Ein Tarifabschluss wie ein Donnerhall: Verdi einigt sich mit Schlecker. Die Gewerkschaft zwingt der Drogeriekette faktisch alle ihre Forderungen auf - das betrifft selbst die Leiharbeit.
Das Bild passt irgendwie: Es raucht und knallt derzeit beim schwäbischen Drogeriediscounter. Dass sich Schlecker gestern Nacht der Gewerkschaft Verdi gebeugt und einem Tarifvertrag zugestimmt hat, ist ein Paradigmenwechsel für dieses Unternehmen mit seinen rund 34.000 Mitarbeitern.
"Einzelhandel besteht nicht nur aus Skandalunternehmen"
"Das ist ein Tag, wie ich ihn gern habe", sagte Margret Mönig-Raane, stellvertretende Vorsitzende von Verdi heute in Frankfurt, als die Gewerkschaft diesen Vertragsabschluss - und auch sich - feierte.Mönig-Raane weiß sehr genau, dass diese Übereinkunft der gesamten Handelsbranche gut tut, weil er zeigt, "dass der Einzelhandel nicht eine Ansammlung von Skandal- oder Katastrophenunternehmen ist".
In allen wichtigen Punkten habe sich Verdi gegenüber Schlecker durchsetzen können, jubelte Verhandlungsführerin Lieselotte Hinz. Demnach wurde vereinbart, dass alle Schlecker-Beschäftigten auf dem Niveau des Flächentarifvertrags für den Einzelhandel in Baden-Württemberg bezahlt werden - das heißt, ein Ecklohn von 12,30 Euro pro Stunde.
Zudem einigte sich die Gewerkschaft mit dem Unternehmen auf einen Sozialtarifvertrag. Die Vereinbarung sieht vor, freiwerdende Stellen in den neuen XL-Märkten (derzeit rund 2.000 Beschäftigte) vorrangig mit Mitarbeiter der Schlecker-AS-Märkte (rund 32.000 Beschäftigte) zu besetzen.
Alternativ muss das Unternehmen Ersatzarbeitsplätze anbieten. Für den Fall, dass eine Beschäftigungssicherung nicht möglich ist, garantiert der Sozialtarifvertrag nach Angaben der Gewerkschaft "angemessene Abfindungen" zu.
Leiharbeit nur noch in Spitzenzeiten
Die Bezahlung der Angestellten der neuen Schlecker-XL-Filialen hatte seit Monaten für Konflikte gesorgt. Verdi kritisierte Schleckers Vorgehensweise, bisherige Läden zu schließen und durch eine kleinere Zahl großflächiger "XL"-Filialen zu ersetzen. Im Zuge dessen wurden Mitarbeiter laut Gewerkschaft gekündigt und zu deutlich schlechteren Bedingungen neu eingestellt.Der auch für die gesamte Branche wohl wichtigste Punkt betrifft aber die Leiharbeit. "Die ist jetzt praktisch ausgeschlossen", betonte Lieselotte Hinz. Damit meint sie kein generelles Verbot dieses Beschäftigungssystems, sondern eine klare Beschränkung auf außergewöhnliche Arbeitsbelastungen, die nicht mehr vom Stammpersonal getragen werden können.
Ab sofort unterliegt demnach Leiharbeit einer Zustimmungspflicht vom jeweiligen Betriebsrat. Sogar die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen und die Bundesarbeitsagentur hatten Schlecker für dessen systematischen Einsatz von Leiharbeitern scharf kritisiert.
Achim Neumann, Schlecker-Beauftragter von Verdi, sagte, dass der Drogeriehändler in seinen besten Zeiten im Jahr 2009 etwa 5.300 Mitarbeiter über die Zeitarbeitsfirma Meniar beschäftigt hatte. Dieses Personal erhielt im Durchschnitt etwa 6,50 Euro pro Stunde.
Zwar hatte die Gewerkschaft für Meniar-Mitarbeiter nicht verhandelt, wie Mönig-Raane betonte, Schlecker zeigte sich aber auch hier entgegenkommend. Ab 1. Juli sollen alle bei Meniar sozialversicherungspflichtig Beschäftigten 9 Euro Stundenlohn erhalten.
Schlecker ist bester Verdi-Kunde
Den Triumph über Schlecker schreibt Verdi nicht nur Ministerin von der Leyen oder der starken öffentlichen Kritik am Drogeriediscounter zu (selbst HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth geißelte das Unternehmen). Die Belegschaft habe einen großen Anteil am Erfolg gehabt: "Es war der Kampf der Beschäftigten, der zum Erfolg geführt hat", betonte Mönig-Raane.Die Schlecker-Mitarbeiter laufen offenbar in Scharen zur Gewerkschaf über. Allein seit dem Jahr 2009 habe Verdi aus dem Unternehmen per Saldo rund 3.000 neue Mitglieder bekommen, sagte Achim Neumann - "Tendenz steigend." Aktuell gebe es 166 Betriebsräte - das ist genau die Hälfte von dem, was möglich ist.
Beflügelt von diesem Erfolg über ein jahrzentelang sperriges und gewerkschaftsfeindliches Unternehmen will sich Verdi nun auch mit Schlecker-Konkurrenten anlegen. Rossmann und Müller werden wohl demnächst mit verstärkter Gewerkschaftsarbeit rechnen müssen. "Im Drogeriemarkt gibt es noch einiges zu sortieren", sagte Margret Mönig-Raane.