Alexa, Cortana, Siri und Googles Assistant könnten die nächste große Umwälzung im Onlinehandel bringen. Die Großen der Techbranche, allen voran Amazon und Google, bringen sich in Stellung und rüsten ihre digitalen Assistenten für den Voice Commerce auf.
Zwar werden wohl die wenigsten eine Waschmaschine ohne weitere Informationen auf diese Weise kaufen - aber die Möglichkeit ist geschaffen. Für viele klingt der Kauf von Produkten und Dienstleistungen über Sprachassistenten wie Google Assistant, Amazons Alexa oder Apples Siri heute noch nach Zukunftsmusik. Doch wer sich zum Beispiel die Anfänge der Berührbildschirme ins Gedächtnis ruft - gerade einmal elf Jahre ist es her, dass das iPhone seinen Siegeszug antrat - dem wird klar, wie schnell die Zukunft Realität werden kann.

Sprache ist die neue Schnittstelle
Immerhin 36 Prozent der Deutschen nutzen digitale Assistenten heute schon im Alltag. Und: Immer bessere Spracherkennung hält in immer mehr Geräte Einzug. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die Spracherkennung soweit ausgereift ist, dass sie alle bisherigen Eingabeinstrumente als Interaktionsmittel mit der Computertechnologie ablöst. Schließlich ist Sprache das natürliche menschliche Kommunikationsmittel."Die menschliche Sprache ist das neue Interface" - das Zitat von Microsoft-CEO Satya Nadella kurz nach seinem Amtsantritt 2014 ist heute Konsens unter den Schwergewichten der Techbranche. Alle sind sich einig: Sprachsteuerung in Verbindung mit intelligenten persönlichen Assistenten ist das nächste große Ding. Entsprechend investieren Google, Microsoft, Amazon und Apple in die Technik und ihre Vermarktung.
Laut Google erfolgen heute schon mehr als 20 Prozent aller Suchanfragen sprachbasiert. Marktorientierte Weiterentwicklungen von Shopping Skills sind da nur der nächste logische Schritt.
Jetzt zeigt Alexa ihr wahres Gesicht
Zwar werden Sprachassisten hierzulande heute noch vorwiegend genutzt, um Informationen einzuholen, doch machen wir uns nichts vor: Amazon hat Alexa weder geschaffen, um den Wetterbericht vorzulesen noch um das Licht im Schlafzimmer einzuschalten. Alexa soll verkaufen. Deshalb und aus keinem anderen Grund existiert der Echo. Konnte die digitale Assistentin zunächst nur per Sprachbefehl Produkte zu einer Einkaufsliste hinzufügen, so nimmt sie heute bereits auf Zuruf Bestellungen auf der Amazon-Plattform entgegen.Amazon hat mit dem Echo den Markt der smarten Lautsprecher mit drei Jahren Vorsprung besetzt und kommt in den USA auf einen Marktanteil von rund 70 Prozent, Google ist aber mit 23 Prozent dicht auf den Fersen und Apple hat zwar erst im Februar mit der Auslieferung begonnen, aber bekanntermaßen eine besonders treue Kundschaft. Inzwischen arbeiten neben den großen amerikanischen Techfirmen auch Sonos, Baidu, Samsung und Alibaba an Geräten zur Sprachsteuerung.

Google und Walmart gegen Amazon und Microsoft
Beim Voice Commerce hat nun also Google zur Aufholjagd auf Amazon geblasen - eine Herausforderung, schließlich hat Amazon hier klaren Heimvorteil. Denn der Onlineriese ist inzwischen zwar auch ein Techunternehmen, u.a. mit einer Cloudplattform, die als die beste in der Branche gilt), vor allem aber ist Amazon ein Händler mit einer riesigen Warenplattform. Die muss Google erst einmal aufbauen. Und daran arbeitet das Unternehmen derzeit mit Hochdruck. Im Heimatmarkt USA verfügt der Google Assistant seit Februar 2017 über eine Shopping-Funktion, und schon im Spätsommer wurden Partnerschaften mit den Spitzen des US-Einzelhandels verkündet: Walmart, Target, Costco und Home Depot verknüpfen ihr Warenangebot über den Google Assistant mit dem Lieferprogramm "Google Express". In England kooperiert Google unter anderem mit Tesco."Cortana, öffne Alexa..."
Wenige Tage nachdem Google und Walmart in den USA ihre Partnerschaft publik machten, folgte schon der nächste Paukenschlag in Sachen Voice Commerce. Nicht wenige Marktbeobachter rieben sich die Augen, als Amazon und Microsoft ankündigten, ihre digitalen Assistenten zu verknüpfen, sodass Microsofts Cortana, bislang ohne wettbewerbsfähige Funktionen für E-Commerce, dafür aber mit immerhin 145 Millionen Nutzern, nun auch auf der Amazon-Plattform einkaufen kann.Auch in Deutschland will Google nun im Voice Commerce durchstarten. Seit Oktober 2017 können Unternehmen über "Actions on Google" - Googles Antwort auf Alexas "Skills" - ihre Inhalte wie Wetterinformationen oder das TV-Programm über den Google Assistant anbieten. Hier entwickelte Zalando mit seinem Geschenkefinder eine der ersten sogenannten "Actions on Google", vergleichbar mit Alexas Skills. Auf Rewe.de hilft Assistentin "Caro" über Google Kunden bei der Rezeptsuche.
Vom Auskunftsportal zum Einkaufshelfer
Seit wenigen Wochen nun können Nutzer mit "Transactions on Google" auch Erledigungen wie Einkäufe, Bestellungen oder Reservierungen per Sprachsteuerung durchführen. So als Einkaufshelfer eingesetzt, wird Googles Assistant für Unternehmen zu einem interessanten Vertriebs- und Marketingkanal. Ende März 2018 stellte Google die ersten Partnerunternehmen - neben Media-Markt foodora, Bringmeister/Edeka, Otto, Flixbus und Car2Go vor.
Dass die Ende März verkündeten Partnerschaften für Google hierzulande erst der Anfang sind, steht außer Zweifel. Laut Google ist der Assistant weltweit auf mehr als 100 Millionen Geräten verfügbar, vor allem in Smartphones wie Google Pixel 2 und den Smartspeakern der Google-Home-Reihe, aber beispielsweise auch im Messenger-Dienst Google Allo und dem Wear-OS-Betriebssystem für Smartwatches.
Es wird also spannend zu beobachten, wie sich der Voice-Commerce-Markt entwickeln wird, wenn erst Apple mit dem HomePod dazustößt. In den USA wird Apples smarter Lautsprecher seit Februar 2018 ausgeliefert.
Händler müssen Voice-Stategien entwickeln
Während die großen Techunternehmen ihre Sprachassistenten in den Markt drücken, müssen Einzelhändler Strategien entwickeln, um sich künftig ihren Anteil am Voice-Commerce-Kuchen zu sichern. Vorreiter sind hierzulande MediaMarkt, Zalando oder Otto, die Tools zur Sprachsteuerung in ihre Onlineshops integriert haben und den Kunden bereits den Service sprachbasierter Anwendungen bieten. Dabei wird es in naher Zukunft nicht nur um den reinen Einkauf gehen. So hat Douglas über Amazons Alexa eine Online-Duftberatung integriert.
Marktforscher rechnen damit, dass bereits in drei Jahren 13 Prozent aller US-Konsumausgaben über Alexa, Siri oder den Google Assistant erfolgen werden. Einer Studie des Beratungsunternehmens OC&C Strategy zufolge werden Voice-Commerce-Umsätze in den USA in den nächsten vier Jahren von 2 auf 40 Milliarden Dollar steigen. Die Analysten werteten im Dezember 2017 Daten von 1.500 Besitzern smarter Lautsprecher aus und prognostizieren: Im Jahr 2022 werden 55 Prozent der US-Haushalte einen Smartspeaker besitzen. Heute nutzen bereits 10 Prozent Amazons Echo, Google liegt bei 4 Prozent und Microsofts Cortana bei 2 Prozent.
Und die Unternehmen forcieren den Verkauf per Sprachbefehl ganz gezielt. Amazon bot bereits am Prime Day 2016 eine Reihe besonders günstiger Schnäppchen exklusiv für diejenigen Kunden an, die über Alexa bestellten - mit dem Ergebnis, dass am Prime Day Sprachbestellungen im Sekundentakt eingingen.
Digitale Assistenten schaffen Intimität mit dem Kunden
Digitale Assistenten sind für Unternehmen auch deshalb interessant, weil sie eine fast intime Kundenbeziehung ermöglichen. Alexa, Siri und Co. sollen zu alltäglichen Begleitern zu Hause und unterwegs werden - immer mehr Autohersteller integrieren diese in ihre Bordcomputer. So können Nutzer auf der Autobahn nach Kalendercheck und dem Abrufen von Stauinfos auch schon einmal den Wochenendeinkauf per Sprachbefehl auf den Weg bringen. Der neue Begriff "Conversational Commerce" beschreibt sehr schön diese Vermischung von Auskunfts- und Einkaufsfunktionen im Plaudermodus.Soweit die rosarote Vision des Einkaufs per Sprachbefehl. Allerdings sind beim Thema Voice Commerce auch noch viele Fragen offen und einige Hürden zu überwinden.

Noch viele Hürden zu überwinden
Eine ist die Frage nach der Sicherheit beim Bezahlprozess. Schließlich greifen die digitalen Sprachassistenten über die Kundenkonten auf die dort hinterlegten Bankdaten zurück, ohne dass sich der Kunde bei der Sprachbestellung irgendwie eingeloggt hat. Allein dies dürfte viele Kunden derzeit noch abschrecken. Vorstellbar wären Authentifizierungen per PIN auf Handy oder Computer, die aber den Charme eines Einkaufs per Zuruf auch wieder ein Stück weit zerstören würden.Das Hauptproblem beim Voice Commerce aber ist, dass digitale Assistenten, anders als der Browser, jeweils nur einen Treffer für die Kundenanfrage liefern können. Bei eindeutig identifizierbaren Produkten wie Pfefferminz-Zahncreme einer bestimmten Marke, Buch- oder Filmtiteln stellt dies kein Problem dar. Bei der Mehrheit der Produkte gibt es aber Dutzende von Varianten und Herstellern. Hier ist die visuelle Darstellung der sprachlichen weit überlegen - alle Produktbeschreibungen vorzulesen ist nicht praktibel.
Amazon versucht, dieses Problem mit dem Choice-Label zu lösen, das für Alexa eine Vorauswahl anhand der von Nutzern verwendeten Suchbegriffe trifft. Bestellt ein Nutzer per Sprachbefehl eine Produktgattung zum ersten Mal, greift Alexa statt auf die Bestellhistorie auf das "Choice"-Produkt zurück und schlägt dieses vor. Viel Vertrauen seitens der Kunden ist aber darin nötig, dass Amazon oder Google auf diese Weise nicht zu "Gatekeepern" werden.
Die Alternative zum Smart-Lausprecher Echo, der "Echo Show" mit Bildschirm, erscheint als Lösung des Dilemmas ebenfalls wenig charmant. Denn wer sich erst vor seinen Echo stellen muss, um Produktinformationen abzulesen, kann auch gleich den Onlineshop am Desktop besuchen.
Fehlender Preisvergleich schränkt den Voice Commerce ein
Nicht umsonst sind derzeit noch viele Produktgruppen vom Voice Commerce ausgeschlossen. Für Gegenstände, die stark dem persönlichen Geschmack unterliegen wie Bekleidung, Schuhe, Uhren, Schmuck, wird dies sicher auf absehbare Zeit so bleiben.Neben dem Problem der Auswahl bleibt eine weitere Hürde: Beim Einkauf per Sprachbefehl sind Preise nicht vergleichbar. Die Erkenntnis der Berater von OC&C, dass Kunden über Sprachbefehl eher preisgünstige Artikel wie zum Beispiel Ladekabel bestellen, verwundert deshalb nicht. Dass Anschaffungen wie Waschmaschinen für mehrere hundert Euro künftig in großem Stil auf diese Weise getätigt werden, darf bezweifelt werden.
Wirklich spannend wird der Voice Commerce wohl erst, wenn der Einkauf über einen Anbieter hinaus mit der Möglichkeit von Preisvergleichen à la idealo.de möglich ist. Erst dann hätten Nutzer einen konkreten Mehrwert gegenüber dem althergebrachten Bestellprozess in den Onlineshops einzelner Anbieter.
Echte Einkaufshelfer wären Alexa & Co. also erst, wenn sie Antworten auf Fragen nach dem Motto geben: "Sage mir, wer heute die Waschmaschine xy am günstigsten anbietet und bestelle sie dann bei diesem Anbieter."