Jeder zweite stationäre Händler verkauft heute im Internet, gleichzeitig eröffnen native Onliner Ladengeschäfte. Omnichannel, die Verknüpfung von Online und Offline, gilt als Modell der Zukunft. Denn Kunden interessiert immer weniger, wo sie einkaufen, sondern dass Produkt, Preis und Service stimmen. Für Händler bedeutet dies: Sie müssen die IT-Systeme der Online- und Offline-Welt intelligent verzahnen.

Omnichannel steht nicht für einen kurzlebigen Trend, sondern vielmehr für einen völlig neuen Denkansatz im Handel: Er ist die notwendige Antwort der Händler auf die Fragmentierung der Touchpoints. Sind die Kunden auf immer mehr unterschiedlichen Kanälen unterwegs, um nach Produkten oder Services Ausschau zu halten, dann müssen Händler ihnen dorthin folgen.

Im Gegensatz zum „Multichannel“-Ansatz, der unterschiedliche Vertriebskanäle eher als Parallelwelten sah, geht es beim Omnichannel darum, für fließende Übergänge zwischen den Welten zu sorgen – und letztlich die Trennung zwischen stationärem Geschäft und Online-Universum sukzessive aufzuheben.
Fließende Übergänge: Beim Omnichannel-Handel wird die Trennung zwischen stationärem und Onlinegeschäft sukzessive aufgehoben.
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Fließende Übergänge: Beim Omnichannel-Handel wird die Trennung zwischen stationärem und Onlinegeschäft sukzessive aufgehoben.
Das EHI Retail Institute hat in seiner jüngsten „Connected Retail“-Studie 2021 unter den 1.000 größten Onlineshops 332 Omnichannel-Shops identifiziert. Von diesen bieten 88% Click&Collect an, dicht gefolgt vom In-Store-Return, der Rückgabe online gekaufter Ware im Laden (78%).

Omnichannel eröffnet ungeahnte Möglichkeiten

Doch sind dies nur die prominentesten Ausprägungen der Omnichannel-Idee. Möglichkeiten gibt es ungleich mehr. Ein Beispiel: Seit Kurzem gewährt der Schweizer Meier-Tobler-Konzern – Großhändler und Systemanbieter für Gebäudetechnik – seinen Onlineshop-Kunden rund um die Uhr Zutritt zu den Ladengeschäften.

Über die Shop-App erhalten zum Beispiel Handwerker, die nach Ladenschluss noch dringend Material brauchen, QR-Code und Tür-PIN für den Zugang, scannen die Waren selbst, während im Hintergrund die Fakturierung im ERP läuft.

Für diese Innovation wurde das Unternehmen jüngst beim Schweizer Digital Commerce Award in der Kategorie Omnichannel ausgezeichnet. Nach ähnlichem Muster arbeiten auch die mittlerweile 25 Würth24-Stores des bekannten Schraubenhändlers in Deutschland.
Für Kunden zunehmend eine Selbstverständlichkeit, für Händler eine Herausforderung: Beim Omnichannel-Handel bereiten vor allem die nahtlose Anbindung der Kanäle und der Austausch von Kunden-, Produkt- und Bestandsdaten Schwierigkeiten.
© EHI
Für Kunden zunehmend eine Selbstverständlichkeit, für Händler eine Herausforderung: Beim Omnichannel-Handel bereiten vor allem die nahtlose Anbindung der Kanäle und der Austausch von Kunden-, Produkt- und Bestandsdaten Schwierigkeiten.

Onlineshop wird zur Grundlage der stationären Beratung

Manch ein Händler macht aber auch den gut gepflegten Onlineshop zur Basis seiner Beratung im Laden. So können etwa Verkäufer mit Tablets Kunden vor Ort umfassend betreuen. Sie haben nicht nur Bilder und technische Details parat, sondern sehen gleich auch mögliche Varianten, Lagerbestände oder Lieferzeiten. Technisch möglich ist es sogar, den Kunden im Laden zu erkennen und in Echtzeit auf seine Historie zuzugreifen.

Unterdessen entsteht beim Versand zunehmend Druck auf die Lieferzeiten. Befeuert durch große Player wie Amazon verschieben sich die Kundenerwartungen in Richtung Next Day oder gar Same Day Delivery. Auch hier können Händler durch innovative Verknüpfungen punkten, etwa Online-Payment und schnelle Lieferung aus dem Ladengeschäft (Ship from Store).

Nicht zuletzt gehören zum Omnichannel auch Marktplätze. Der jüngsten Marktstudie 2021 von EHI und Statista zufolge haben 45% der 1.000 größten Onlineshops in Deutschland ein Profil auf Amazon, 36% auf Ebay und immerhin gut 14% auf Kaufland.de. Der einst stationäre Händler hat sich selbst erfolgreich zum Marktplatz entwickelt. Marktplätze erschließen nicht nur neue Kundengruppen, sie bieten auch einen schlanken Einstieg in den internationalen Vertrieb.

Klein anfangen, aber nicht klein denken

Wie eine Omnichannel-Strategie letztlich ausgestaltet und mit Leben gefüllt wird, kann je nach individuellen Voraussetzungen sehr unterschiedlich sein. In jedem Fall aber beginnt die Reise in den E-Commerce stets im Kopf – mit der Entwicklung eines „Digital Mindsets“ im Unternehmen.

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Gefragt ist hier die Kreativität des Händlers, für seinen Markt, sein Sortiment und seine Zielgruppen die passende Strategie zu finden. Welche Kanäle sollen wie bespielt werden, etwa Apps, Marktplätze oder Social Media, und wie können Website, Blogs, Kundenservice, Logistik oder Marketing sinnvoll verzahnt werden?

Auch wer hier klein anfängt, sollte nicht unbedingt klein denken. Sondern vielmehr den gesamten Weg im Blick haben, etwa über das bisherige lokale Umfeld oder die bisherigen Kundengruppen hinaus.

Händler sehen Technik als größte Herausforderung

Unterdessen gestaltet sich das, was für Kunden zunehmend zur Selbstverständlichkeit wird, nämlich auf ihrer Customer Journey zwischen den Kanälen hin und her zu springen und das Ganze im Idealfall als homogenes Erlebnis wahrzunehmen, für Händler zur echten Herausforderung.

In der Connected-Retail-Befragung des EHI wurde klar, dass die Mehrheit der Händler (75%) in der eigenen IT-Landschaft die größte Herausforderung sieht – genauer in der nahtlosen Anbindung der Kanäle und dem Austausch von Kunden-, Produkt- und Bestandsdaten.

Ein ähnliches Bild zeichnet die jüngste Studie des Beratungshauses Lünendonk zu Digital Experience Services. Demnach legen 83% der deutschen Unternehmen ihren Investitionsschwerpunkt 2022 auf den Auf- und Ausbau digitaler Marketing-, Kommunikations- und Vertriebskanäle.

Omnichannel-Kunden sind wertvoller

Drei Viertel sehen die Fragmentierung der Kunden-Touchpoints und die dadurch notwendigen Omnichannel-Strategien als „herausfordernd“ an. Lediglich 22% sehen sich bei der Verknüpfung aller Kundeninteraktionspunkte hin zu einer 360-Grad-Gesamtsicht bereits gut aufgestellt.

Doch der Weg dorthin dürfte sich lohnen: Bereits vor fünf Jahren hat eine Studie der Harvard Business Review gezeigt, dass Omnichannel-Kunden, die mehrere Touchpoints zum Unternehmen nutzen, im Schnitt mehr ausgeben und treuer sind.

Für Claudio Endres vom SAP-Partner FIS, der als Produktmanager stets den aktuellen Markt im Blick hat, ist es keine Frage: „Unternehmen, denen eine nahtlose Integration ihres Online- und Offline-Vertriebs gelingt, gehört die Zukunft.“

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