T-Systems-Geschäftsführer Patrick Molck-Ude über Hightech in den Läden, neue Herausforderungen für stationäre Händler und zeitgemäße Kundenansprache.
Herr Molck-Ude, haben stationäre Geschäfte noch eine Chance gegenüber dem Onlinehandel oder ist der Zug abgefahren?
Eher im Gegenteil, der stationäre Handel hat eine hohe Bedeutung, auch wenn Analysten sagen, dass 2020 jeder vierte Euro online ausgegeben wird. Zum Teil fühlt sich das heute schon so an, als wäre es mehr. Aber wenn man sein eigenes Kaufverhalten anschaut, sieht man, dass noch sehr viel stationär eingekauft wird. Im stationären Handel, am besten mit Online-Elementen und einer Omnichannel-Strategie, finden Kunden das ideale Einkaufserlebnis. Viele Dinge schaue ich mir gerne persönlich an, beispielsweise bei Lebensmitteln. Wenn man den Laden seines Vertrauens um die Ecke hat, wird man dort besser beraten als online. Manche Dinge lasse ich mir dann lieber liefern oder hole sie nur kurz in der Filiale ab.
Wer schlägt sich bei der Digitalisierung besser, große oder kleine Händler?
Es ist eigentlich egal, ob ein Unternehmen fünf Filialen hat oder Hunderte. Am Ende geht es ja nicht darum, dass ich eine Idee habe und diese morgen sofort überall umsetze. Digitalisierung fängt häufig im Kleinen an. Ich persönlich mag kleine Geschäfte um die Ecke. Aber die Kombination macht es aus. Online hat auch seine Grenzen. Deutschland kommt aus dem stationären Handel und muss die Digitalisierung erst noch besser verstehen, die Chancen darin sehen, Projekte pilotieren und diese dann am Ende auch ausrollen.
Welche Voraussetzungen sind dazu nötig?
Digitalisierung fängt idealerweise mit der Vernetzung an. Sie brauchen in Ihrer Filiale zunächst einmal die erforderliche Bandbreite mit einem entsprechenden Router. Dann können Sie anfangen zu pilotieren, um bei den unterschiedlichsten Themen weiterzumachen, ob mit der Beacon-Technologie oder anderen Digitalisierungsthemen. Schließlich muss man testen, erst in einer Filiale, und wenn es funktioniert, in weiteren. Wenn es nicht funktioniert, lassen Sie es sein und nehmen sich ein anderes Thema vor.
„Keiner startet gleich von null auf hundert. Man testet erst einmal aus.“
Also raten Sie trotz des hohen Tempos der Digitalisierung zur Langsamkeit?
Nicht unbedingt zur Langsamkeit. Doch egal mit wem wir reden, keiner startet gleich von null auf hundert. Man testet erst einmal aus, in verschiedenen Zielmärkten, in verschiedenen Regionen.
Womit beginnen Sie zuerst, wenn Sie mit einem Kunden über Digitalisierung sprechen?
Bei vielen fangen wir mit Design-Thinking an und überlegen zunächst, wie das aussehen soll. Zum Beispiel: Rewe und Edeka sind einfach unterschiedlich. Also müssen wir uns in die Philosophie des Unternehmens hineindenken, in die Kultur, deren Denken und wo sie strategisch stehen wollen. Dann können wir die Händler entsprechend beraten und begleiten.
Stichwort Infrastruktur: Gibt es bei der Bandbreite noch weiße Flecken in Deutschland?
Eigentlich nicht, 50 Megabit sind der Standard, damit können Sie jeden Markt gut versorgen.

Wie weit sind die deutschen Händler, mit denen Sie sprechen, bei der Digitalisierung?
Es gibt keinen, der sich nicht intensiv damit auseinandersetzt und Pilotprojekte ausprobiert. Es gibt aber auch noch keinen, der schon etwas flächendeckend ausgerollt hat.
Haben Sie konkrete Beispiele für Pilotprojekte von Händlern?
Ein selbstständiger Edeka-Händler auf dem flachen Land hat sich an uns gewandt und ein komplettes Konzept entwickelt. Angefangen haben wir mit der Breitbandanbindung, dann folgte die WLAN-Versorgung und die Beacon-Technologie, sodass er den Verkehrsfluss in der Filiale nun genau monitoren kann und weiß, wo man am besten welche Ware platziert. Eines der großen Themen war auch die Frage, wer wann anliefert. Dafür haben wir ein codegestütztes Tor mit Kameraüberwachung eingerichtet, sodass der Fahrer auch nachts um zwei Uhr kommen kann.
Wer macht dem Fahrer das Tor auf?
Niemand, er bekommt einen Schlüssel, kann den Code eingeben und liefert seine Ware an. Dafür muss keiner vor Ort sein. Das ist eine hohe Flexibilisierung für jede einzelne Filiale, von der die gesamte Kette profitiert. Bei Rewe haben wir uns wiederum mit Salesforce beschäftigt, also der Frage, wie man die Daten auswertet, wie man One-to-one-Marketing macht. Dafür gibt es die unterschiedlichsten Beispiele.
Gibt es bei der Digitalisierung Unterschiede zwischen einzelnen Branchen?
Ich sehe wenige Unterschiede. Ob Lebensmittel, Mode oder Baumarktartikel: Die Herausforderungen sind erst einmal ähnlich. In der Textilbranche sieht man viel im Bereich Labeling, also wie man eine Ware sichert und weiß, wie gut einzelne Artikel laufen und sie nachordert. Aber es gibt keine Branche, die besonders weit ist, nur einzelne Unternehmen.
Gibt es Geschäftsmodelle, denen Sie einen Durchbruch zutrauen, etwa Amazon Fresh?
Die Zeit ist so schnelllebig und die Lebensmittelbranche so agil, dass ich mich schwertue, eine Prognose abzugeben. Einerseits hat Amazon die Macht, einen Markt aufzurollen. Andererseits ist der deutsche Markt bei Lebensmitteln nicht so einfach. Das haben Unternehmen wie Walmart gemerkt.
Helfen Sie deutschen Händlern, gegen die Übermacht von Amazon anzukommen?
Im ersten Halbjahr 2018 bringen wir den Smart Voice Hub auf den Markt. Dieser smarte Lautsprecher mit einem selbst entwickelten digitalen Assistenten könnte eine geeignete Plattform für den Handel sein, damit Kunden nicht automatisch bei Amazon, sondern zum Beispiel bei Rewe oder Edeka bestellen. Natürlich sind wir hier mit unseren Kunden in Gesprächen für interessante Usecases im Handel. Über deutsche Rechenzentren schreiben wir zudem das Thema Sicherheit groß, der Voice Hub im Wohnzimmer hört ja alles mit. Schließlich geht es um die berechtigte Frage, wo meine Daten hingehen, wie sie gefiltert werden, welche künstliche Intelligenz dahinter steht und wem ich vertraue.

Wie weit ist das Projekt?
Was den Handel betrifft, so entwickelt die Telekom gerade mit ein paar Pilotkunden spezielle Anwendungen auf der Plattform. Wir arbeiten hier jedoch nicht gegen Amazon oder andere. Vielmehr wollen wir auf dieser Plattform alle integrieren. Man kann ja keine Technologien oder Märkte ausschließen. Aber die Plattform könnte Händlern das Rüstzeug an die Hand geben, wie sie die Digitalisierung für ihr Unternehmen nutzen können.
Wie sieht ein Einkauf in der Zukunft aus?
Die technische Entwicklung verläuft so schnell, dass eine seriöse Prognose schwierig ist. Aber das große Thema lautet Vernetzung. Ein Händler muss den Kunden mit der Technologie und den Daten zusammenbringen. Für den Konsumenten sind Convenience und Service wichtig. Wenn beispielsweise ein Top-Kunde in einen Supermarkt geht, gibt es vielleicht in Zukunft für ihn überdachte Parkplätze direkt am Gebäude, die entsprechend geblockt sind. Dann kommt er herein und hat seinen Beacon am Einkaufswagen, der ihn durch den Markt führt. Oder er hat eine App, die ihn durch den Laden navigiert. Auch die Online-Offline-Verzahnung wird besser.
Haben Sie ein „machbares“ Beispiel?
Wir haben für Messen das IoT-Regal entwickelt, kurz für Internet of Things. Da haben wir ein Szenario, dass sich der Kunde dem Regal nähert und ihm ein digitaler Touchscreen allgemeine Angebote oder Informationen anzeigt. Wenn er stehen bleibt, kann er sich mit seiner Kundenkarte per Barcode- oder QR-Code-Scanner registrieren. Entnimmt er einen Artikel, zeigt eine Präzisionswaage dem Händler an, wie die aktuelle Nachfrage ist und dass das Regal wieder aufgefüllt werden muss. Gleichzeitig erhält der Kunde auf dem interaktiven Bildschirm produktspezifische Informationen und weiterführende Angebote. Es gibt schon viele technische Möglichkeiten, um die Navigation in der Filiale und das Bezahlen für den Kunden bequemer zu machen. Auch das One-to-one-Marketing, das auf den Einzelkunden zugeschnitten ist, findet viel zu wenig statt.
„Wir haben die Daten in einer Cloud, geschützt in einem deutschen Rechenzentrum.“
Wie stellt man sich die Einbindung des One-to-one-Marketings im Handel vor?
Wir haben ein Regal mit Produkten, das wir kommunikativ mit den Handelspartnern anbinden. Und wir haben die Daten in einer Cloud, in einem deutschen Rechenzentrum, wo die Daten geschützt sind. In dem Rechenzentrum haben wir verschiedene Anwendungen wie Microsoft oder Salesforce, sodass wir den Händler nicht nur mit einzelnen Produkten versorgen können, sondern mit einer ganzen Kette von Anwendungen. Also ist das Produkt im Regal mit der Cloud und der gesamten Auswertung verbunden. Der Händler erhält ein Portal und bekommt die gewünschte Auswertung. Diese lässt sich in verschiedene Programme einspielen, um dann mit dem One-to-one-Marketing einsteigen zu können.
Sind die deutschen Kunden denn schon so weit? Schließlich bekommen Händler immer wieder Ärger mit Datenschützern.
Als Kunde muss ich dem allen ja explizit zustimmen. Da es aber bequem ist und mir Vorteile bringt, mache ich das. Im Onlinehandel geschieht dies ja schon lange. So komme ich beispielsweise in den Supermarkt, das System erkennt mich und bietet mir sofort einen Coupon an.
Ist das nicht eher nur für große Handelsunternehmen geeignet?
Wir sind spezialisiert auf SAP und können das gut. Aber im Grunde kommt es nur auf die Schnittstellen an, über die wir Systeme kleiner oder mittelständischer Unternehmen einbinden. Der Händler muss nur die Themen festlegen, die ihm wichtig sind. Über die Cloud führen wir sie zusammen, angefangen bei der Kommunikation über Produkte bis hin zu Partnern. So bleibt die Kernkompetenz des Händlers der Handel. Um die IT und die Telekommunikation dahinter kümmern wir uns.

Sie haben hier einen Koffer mit technischen Produkten stehen. Was hat es damit auf sich? Damit machen wir den Händlern die digitalen Möglichkeiten in ihrer Umgebung begreifbar, ohne dass sie über großes technisches Verständnis verfügen müssen. Die Dinge funktionieren mit ein paar Klicks.
Was ist da zum Beispiel drin?
Spektakulär ist die portable SCiO-Spektralanalyse.

Wozu benötigen Händler denn eine solche Spektralanalyse?
Der Händler möchte beispielsweise bei der Warenannahme wissen, ob Fisch, Fleisch oder Obst frisch sind oder nicht. Auch direkt im Betrieb kann er Qualitätskontrollen vornehmen und im Bedarfsfall schnell eingreifen. Technisch basiert das System auf einem kleinen Spektrometer, der Datenabgleich via molekularem Fingerabdruck sowie die grafische Aufbereitung erfolgen dann in der Cloud.

Was hat es mit dem Handschuh auf sich?
Wenn Sie in einem Lager arbeiten, hilft Ihnen der elektronische Handschuh ProGlove, der dank Scan automatisch erkennt, welche Kiste man holt und wohin man sie bringt, weil alle Daten in der Cloud hinterlegt sind. Der Lagerarbeiter spart den Scanner, die Arbeit wird effizienter und ergonomischer.
Lassen sich Händler heute noch von elektronischen Etiketten überraschen?
Wir binden sie in das Kommunikationspaket mit Router und entsprechendem Access-Point ein, der zu den elektronischen Etiketten ESL gehört. So haben wir auch vor Ort die Möglichkeit, das inzwischen große Leistungsspektrum dieser Schilder zu zeigen. Von Bildern in Farbe bis zu den klassischen Preisauszeichnungen ist alles dabei. Und man schafft die Verbindung in die Onlinewelt, wenn man beispielsweise über den integrierten Barcode oder NFC einen Artikel, der nicht mehr in einer bestimmten Größe da ist, über das Smartphone bestellt – ganz gleich ob nach Hause oder in den Laden.
Was kosten solche Schilder?
Das fängt bei ein paar Euro an. Je mehr man abnimmt, desto günstiger werden sie. Aber es muss bei den digitalen Etiketten nicht immer der Kauf sein, vielleicht bietet sich für den Händler auch ein Leasingmodell mit einem Stückpreis von einem Euro an. Und sie amortisieren sich schnell, weil man nicht ständig neue Preisschilder braucht. Die Mitarbeiter müssen sich nicht um die Etikettierung kümmern und können sich auf das Verkaufen und die Beratung konzentrieren.
Welche technischen Trends gibt es bei der Infrastruktur in der Filiale, damit die Vernetzung voranschreiten kann?
Zu den vielversprechendsten Innovationen zählt die Funktechnologie Narrowband IoT, ein Netz mit einer speziellen Längenwelle und Frequenz, die tief ins Haus bis in den Keller hineingeht und das Internet der Dinge miteinander verbindet. Man kann sich beispielsweise vorstellen, dass der Mülleimer Bescheid gibt, wann er geleert werden muss oder der Pfandautomat sagt, dass er voll ist. Oder Sensoren, die Erschütterungen und Temperaturschwankungen melden. Mit der Kombination der Netze kann der Händler auch neue Anwendungen implementieren. Zum Beispiel kann er dem Kunden einen mit WLAN verbundenen Knopf anbieten, mit dem er Rasierklingen oder Kaffee nachordert, wenn sie knapp werden, so wie Amazon mit dem Dash Button.
Dieses Interview ist zuerst in der Februar-Ausgabe von Der Handel erschienen.
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