Technisch ist beim viel beschworenen Einkaufserlebnis über alle Kanäle hinweg schon vieles möglich. Das zeigt ein nagelneuer Hightech-Supermarkt. Auch immer mehr Konsumenten freunden sich mit digitalen Services an. Nur die Händler sind noch etwas ratlos.
Die Zukunft des Einkaufens beginnt in der Küche. Zumindest bei der Standardisierungsorganisation GS1, die im Juni in Köln ihr neu konzipiertes „Knowledge Center“ eröffnet hat. Dort wollen die Erfinder des Barcodes Besuchern aus Handel und Industrie plastisch zeigen, wie sich die Art des Einkaufens in den kommenden Jahren durch digitale Technologien verändern wird.
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Supermarkt der Zukunft
Die Einkaufsreise des fiktiven Kunden startet in einer Wohnung, in der Kaffeemaschine, Kühlschrank und Waschmaschine über das Internet mit dem smarten, virtuellen Assistenten namens Toni kommunizieren und selbstständig an das Wartungsintervall erinnern oder neue Milch bestellen, wenn sie zur Neige geht. Toni kann auch sprechen und sagt, was heute ansteht. Noch vor der ersten virtuellen Tasse Kaffee verschiebt der Konsument von morgen einen Geschäftstermin per Videotelefonie, wird von Toni daran erinnert, dass er abends für Freunde kochen wollte und lässt sich dafür passende Rezepte vorschlagen.
Sprachassistent Toni checkt, welche Zutaten vorhanden sind
Er entscheidet sich für Spaghetti mit Rucola-Pesto, und Toni checkt, ob alle Zutaten dafür im Haus sind. Sind sie nicht, also zeigt der virtuelle Diener, in welchen Supermärkten auf dem Heimweg die fehlenden Lebensmittel und Gewürze erhältlich sind und ordert den passenden Lieblingswein nach einem Preisvergleich gleich online in ein Abholfach im Supermarkt.
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Konsum allerorten: Shoppen statt warten
Auf dem Weg zur Bushaltestelle wartet die nächste Konsummöglichkeit: Auf einer Werbetafel kann der Verbraucher neue Schuhe, Bücher oder ein Tablet-PC bestellen. Vor dem Supermarkt steht eine gekühlte Abholstation, in der man online georderte Lebensmittel abholen kann. Am Eingang hängt eine Kamera, die zählt, wie viele Menschen am Supermarkt vorbeilaufen und wie viele ihn betreten.
Regallücke? Macht nichts, der Händler schickt’s nach Hause
Im nachgebauten Hightech-Supermarkt bekommt der Kunde beim Eintreten einen auf ihn abgestimmten Gutschein auf das Smartphone. Die gefürchtete Regallücke ist auch passé: Ist ein Produkt nicht da, scannt der Kunde einen QR-Code und bekommt in diesem Fall das Duschgel versandkostenfrei nach Hause oder in das Abholfach geschickt.
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Kein Leerstand: Produkte werden nach Hause geliefert
Bei Obst, Gemüse und Fleisch finden sich hinter den Codes Angaben zur Herkunft, sodass der smarte Konsument die Produkte lückenlos zu ihrem Ursprung verfolgen kann.
Auf einem Bildschirm in der Süßwarenabteilung sieht der Konsument sich selbst, über ihm erscheint eine Gedankenblase: „Neues Rezept?“ Der Kunde nimmt eine Packung Kekse in die Hand, ein Sensor registriert die Packung und schlägt ein Rezept mit eben jenen Keksen vor. Ein Knopfdruck, und es wird samt Zutatenliste ausgedruckt.
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Digitale Terminals: Rezept auf Knopfdruck
Hat der Kunde alles beisammen, spaziert er aus dem Laden raus. Der Bezahlvorgang läuft automatisch: Die Händler-App erkennt, dass der Kunde das Geschäft verlassen hat, ruft den virtuellen Warenkorb auf und bucht den Betrag vom Konto ab.
Technisch ist das, was GS1 zeigt, längst machbar. „Nur die Vernetzung der vielen Vorgänge ist noch
Zukunftsmusik“, erläutert Regina Haas-Hamannt, Leiterin Innovation bei GS1. Doch so oder so ähnlich werden wir in Zukunft einkaufen, ist sie überzeugt: „Die Ansprüche der Konsumenten wachsen mit den technischen Möglichkeiten.“
Konsumenten freunden sich mit Sprachassistenten an
Das beobachtet auch Timm Lutter vom Digitalverband Bitkom: „In der Bevölkerung wird die Technik auch dank Sprachassistenten in Smartphones immer bekannter“, sagt der Experte für Consumer Electronics & Digital Media und verweist auf eine aktuelle Studie aus dem eigenen Haus: Ein Viertel der Bundesbürger ab 14 Jahren würde intelligente Lautsprecher wie Amazon Echo und Google Home, also die GS1-Tonis auf dem freien Markt, gerne nutzen, um Haushaltsgeräte wie Lampen, Musikanlage, Fernseher oder Heizung per Sprachbefehl zu steuern, wenn sie mit dem WLAN verbunden sind.
Rund 14 Prozent der Befragten würden gerne per Stimme Verkehrsnachrichten abrufen, 13 Prozent möchten sich E-Mails oder Kurznachrichten vorlesen lassen. 11 Prozent der Befragten würden digitale Sprachassistenten einsetzen, um allgemeine Informationen von Suchmaschinen oder Sportergebnisse abzurufen. Immerhin jeder elfte Bundesbürger (9 Prozent) würde damit Waren im Internet bestellen.
Der Kunde ist also bereit für ein bisschen Zukunft.
Und die Händler?
Na ja.
77 Prozent sehen sich laut Bitkom-Umfrage als Nachzügler in Sachen Digitalisierung. So haben beispielsweise insgesamt 11 Prozent der Händler immer noch keine eigene Homepage.
Bei den rein stationären Händlern ist sogar rund jeder Dritte ohne Internetauftritt. Aber es gibt auch Händler, die über mehrere Kanäle hinweg verkaufen und diese miteinander verzahnt haben. Das EHI Retail Institute ist in seiner aktuellen Studie „Omnichannel-Commerce 2017“ einmal der Frage nachgegangen, wie viele das überhaupt sind und ob es bestimmte Branchen oder Unternehmen gibt, die eher auf Omnichannel setzen als andere.
Das Fazit: „Die Mehrkanal-Verknüpfung ist noch nicht ganz so weit im deutschen Handel verbreitet, wie die Präsenz der Diskussion vermuten lässt“, erläutert Lars Hofacker, Leiter des Forschungsbereiches E-Commerce bei dem Kölner Institut.
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Verbreitung Vertriebskanäle
Demnach verfolgen von den Top-1000-Onlineshops in Deutschland 169 ein Cross- und Omnichannel-Konzept, bei dem die Kanäle verzahnt sind. „Führend ist aber nach wie vor das Multichannel-Modell, bei dem nicht zwischen den Kanälen verzahnt wird“, so Hofacker. 464 Shops setzen demnach auf dieses Modell.
Service beim Verkauf über mehrere Kanäle ausbaufähig
Doch der Verkauf über alle Kanäle hinweg ist nur dann kundenfreundlich, wenn die angebotenen Services es sind. Da bescheinigt das EHI den 169 verzahnten Shops noch einigen Nachbesserungsbedarf: Zwar bieten 164 Handelsunternehmen Click & Collect mit Online-Bezahlung an, also der Kunde kauft im Internet und holt die Ware in der Filiale ab. 123 Shops bieten Click & Collect mit Bezahlmöglichkeit in der Filiale an. Ob die Produkte stationär verfügbar sind und ob sich der Weg in den Laden für den Kunden überhaupt lohnt, zeigen aber nur 69 Webshops. Die online bestellte Ware können Kunden sogar nur bei 59 Händlern in der Filiale zurückgeben („Instore-Return“).
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„Auffällig ist dabei, dass die umsatzstärkeren Shops tendenziell mehr Omnichannel-Services anbieten“, berichtet Hofacker. Von den Händlern mit allen vier untersuchten Service-Angeboten liegen demnach 30 Prozent bei einem Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro.
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Omnichannel-Services bei Händlern
Die Händler, die die Kanäle verzahnen, ähneln sich vor allem im Hinblick auf die angebotenen Produktsegmente. 32 der 169 untersuchten Shops legen ihren Fokus auf Computer, Unterhaltungselektronik, Handys und Zubehör und 25 auf Bekleidung, Textilien und Schuhe. Insgesamt bieten 53 der 169 Shops Mode an und 47 Unterhaltungselektronik.
Ohne flächendeckendes Filialnetz ist Omnichannel schwierig
„Ernüchternd“ sei hingegen der Blick auf die Filialnetzwerke: 47 Prozent der Händler verfügen über weniger als fünf Filialen. „Durch die regionale Beschränkung sind die angebotenen Omnichannel-Services wie Click & Collect für viele Kunden in Deutschland nicht nutzbar“, erläutert Hofacker. 19 Prozent der Shops verfügen über 5 bis 19 Stores, 13 Prozent über 20 bis 99, und 16 Prozent über 100 bis 499 Filialen. Bei 5 Prozent der Shops umfasst das Filialnetzwerk sogar 500 oder mehr Standorte.
Auf rund 50 beziffert der EHI-Experte die Zahl der Händler, die trotz aufwändiger Integration in ein großes Filialnetz den Schritt zum kanalübergreifenden Handel konsequent gehen. Grundsätzlich gilt: „Die aktuelle Branchensituation gibt weder Anlass zum Schwarzmalen noch zur völligen Euphorie.“
Der Beitrag erschien zuerst in der Ausgabe von "Der Handel 7/8-2017".MEHR ZUM THEMA
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