Den Stresstest für Stuttgart 21 hat die Bahn bestanden, damit rückt der Bau des Tiefbahnhofs näher. Auf jeden Fall wird auf dem Areal ein Einkaufszentrum entstehen - City-Händler fürchten enorme Verluste.

Christoph Achenbach wirkt nicht wie ein "Wutbürger". Aus Rücksicht auf die unterschiedlichen Meinungen seiner Kunden mag er auch nicht verraten, ob er Gegner oder Befürworter von Stuttgart 21 ist. Immerhin sagt der Geschäftsführer der Stuttgarter Lederwarenhandlung Acker stolz, dass die Stadt heute für ein "anderes Demokratieverständnis“ steht.

Ob der Protest der Menschen gegen den geplanten Tiefbahnhof Stuttgart 21 etwas geholfen hat, ist freilich fraglich. Denn der sogenannte Stresstest der Bahn hat ergeben, dass der Bahnhof leistungsfähiger sein soll, als die Gegner denken. Die Zeichen für den Bau des Bahnhofs stehen also auf Grün.

Auf jeden Fall gebaut wird das Einkaufszentrum am Mailänder Platz im Europaviertel, das zum Areal von Stuttgart 21 gehört. Auf der bisherigen Brache soll eine "Öko-City“ entstehen mit Null-Energie-Häusern und Parks. Das Projekt ist ein Joint Venture der Hamburger ECE und der Strabag Real Estate.

Ursprünglich hätte das Center "Galeria Ventuno" heißen und 47.500 Quadratmeter Verkaufsfläche haben sollen. Mittlerweile wird ein neuer Name gesucht, die Fläche fällt kleiner aus, ist aber mit geplanten 43.500 Quadratmetern immer noch stattlich.

Prädikat unverträglich

Händler wie Achenbach haben viele Gründe, gegen das Center zu sein. "Es wird auf jeden Fall Kaufkraft abziehen", sagt er, "allerdings mehr aus dem Umland als aus der Innenstadt.“ Sein Traditionsgeschäft findet sich auf der Königstraße, und ob Stuttgarts Einkaufsmeile unter der neuen Konkurrenz leiden wird, will Achenbach noch nicht vorhersagen. "Es kommt darauf an, welche Läden sich dort ansiedeln."

Eine Prognos-Studie aus dem Jahr 2009 ist deutlicher: Das Center sei für den Einzelhandel der Innenstadt unverträglich. Das Forschungsinstitut veranschlagt für den Einkaufs­tempel rund 226 Millionen Euro Jahresumsatz (damals ging man noch von 47.500 Quadratmetern Fläche aus). Ergo: Kaufkraft wird anderswo abgezogen.

Der Stuttgarter Handel werde gar 49 Prozent ­seines Jahresumsatzes von 111 Millionen Euro verlieren. Geschäfte ­außerhalb der 1a-Lage "werden signifikante Umsatzsatzrückgänge verzeichnen", warnt Prognos-Projektleiter Tobias Koch.

Gut 1,5 Kilometer beträgt der Weg von der Königstraße bis zum Center, und Sabine Hagmann sagt vorher, "dass das zu weit ist, damit es einen Kundenaustausch geben kann". Die Hauptgeschäftsführerin des Einzelhandelsverbandes Baden-Württemberg glaubt, dass sich die Konsumenten deswegen künftig entweder für die City oder für das Center entscheiden werden.

Flächenwachstum im Ländle: "Das ist der Hammer"

Das Problem von Stuttgart ist aber nicht nur der Mailänder Platz. Inklusive Vororte gibt es hier 900.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, bis zum Jahr 2015 sollen noch einmal 110.000 Quadratmeter hinzukommen (Mailänder Platz eingerechnet).

Das neue Center "Das Gerber" etwa, am anderen Ende der König­straße, soll 24.500 Quadratmeter Fläche haben. Der schwäbische Textilhändler Breuninger will seinen Standort in der Innenstadt um 9.000 Quadratmeter erweitern. In ganz Baden-Württemberg ist für die nächsten Jahre rund eine Million Quadratmeter neue Einzelhandelsfläche in Planung, sagt Geschäftsführerin Hagmann. "Das ist der Hammer."

Der Grund für diesen Flächenzuwachs ist klar: Stuttgart hat eine hohe Kaufkraft (siehe Kasten). Trotzdem hätte Sabine Hagmann manches Projekt lieber etwas kleiner gestaltet. Für das Center am Mailänder Platz hält sie beispielsweise 20.000 Quadratmeter für ausreichend, damit einerseits die neue "Öko-City" gut versorgt werden kann, andererseits der innerstädtische Handel nicht leidet.

Daraus wird nichts, stattdessen wird das über doppelt so große Gebäude "für die Innenstadt wie eine Firewall wirken", sagt Nicole Porsch, deren Weinhandlung Bronner im neuen Europaviertel liegt.

Sie beklagt auch, dass es für das Areal um den Mailänder Platz kein Verkehrskonzept gäbe, weswegen sie dauerhaft überlastete Straßen im neuen Quartiert befürchtet. Dass vielleicht auch mehr Laufkundschaft in ihr Geschäft kommen könnte, hält ­Nicole Porsch für abwegig: "Weintrinker sind keine Impulskäufer."

Der Fehler der Stadt

Für die Händler ist aber nicht die ECE der neue "Feind". Vielmehr habe die Stadt Stuttgart den Fehler gemacht, auf dem Mailänder Platz eine so große Handelsfläche auszuweisen. Grundsätzlich findet Sabine Hagmann die geplante "Öko-City" eine "tolle Chance für Stuttgart".

Damit der Stuttgarter Handel gegenüber dem neuen Center bestehen kann, gibt die Funktionärin den Unternehmern seit Wochen immer dieselben Ratschläge: Standorte aufwerten, Personal qualifizieren. Lederwarenhändler Achenbach hat sein Geschäft bereits im großen Stil umgebaut. Auch seine 15 Mitarbeiter will er noch mehr schulen.

Weinhändlerin Porsch hingegen hat die Laufzeit des Mietvertrags für ihr Geschäft verkürzt, um zur Not den Standort zu wechseln.