Die Redaktion von Der Handel besuchte mehr als 50 Karstadt-Häuser bundesweit. Die Reportage, Teil zwei.
Oft standen die Kaufhausreisenden vor einem Rätsel wie zum Beispiel in Bottrop: Genau gegenüber der Parfümerieabteilung von Karstadt hat sich Douglas angesiedelt, nebenan steht ein Laden des Filiallisten Pieper, das Familienunternehmen, das mehr als 100 Parfümerien in Nordrhein-Westfalen hat. Macht es da für den Generalisten Karstadt Sinn, eine breite Palette von Parfümerieartikeln anzubieten?
Eine Frage des Sortiments
In Erfurt ist die hilfsbereite Verkäuferin in der Elektroabteilung leider fast überflüssig, denn eine Saturn-Filiale steht 20 Meter weiter im selben Shoppingcenter „Anger 1". In Darmstadt dagegen wurde die Elektroabteilung nach einem Umbau abgeschafft, Saturn ist vor Jahren rund 100 Meter weiter eingezogen. Einzig der Pralinenverkauf neben der Abteilung für Damenwäsche wirkt dort unpassend.Im bayerischen Landshut fragt man sich, warum die Warenpräsentation der Modeartikel nicht so attraktiv ist wie bei der umliegenden Konkurrenz von C&A, H&M, Esprit und s.Oliver.
37 verschiedene Elektrorasierer
In der schicken Karstadt-Filiale mitten in Gütersloh bietet Karstadt ebenfalls, wie fast überall, Shops dieser bekannten Modeanbieter an. Genau diese Marken sind jedoch nebenan mit eigenen Monolabel-Stores präsent - und auch noch in einem Modehaus auf der selben Straße.Hier in der Bertelsmann-Stadt findet der Besucher übrigens 37 verschiedene Elektrorasierer - etwas, das die Kaufhaus-Kunden sicher nicht dort erwarten. In Neumünster fanden wir Anfang Juni Porzellan-Weihnachtsengel im Sonderangebot. Immerhin: Das Schuhsortiment ist hier wie auch in vielen anderen Karstadt-Filialen ausgesprochen gut.
Freundliches Personal im Osten
Vielerorts findet man Schilder, die Kunden für die Solidarität mit dem insolventen Warenhauskonzern danken - doch in den guten Standorten sind diese Appelle meistens versteckt oder gar nicht vorhanden.Das Personal besticht nicht immer durch Freundlichkeit, doch vor allem in Ostdeutschland trifft man auf nette, hilfsbereite Verkäufer - sei es in der großen Karstadt-Filiale in Dresden, wo die Kunden ausdrücklich aufgefordert werden, ihre Meinung zum Haus abzugeben, oder im Karstadt-Schnäppchencenter in Hoyerswerda. In dieser verarmten Stadt regieren die Billigangebote, die Filiale erinnert an ein Centrum-Kaufhaus der DDR. Das ausgesprochen freundliche Personal setzt aber gerade hier ein Kontrapunkt zur Trostlosigkeit.
In Mühlheim an der Ruhr dagegen klagt eine Kundin offen über die „wegrationalisierten Verkäuferinnen". In Iserlohn kommt eine junge Dame an die Kasse, holt sich Verstärkung von einem jungen Mann, der sie losschickt, um eine Kassiererin zu holen. Schließlich werden wir gebeten, an eine andere Kasse zu gehen.
Keller des Grauens
Der Iserlohner Karstadt zählt wohl zu den Orten, in denen unsere Reporter nie mehr einkaufen möchten. Das gilt leider ebenfalls für die Filiale Berlin-Kreuzberg: ein enges, schmuddeliges Parkhaus, eine Hähnchen-Grillbude neben dem Kaufhaus-Eingang, vis-à-vis ein billiger Wochenmarkt. Da kommt keine Einkaufsfreude auf.Auch der Standort Bayreuth blieb uns als unangenehm in Erinnerung. Das Haus könnte in der Wagnerstadt der „Chef im Ring" sein, denn das Wettbewerbsumfeld ist nicht sonderlich groß und attraktiv. Doch das Betongebäude stellt sich von außen eher morbide dar. Das Untergeschoss ist der Keller des Grauens: Dort unten im Dunkeln befindet sich die unattraktive, weil unübersichtliche Spielwarenabteilung.
Im Rosenheimer Karstadt trifft man im Eingangsbereich auf eine Atmosphäre, die man sonst nur bei der Billigkaufhauskette Woolworth vorfindet - und die ist bekanntlich ebenfalls insolvent.
Die ungewisse Zukunft
Ob im langweiligen Karstadt an der Louisenstraße im Millionärsstädtchen Bad Homburg, ob in der runderneuerten Filiale in Wiesbaden, ob bei Karstadt in der Beethoven-Stadt Bonn, wo der Konkurrent Kaufhof direkt um die Ecke liegt, oder im Ruhrpark in Bochum, wo seit der Eröffnung des Einkaufszentrums 1964, wie es scheint, nichts investiert wurde - bei jedem Besuch fragten sich unsere Reporter stets: Kann das gut gehen? Hat diese Filiale eine Chance?Oft mussten wir diese Frage verneinen. Doch noch öfter hatten wir das Gefühl, dass schon einfache Maßnahmen die Überlebenschancen der Warenhäuser deutlich erhöhen könnten. Zum Beispiel eine bessere Anpassung an das Wettbewerbsumfeld, regionale Aktionen und veränderte Sortimentschwerpunkte oder ein frischeres Auftreten. Dafür wären jedoch Investitionen nötig, Geld, das dem insolventen Konzern nicht zur Verfügung steht.
Ende der Reise
Unsere Reise endet, wo für Karstadt alles ursprünglich begann: In Wismar am Rudolph-Karstadt-Platz, die Ur-Filiale des Unternehmens, das 1881 gegründet wurde.Zum ersten Mal hören wir leise Musik in den Verkaufsräumen. Keine Rolltreppe, dafür ein schönes, altes Treppenhaus aus der Gründerzeit. Die Mitarbeiter grüßen freundlich und wirken stolz, dass sie im Gründungshaus arbeiten dürfen. Es ist ein Traum von Warenhaus, der sich für Karstadt ausgeträumt hat.
Marcelo Crescenti, Steffen Gerth, Pierre Pfeiffer und Sybille Wilhelm