noch heute der Fall ist. Die Illusion eines bunten Mitmach- und Ausprobier-Web, in dem Neugier vor Bedenken steht, hat sich endgültig überlebt. Die Digitalwirtschaft hat es geschafft, sich selbst einen neuen Kundentypus im Internet zu erschaffen. Einen, der nicht ausprobieren möchte, nicht aus einer Laune heraus Fan oder Freund sein möchte, nicht überall dabei sein will, sondern einen, der kritisch ist, abwägt, hinterfragt, und der -auch wenn ihm die Begriffe selbst vielleicht gar nicht geläufig sind- nicht mehr in „Zusatznutzen“, sondern bereits in „Wertschöpfungsketten“ denkt.
Womit hätte man sich selbst noch mehr schaden können?