Die große Heilserwartung galt lange Zeit dem Omnichannel. Doch zunehmend gerät die Strategie in Verruf: Hilft nicht, lohnt nicht, zu teuer. Doch stimmt das wirklich? Womöglich machen Kritiker wie Händler einen ganz grundsätzlichen Fehler.
Macy’s, Neiman Marcus, Sears, Nordstrom, etc – lang ist die Liste jener US-Vorzeige-Händler, die immer wieder für das Heilsversprechen des Omnichannels herhalten mussten.
Händler, die zeigten, wie sexy digitale Technik im Laden aussehen kann. Ketten, die zu beweisen schienen, wie hübsch sich Geschäftsprozesse und Systeme entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit Hilfe neuer Technologien vernetzen lassen.
Doch nun? Neiman Marcus? In der Krise, bläst den Börsengang ab. Macy’s? Muss mehr als 10.000 Stellen streichen. Die Beispiele ließen sich fortsetzen.
Ein Beweis dafür, dass sich all die Omnichannel-Anstrengungen nicht auszahlen?
Läden leiden an der Karstadt-Krankheit
Die Welt ist dann doch ein wenig komplexer.
Lieblose Warenpräsentation, unklare Positionierung im Store, undifferenziertes Markenbild attestiert ReCode in einer Analyse der einstigen Warenhaus-Ikone Macy’s. Auf deutsch gesagt: die Läden leiden an der Karstadt-Krankheit. Und dagegen helfen auch nicht allein technische Gadgets und vernetzte Angebote.
Die Probleme des vernetzten Handels sind also hausgemacht. Amazon und Co nutzen diese Schwäche lediglich aus.
„Verbraucher sagen, selbst Wäsche waschen mache mehr Spaß als einkaufen zu gehen. Das ist ein deutliches Signal“, sagt Marc Rietra, Leiter Consumer Goods & Retail bei Capgemini. Dort hat man in einer Studie alarmierenden Zahlen zusammengefasst: Eine davon lautet: 67 Prozent der Deutschen würden statt im traditionellen Handel eher direkt beim Hersteller oder einem der Online-Riesen kaufen.
Das wundert nicht.

„Wenn wir uns die heutigen Ladenformate und stationären Verkaufsmodelle ansehen, so ist in den vergangenen 10 Jahren kaum ein signifikanter Fortschritt erkennbar. Zumindest ist keine Innovation erkennbar, die zum nachhaltigen Vorteil des Konsumenten ist. Und dies obwohl man Land auf und Land ab von der Neuerfindung des stationären Handles spricht. Die sogenannte „Innovation“ im stationären Handel scheint bislang vom Controller und nicht vom Consumer getrieben zu werden. Und genau so verhält es sich auch grossmehrheitlich bei den Omni-Channel Konzepten die von internen Prozessen, technischen Unzulänglichkeiten, kulturellen althergebrachten Zöpfen oder Kannibalisierungsangst wie gelähmt wirken“, wettert der Schweizer Handelsberater Thomas Lang.
Wirklich fair klingt das nicht.
Omnichannel rechnet sich nicht
Stehen doch nahezu allerorten durchgängige Shop-Prozesse auf der Agenda, werden gemeinsame Backend-Systemen umgesetzt und wird immer wieder betont, dass Online- und Stationärhandel voneinander profitieren können. "Click & Collect"-Services sind längst Standard in den Ladengeschäften, Online-Terminals gehören zum guten Ton nicht nur der digitalen Avantgarde und geliefert wird immer öfter auch nach hier, da und dort, um den "hybriden Kunden“ glücklich zu machen.Nur rechnet sich das alles nicht, klagt Jörg Dubiel, Chief Intelligence Officer bei Conrad Electronics, in einem lesenswerten Beitrag bei LinkedIn: „Omni-Channel = Nein, Danke“.
Die Komplexität für die gesamte Organisation, die Begrenztheit der Ressourcen, rechnet der Conrad-Manager da ernüchtert vor, treffen auf einen viel zu kleinen Anteil an echten Omnichannel-Kunden. Den schätzt Dubiel auf 5 Prozent. Großzügig kalkuliert.
Das kann sich für die meisten Anbieter nicht rechnen: „Und für die 5 Prozent echten Omni-Channel Kunden werden 6 mal mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt. Dabei müssen wir davon ausgehen, dass echte Omni-Channel-Kunden nicht 6 mal besser sind, sondern lediglich etwa doppelt so gut sind wie Single-Channel-Kunden.“
Derlei lohne sich nur für Händler und Konzepte mit Heerscharen an Omnichannel-Kunden. Wenn überhaupt.
Womöglich stehen dahinter aber auch zu hohe Erwartungen an einen superhybriden Kunden - und Controller, die Umsätze weiter vermeintlich verursachergerecht einzelnen Silos zuordnen.
Kanalvielfalt ist die Brücke zum Kunden
Derlei ist ebenso verkehrt, wie Jubelzahlen über Click & Collect-Kunden, die in Legionen Zusatzverkäufe generieren. Ein Anfang wäre gemacht, wenn man die Touchpoints allein aus Sicht des Kunden bewertet und entsprechend mit ihren kanalspezifischen Vorteilen anbietet. Wenn man seiner Daten dann ganz sicher ist, darf man vielleicht noch die Pareto-Formel für die Auswahl der Kanäle anwenden.
Eine in Harvard Business Review vorgestellte Studie zu einem großen US-Retailer sieht jedenfalls eine überwältigende Mehrheit von 73 Prozent der Kunden, die auf ihrer Einkaufsreise mehrere Kanäle nutzen.
Denen diese Kanalvielfalt nicht zu bieten, hieße, die Brücken zum Kunden abzubrechen. Auch wenn es, die Studie scheint da dem Conrad-Manager Recht zu geben, teure Brücken sind. Denn die Mehrkanal-Kunden geben zwar mehr Geld aus - irre viel mehr ist das aber auch nicht: “They spent an average of 4% more on every shopping occasion in the store and 10% more online than single-channel customers. Even more compelling, with every additional channel they used, the shoppers spent more money in the store. For example, customers who used 4+ channels spent 9% more in the store, on average, when compared to those who used just one channel.”
Nur: Mangels ausreichender oder falsch verteilter Ressourcen klappt es nirgends oder zumindest selten so richtig mit der Rundumversorgung.
Laut einer aktuellen US-Studie von iVend Retail findet nicht einmal jeder dritte Kunde, dass der Omnichannel-Service im Handel glatt verläuft. Eine Zahl, die sich ohne langes Nachdenken auf den deutschen Markt übertragen lässt.
Eine Ursache dafür mag in einem übertriebenen Innovations-Wahn liegen. Da werden selbst bei deutschen Vorzeige-Akteuren fancy Features installiert oder für schicke PR heiße Trends umgesetzt, die dann vielleicht zu Lasten der Konsolidierung gehen.
Wie traurig und vergessen steht er beispielsweise da, der digitale Spiegel für die Anprobe von Damenschuhen im Düsseldorfer Haus von Breuninger. Der "Shoe Mirror" wirkt auf dem Bild so perfekt inszeniert wie eine vergessene Oster-Deko im Hochsommer.
Oder der Roboter „Paul“ im Saturn-Laden, der den Kunden als Assistent durch das Geschäft begleiten kann, in dessen Nähe man sich womöglich aber eher wie in Begleitung von „Marvin“ fühlen könnte – dem depressiven Roboter aus „Per Anhalter durch die Galaxis“.

Der Laden als Vergnügungspark
Natürlich ist es richtig, das Einkaufserlebnis mithilfe von Technologien zu verbessern und bequemer zu gestalten und gerade dem mobilen Kunden zusätzliche Anknüpfungspunkte zu bieten.
Es ist aber zu kurz gedacht, daraus nur eine erlebnisorientierte Produktinszenierung und Serviceangebote zu kreieren. Auch wenn die Technik dazu inzwischen fulminante Möglichkeiten bietet, die über rein technische Gimmicks hinausgehen.
Man denke nur an den US-Möbelanbieter Lowe's, der inzwischen in rund 20 Läden eine Art Holodeck, wie man es aus „Raumschiff Enterprise“ kennt, aufbietet, in dem sich Kunden per Virtual Reality-Brille ihre Renovierungspläne ansehen können. Mehr Markenerlebnis bietet auch die Outdoor-Marke North Face in einigen ihrer Läden, stellt dort VR-Headsets bereit, mit denen man Menschen in der Markenbekleidung durch die Wildnis klettern sehen kann.
Lowe Hololens
Doug Stephens, selbst ernannter Retail Prophet und US-Buchautor sieht da in dem Buch “Reengineering Retail: The Future of Selling in a Post-Digital World” schon eine Welt heraufdämmern, in denen die Läden der Zukunft mehr einer Mischung aus Vergnügungspark und Website als Einkaufsstätten gleichen.
Das mag einen wahren Kern haben, bleibt aber auch bei der üblichen Mischung aus Einkaufserfahrung und Kundenzufriedenheit stehen, der dann eben mit weiteren digitalen Lösungen auf die Sprünge geholfen wird.
Es fehlt nämlich immer noch etwas.
Wer Umsatz und Loyalität seiner Kunden über alle Kanäle hinweg halten oder gar steigern will, der muss sich vielmehr über die Gefühle seiner Kunden Gedanken machen.
Ziel müsse es sein, seine Kunden auf einer emotionalen Ebene anzusprechen und ihre fundamentalen Bedürfnisse und oftmals unausgesprochenen Bedürfnisse zu erfüllen. Das sagt eine immer noch viel zu selten beachtete Studie in der Harvard Business Review. Das schwierige an dieses emotionalen Bedürfnissen: Sie sind oftmals nicht anhand von Kundenumfragen oder den Daten, die sich aus der Customer Journey ergeben, erkennbar.
In der Studie liest sich das dann so:
„In our work with a major apparel retailer we found that among customers’ key emotional motivators were their desire to feel a sense of belonging, be thrilled by the shopping experience, and have a sense of freedom and independence. The retailer executed marketing programs designed specifically to address these motivators at the “choose store” and “make a purchase” stages of the customer journey – for example, by using relatable models within their advertising imagery and providing personalized alerts on new items, aspects of the experience that drove emotional connection even though customers said these weren’t important.
By implementing an emotional-connection-based strategy across the entire customer experience — including how it communicates with customers and attracts prospects – this retailer has increased its percentage of emotionally connected customers from 21% to 26%, reduced its customer attrition rate from 37% to 33%, and increased customer advocacy from 24% to 30%, resulting in a 15% increase in the number of active customers and more than a 50% increase in the rate of same-store-sales growth.”
Das kann gerade auch für den Omnichannel lehrreich sein. Es geht eben nicht nur um den Umsatz im jeweiligen Kanal. Es geht nicht nur um das Sortiment, Service-Exzellenz und Markenerlebnisse. Es geht in erster Linie immer um die Frage, wie man den Kunden kanalspezifisch emotional anspricht und ihm das Gefühl vermittelt „Dieser Händler hat mich hier und jetzt verstanden.“