Von Cornwall bis zu den Shetlandinseln: Mit landesweiter Lieferung am gleichen Tag kommt Tesco in Großbritannien Amazon zuvor. Dahinter steckt eine ausgeklügelte Logistik mit hochautomatisierten Verteilzentren.
Im Vereinigten Königreich ist man, was den Onlinehandel mit Lebensmitteln betrifft, schon weiter als hierzulande. Alle großen Supermarktketten bieten im Großraum London Same-Day-Delivery an. Mit einer doppelten Onlineoffensive will die Nummer Eins im britischen Lebensmittelhandel auch bei E-Food ihre Marktstellung verteidigen. Im Sommer 2017 hat Tesco deshalb die taggleiche Lieferung auf ganz Großbritannien ausgeweitet und zeitgleich in der Hauptstadt das Ein-Stunden-Zeitfenster eingeführt.
Im Kampf um die britische Onlinekundschaft ist Tesco damit Amazon einen Schritt voraus. Der amerikanische Onlineriese war im Juli 2016 mit Amazon Fresh in London und Teilen Hampshires gestartet und soll ebenfalls an einer GB-weiten Lösung arbeiten.
Amazons Markteintritt hat den Druck erhöht
© Dematic
Tesco betreibt in Großbritannien sechs Verteilzentren, die ausschließlich Onlineaufträge bedienen.
Tesco bietet die taggleiche Lieferung in London und dem Südosten Englands bereits seit drei Jahren an und verzeichnet eine wachsende Nachfrage, allein im ersten Halbjahr 2017 nahmen die Bestellungen um 18 Prozent zu. Schon im Frühjahr baute Tesco deshalb den Click+Collect-Service landesweit auf über 300 Filialen aus.
Seit Juli können Tesco-Kunden im Vereinigten Königreich Bestellungen, die sie vor 13 Uhr aufgeben, abends ab 19 Uhr auch zu Hause in Empfang nehmen. Bei den Versandkosten orientiert sich Tesco ganz offensichtlich an Amazons Prime-Modell: Einzellieferungen kosten zwischen 3 und 9 GBP, für Mitglieder von Tescos "Delivery Saver"-Programm ist die Lieferung zunächst kostenlos. Taggleiche Lieferung ist montags bis samstags, in London sogar sonntags möglich.
Der Druck auf die britischen Lebensmittelhändler ist durch den Markteintritt von Amazon gestiegen. Nach Schätzungen von LZ Retailytics fiel Tescos Onlinewachstum 2016 mit 2,9 Prozent deutlich magerer aus als 2015, als die Wachstumsrate noch bei 11,2 Prozent lag.
Tesco plc
Der britische Einzelhandelskonzern Tesco ist mit 49 Milliarden Euro Bruttoumsatz und 21 Prozent Marktanteil die Nummer Eins im Heimatmarkt, gefolgt von J.Sainsbury und Asda. Im Ranking der umsatzstärksten Händler weltweit rangiert Tesco auf Platz neun.
Im Geschäftsjahr 2016/17 war die Supermarktkette, die derzeit tief im Umbau steckt, in die Verlustzone gerutscht, erholt sich offenbar aber wieder. Für die ersten sechs Monate des laufenden Geschäftsjahres hat Tesco bessere Zahlen vorgelegt als von Analysten erwartet: Die Gesamtumsätze stiegen um rund drei Prozent auf 25,2 Milliarden Pfund, online legte der Händler um 4,6 Prozent zu.
Nicht nur das Ziel immer schneller zu sein, teilt Tesco mit Amazon: Tescos "Now"-App für die Ein-Stunden-Lieferung in der Hauptstadt weckt doch starke Erinnerungen an den Schnelllieferdienst "Now", den der amerikanische Konkurrent in anderen Ländern anbietet.
Seit Juni 2017 beliefert Tesco Kunden im Stadtgebiet London innerhalb von einer Stunde. Das verfügbare Sortiment umfasst rund 100 Produkte, darunter Obst, Gemüse, Gesundheits- und Pflegeprodukte. Kunden können jeweils bis zu 20 Produkte bestellen. Die Bestellungen werden in einer lokalen Tesco-Filiale zusammengestellt und per Moped zum Kunden gebracht. Der Service kostet 7,99 GBP (umgerechnet 9,08 Euro), einen Mindestbestellwert gibt es nicht.
Herausforderung an Infrastruktur und Logistik
Tesco-Verteilzentrum in Erith, Kent
In die landesweite taggleiche Lieferung sind 300 Tesco-Stores eingebunden. In den Ballungsbebieten stieß die Versorgung der Onlinekunden aus den Filialen heraus allerdings schon vor Jahren an ihre Grenzen. In hochfrequentierten Regionen betreibt Tesco stattdessen inzwischen sechs "DotCom-Distributionszentren", Logistikzentren ausschließlich für das Onlinegeschäft. Dort helfen intelligente Intralogistikanlagen des Anbieters Dematic mit vollautomatischen Materialflüssen, bis zu 30.000 Artikel aus dem Frische- und Trockensortiment schneller zu kommissionieren.
Die Basis aller "Dotcom-Zentren", oder auch "Dark Stores" genannten Distributionszentren ist ein Zonenkommissioniersystem - denn die größte Herausforderung im Onlinehandel mit Lebensmitteln sind die verschiedenen Lagertemperaturen für Trocken-, Kühl-, und TK-Ware.
Die Artikel aus den unterschiedlichen Temperaturzonen werden getrennt kommissioniert und erst vor der Auslieferung zusammengeführt, um eine unterbrechungsfreie Kühlkette zu garantieren.
Das Lagerverwaltungssystem leitet die Kundenauftragsbehälter automatisch in die verschiedenen Kommissionierzonen sowohl im Trocken- als auch Kühlbereich. Hier picken Kommissionierer die bestellten Lebensmittel und ordnen diese dem Auftragsbehälter zu.
Wegezeiten entfallen
Nach dem Scannen der Ware führt die Behälterfördertechnik die Artikelträger zur Zwischenlagerung in die Multishuttle-Anlage, das Herzstück des Verteilzentrums. Die Shuttles werden von einem Lift in die jeweilige Regalebene gehoben. Dort fährt das Shuttle auf einer Fahrschiene vor den Lagerplatz, wo ein Teleskoparm die Behälter mit der Ware auf das Shuttle zieht. Mit dem Lift fährt das Shuttle nach unten und übergibt die Ladeeinheit an die Auslagerfördertechnik.
Sobald eine Tour fertig geplant und kommissioniert ist, werden die Behälter in der richtigen Auftragsreihenfolge zu einer der Transporter-Ladestationen des Logistikzentrums gebracht und verladen.
Vorteil des Shuttlesystems: Wegezeiten entfallen völlig. Die modulare Konzeption ermöglicht es außerdem, das Kompaktlager an den Baukörper anzupassen und es bei Bedarf zu erweitern.
MEHR ZUM THEMA:
© Rewe Group
Lebensmittelhandel
Desaster programmiert: Rewe bringt's nicht
Lebensmittel online zu bestellen kann sehr praktisch sein. Oder zu einer großen Enttäuschung werden. Ein Selbstversuch mit Rewe-Online zeigt, wie sehr Vernetzung und Usability ein Desaster sein können. Mehr lesen
© Robert Kneschke - fotolia.com
Studien
Das sind die Treiber für den Onlinehandel mit Lebensmitteln
Lebensmittel und Getränke sowie Drogerieartikel sind immer noch eher typische Offline-Kategorien. Der Marktanteil im E-Commerce ist homöopathisch. Das könnte sich schneller ändern, als manch einem lieb ist. Mehr lesen
Online-Lebensmittelhandel
Die Angst vor dem Tornado namens Amazon
Der Onlinehandel mit Lebensmitteln ist bisher ein kleiner Markt. Zu kompliziert, zu teuer ist der Versand. Zudem gibt es in Deutschland eine hohe Dichte an stationären Läden. Doch die Branche rüstet sich, denn der übermächtige Konkurrent tut es auch. Mehr lesen